Auf den Spuren von Hitlers vergessenem It-Girl

  20 Oktober 2016    Gelesen: 987
Auf den Spuren von Hitlers vergessenem It-Girl
Sie war blond, blauäugig und very british: Unity Mitford blätterte in Hitlers Münchner Stammlokal gerade in der „Vogue“, da sprach der „Führer“ die 20-Jährige an – mit tödlichen Folgen.
Die Wochen des Wartens in der „Osteria Bavaria“ bei einer kleinen Mahlzeit und einer Tasse Kaffee hatten sich dann doch noch ausgezahlt. Unity Mitford, Tochter des englischen Oberhauslords Baron Redesdale, entfernte Verwandte von Winston Churchill, war am Ziel ihrer Träume angelangt. Am 9. Februar 1935 passierte ihr das eigentlich Unmögliche. Adolf Hitler bat die hochgewachsene, elegant gekleidete 20-Jährige mit den blauen Augen und blonden Haaren an seinen Tisch. Was an jenem Samstagnachmittag in Hitlers Münchner Stammlokal seinen außergewöhnlichen Anfang nahm, wurde erst viereinhalb Jahre später durch eine Kugel beendet.

Die Lebensgeschichte der Unity Valkyrie Mitford ist so abenteuerlich wie ihre Beziehung zu Hitler offenbar eng war. Bis 1939 trafen sich die vorlaute Britin und der „Führer“ rund 140 Mal, also durchschnittlich alle zehn Tage. Hitlers Gefährtin Eva Braun soll deshalb versucht haben, sich das Leben zu nehmen. Der britische Geheimdienst hielt Mitford für töricht, Hermann Göring für eine Spionin und der Reuters-Korrespondent Ernest R. Pope gar „für die gefährlichste Frau Münchens“. Obwohl die internationale Presse bereits über Unity Mitford als künftige Mrs Hitler spekulierte, geriet das It-Girl der Nazis nach dem Krieg in völlige Vergessenheit.

Michaela Karl, Sachbuch-Bestsellerautorin aus Niederbayern, will das ändern. Die promovierte Politologin hat Leben und Tod der geheimnisvollen Hitler-Vertrauten, die immer mehr sein wollte als hübsche Staffage, in detektivischer Archiv-Arbeit rekonstruiert. „Ich blätterte gerade in der Vogue, da sprach mich der Führer an“ ist die erste deutschsprachige Unity-Mitford-Biografie überhaupt. Drei Jahre hat Karl daran gearbeitet: „Wenn man eine Biografie schreibt, muss man sich sehr einfühlen in die Person, was bei dem Gedankengut, das Unity Mitford vertritt, nicht so einfach war.“

Mitford lernte schnell Deutsch – mit bayerischem Idiom

Die junge Britin gerierte sich bereits im heimischen Oxfordshire, wo sie schon mal mit einer Ratte auf der Schulter fürs Familienfoto posierte, als überzeugte Faschistin, worin sie ihrem Vater in nichts nachstand. „1933 war sie auf Besuch beim Reichsparteitag in Nürnberg und so fasziniert von Hitler, dass sie beschloss, nach Deutschland zu kommen und den ‚Führer‘ persönlich kennenzulernen“, berichtet Karl. Schon ein Jahr später setzte sie ihr Vorhaben in die Tat um und quartierte sich im Institut einer verarmten Adeligen in der Münchner Königinstraße ein, wo sie sehr schnell und gut Deutsch lernte. „Mit breiten bayerischem Idiom“, wie ihre Biografin betont.

Über das ominöse erste Treffen mit Hitler schrieb Unity ihrer Schwester Diana, die als schönste Frau Englands galt und später den irischen Brauerei-Erben Bryan Walter Guinness für den britischen Faschistenführer Oswald Mosley sitzen ließ: „Gegen drei Uhr, ich war schon mit dem Essen fertig, kam der Führer in seinem süßen Trenchcoat herein und setzte sich mit zwei anderen Männern an seinen Stammtisch. Ich blätterte gerade in der Vogue. [...] Zehn Minuten nach seiner Ankunft ließ er den Gastwirt kommen, der dann herüberkam und sagte: ‚Der Führer möchte mit Ihnen sprechen‘.“ Seitdem traf sie den späteren Diktator regelmäßig – in dessen Wohnung am Prinzregentenplatz, in Bayreuth, auf dem Obersalzberg. „Sie war topinformiert, wusste immer, wo Hitler gerade war“, erklärt Karl.

Ganz München spekulierte über eine mögliche Heirat

Spötter nannten sie deshalb Unity „Mitfahrt“, weil sie immer schon da war, wo Hitler auftauchte. In Nazi-Kreisen machte sich die selbstbewusste Exzentrikerin, die mit MG-Cabrio und Dogge auf dem Beifahrersitz durch die „Hauptstadt der Bewegung“ kurvte, sich nackt im Englischen Garten sonnte und auf dem Starnberger See die Segel setzte, schnell einen Namen. Albert Speer, Hitlers Architekt, notierte später: „Sie hat sich nie gelangweilt, und mit ihr war es auch niemals langweilig.“

Filmemacherin Leni Riefenstahl und Richard Wagners Schwiegertochter Winifred hätten sich dagegen sehr abfällig geäußert, keinesfalls hätte Unity das Zeug, Frau Hitler zu werden. Riefenstahl habe Hitler sogar gefragt, ob er tatsächlich nachdenke, Mitford zu heiraten. „Allein dass sich die Damen Gedanken machten, zeigt, dass es durchaus im Bereich des Möglichen lag“, so Karl. Auch Edgar Feuchtwanger, Lion Feuchtwangers Neffe, hielt fest, dass dieses Gerücht ganz München kannte.

„Ich könnte nur ein deutsches Mädchen lieben“

Hitler hatte seiner Lieblingsregisseurin geantwortet, dass dieses Mädchen zwar sehr attraktiv sei, er aber nie mit einer Ausländerin, auch wenn sie noch so schön sei, eine Beziehung haben könnte. „Meine Gefühle sind so national, dass ich nur ein deutsches Mädchen lieben könnte.“ Eine schicke Dreizimmerwohnung im begehrten Schwabing besorgte ihr der „Führer“ trotzdem – sehr zum Entsetzen der dort lebenden jüdischen Familie, was Unity Mitford nicht weiter beeindruckte. Biografin Karl hält ihr zugute, dass sie vermutlich die ganze Dimension der Verfolgung nicht kannte. „Aber sie wusste mit Sicherheit, was läuft.“

Michaela Karl nimmt an, dass Mitford gar nicht Frau Hitler werden wollte. Vielmehr strebte sie politischen Einfluss an, in Entscheidungsprozesse involviert zu werden. „Wie Hitler glaubte auch sie an eine deutsch-britische Allianz und wollte ihren Beitrag leisten.“ Doch woher nahm die junge Frau ihr Selbstbewusstsein? Wie konnte sie glauben, die Geschicke zu lenken? „Ihre Chuzpe hatte sie, weil sie eine Mitford war“, erklärt Karl. „Wie ihre Geschwister kannte auch Unity keine Grenzen, keine Ablehnung, kein Mittelmaß.“

Göring ließ Mitford abhören

Mit wachsendem Einfluss auf Hitler, mit dem Unity Mitford die Vorliebe für alles Mystische teilte, wuchs auch die Zahl der Gegner innerhalb des Regimes. Propagandaminister Joseph Goebbels misstraute ihr zunehmend, der 1938 zum Außenminister berufene Joachim Ribbentrop konnte sie nicht leiden. „Unity und ihre Schwester Diana haben Hitler ganz offen gesagt, dass Ribbentrop eine totale Fehlbesetzung als deutscher Botschafter in London ist“, so Karl. Vom Forschungsamt Göring, einer in der Öffentlichkeit relativ unbekannten Geheimdiensttruppe, wurde sie abgehört. Unity Mitford – eine britische Spionin? „Die Akte Unity Mitford wurde in England gesäubert.“ Nur noch das Inhaltsverzeichnis sei in den National Archives vorhanden. „Der MI5 hat sie lange nicht sehr ernst genommen.“ Alles andere wäre reine Spekulation.

Auch die Ereignisse des 3. September 1939, als Unity Mitford mit einer Kopfverletzung aufgefunden wurde, lassen sich heute mit endgültiger Sicherheit nicht mehr klären. Die offizielle Version lautet Michaela Karl zufolge: „Unity Mitford ist durch die Kriegserklärung Englands an Nazi-Deutschland total erschüttert, sie geht in den Englischen Garten, setzt sich auf eine Bank und jagt sich in selbstmörderischer Absicht eine Kugel in den Kopf.“ Doch daran will Karl nicht recht glauben. „Sie wusste längst, dass Krieg kommt.“ Hitler habe ihr das gesagt. Außerdem habe sie schon Monate vorher im britischen Konsulat gesagt: „Ihr seid nicht mehr länger für mich zuständig, ich stelle mich auf die Seite Deutschlands, bleibe hier.“

Um die Kugel im Kopf ranken sich Geheimnisse

Bei der Recherche stieß Karl auf ganz offenbar frisierte Akten, wirre Zeugenaussagen und Widersprüche. „Zum Beispiel, dass es die Bank im Englischen Garten gar nicht gibt.“ Tatsächlich liegt der Tatort fünf Meter vor dem Englischen Garten mitten auf dem Bürgersteig. „Die Möglichkeit, dass auf sie geschossen wurde, ist sehr groß“, meint Michaela Karl. Beweisen könne sie es aber nicht. „Doch Unitys Gegner hatten sehr wohl Motive, sie zu ermorden.“

Die Britin überlebte den (Selbst-)Mordversuch schwer verletzt und kam in eine Klinik. Dort besuchte sie am 8. September Adolf Hitler. Er war schockiert, völlig aufgewühlt. „Entgegen seiner üblichen Gewohnheiten hat er dann an diesem Abend nach seiner Rede im Bürgerbräukeller nicht an den anschließenden Feierlichkeiten teilgenommen.“ Wenn Mitfords Zustand dafür mitverantwortlich war, „dann war sie tatsächlich das, wofür sie sich selbst gehalten hat, nämlich Hitlers Schicksalsgöttin“. Georg Elsers selbst gebaute Bombe verpasste Hitler nur um 13 Minuten.

„Für die Briten war Unity ein Monster“

Unity Mitford kehrte drei Monate später über die Schweiz und Frankreich in ihre Heimat zurück. Im Januar 1940 kam sie mit dem Schiff in einem militärisch abgesperrten Hafen an. „Für die Briten war Unity ein Monster, das man zurückgeholt hat“, berichtet Michaela Karl. Die Kugel steckte noch in ihrem Kopf. Am 28. Mai 1948 starb sie an den Spätfolgen – mit nur 33 Jahren.

Für ihre Biografin ist die Mitford gerade jetzt, fast 70 Jahre nach ihrem Tod, eine aktuelle, hochmoderne Figur. „So Leute mit zweifelhaften Ansichten wie Unity Mitford, die sich so schick, so cool mitten unter uns bewegen, gibt es in letzter Zeit verstärkt.“ Stichwort Neue Rechte. Elegant gekleidete, auf den ersten Blick sympathisch wirkende Menschen. Michaela Karl ist überzeugt: „Gerade diese Unity Mitfords von heute sorgen dafür, dass dieses gestrige Weltbild nicht ausstirbt, sondern im Gegenteil wieder salonfähig ist.“

Quelle : welt.de

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