Mercedes Concept X-Klasse Reingelegt

  27 Oktober 2016    Gelesen: 594
Mercedes Concept X-Klasse Reingelegt
Ein Pick-up-Truck von Mercedes: Passt das? Wie schwer sich der Hersteller mit dem Spagat zwischen Luxus und Laster tut, war jetzt bei der Enthüllung der X-Klasse zu beobachten.
Pick-up-Trucks sind in Deutschland Nischenfahrzeuge. Doch während hierzulande nur ein paar wenige Fahrer auf einen Pritschenwagen schwören - sei es aus beruflichen Gründen oder aus Größenwahn -, spielt das Segment der sogenannten Midsize-SUV weltweit eine immer wichtigere Rolle. Rund zwei Millionen dieser Autos werden derzeit pro Jahr verkauft, laut Analysten sollen es 2025 bereits 2,8 Millionen sein.

Diese Prognose zieht einen Hersteller an, bei dem man beim Thema Pick-up bislang höchstens an den Unimog dachte: Mercedes.

Angekündigt hatten die Schwaben den Einstieg in die Pritschenwagenproduktion bereits vor mehr als einem Jahr - jetzt präsentierte Daimler einen Ausblick darauf, wie der Pick-up aussehen wird. Dabei wurde bei der Enthüllung in Stockholm sofort das größte Problem des neuen Modells deutlich.

Ein Gemeinschaftsprojekt mit Renault-Nissan

Der selbst ernannte Premiumhersteller Mercedes muss nämlich einerseits seinem Luxus-Image gerecht werden, andererseits aber ein rustikales Nutzfahrzeug bieten. Das ist schon in Europa eine schwierige Aufgabe. Doch in den Regionen, in denen die meisten Pick-ups verkauft werden - also Südamerika und Südostasien - ist das Budget der Kundschaft in der Regel kleiner und die Erwartungen an einen Wagen mit Stern größer.

Wie viel Kopfzerbrechen Mercedes dieser Spagat noch bereiten wird, war nun bei der Premiere zu erahnen: Da standen nämlich gleich zwei Konzeptfahrzeuge auf der Bühne.

Einmal der sogenannte Powerful Adventurer; ein Lastesel mit Seilwinde, Karbonplanken, massivem Unterfahrschutz und martialischen Ballonreifen. Und zusätzlich der Stylish Explorer; eine Art Luxus-SUV mit Ladefläche, der auf schmucken 22-Zöllern steht. Hier das Raubein für den Rinderzüchter in Brasilien, da der Lifestyle-Laster für den deutschen Immobilienmakler, der bisweilen seiner Landlust erliegt. Immerhin der Name steht schon fest: In traditioneller Nomenklatur erweitert Mercedes das Angebot um die X-Klasse.

Volker Mornhinweg, der Leiter der Van-Sparte von Mercedes, erklärte, wo und wann die X-Klasse zu kaufen sein soll. Wobei vor allem spannend ist, wo sie nicht zu haben sein soll: nämlich in Nordamerika. Warum Mercedes ausgerechnet einen der größten Pick-up-Märkte meidet? "Da einzusteigen macht keinen Sinn", sagte Mornhinweg, dort würden nur große Pick-ups verkauft und der Markt sei unter den drei US-Herstellern Ford, GM sowie Dodge aufgeteilt. So soll die X-Klasse Ende 2017 zunächst in Europa eingeführt werden, erst später sollen Australien, Südafrika und 2018 Südamerika folgen.

Angesichts der bisherigen Zurückhaltung von Europas Autokäufern gegenüber Pick-up-Trucks ist das zwar riskant, aber dafür halten sich bei Mercedes die Kosten für die X-Klasse im Rahmen. Von einem Betrag in dreistelliger Millionenhöhe ist die Rede - normalerweise liegen die Investitionen bei neuen Modellen im Milliardenbereich. Daimler griff bei der Entwicklung seines Pritschenwagens jedoch auf die Kooperation mit dem Renault-Nissan-Konzern zurück: Die X-Klasse basiert auf dem Nissan Navara, produziert wird der Wagen in den Werkshallen von Renault-Nissan in Spanien und Argentinien.

Natürlich lauert für Daimler hier auch eine Falle: Eine Blamage wie beim Kleintransporter Mercedes Citan, der auf Basis des Renault Kangoo entstand und vor allem durch lustlose Materialauswahl sowie mäßige Ergebnisse auffiel, sollte nicht noch mal vorkommen.

Den Unterschied zum Navara soll bei der X-Klasse vor allem das V6-Dieselaggregat aus dem Mercedes-Baukasten sowie ein komplett eigenständiges Interieur und Design machen. "Wir haben alles geändert, was man sehen, anfassen und fühlen kann", sagte Marketing-Chefin Marion Friese zum Vergleich mit dem Nissan-Pick-up. LED-Scheinwerfer, die Vernetzung mit dem Mercedes-Me-Server und eine breite Auswahl an Assistenzsystemen sollen die X-Klasse zum Technologieführer im Segment machen. Und was würde das den Kunden kosten? Über den Preis schwieg sowohl Friese als auch Mornhinweg.

Henner Lehne vom Marktbeobachter IHS Markit glaubt, dass die Rechnung von Mercedes aufgehen kann: "Der Pick-up fehlt im Nutzfahrzeug- wie im Pkw-Programm. Mit der Neuheit kann Mercedes diese Lücke schließen", sagt er.

Zwar mahnt Lehne eine deutliche Differenzierung gegenüber Nissan bei Auftritt, Antrieb und Ausstattung an. Doch wenn das gelingt, sieht er genügend Markt für ein weiteres Modell, das deutlich über dem Navara angesiedelt ist. Als Vorbild nennt er den VW Amarok.

Der Pick-up aus Wolfsburg ist deutlich oberhalb der asiatischen Konkurrenzen positioniert und hat sich seit seinem Debüt Ende 2009 besser verkauft, als viele anfangs erwartet hatten. Insgesamt meldet die VW-Nutzfahrzeugsparte eine Produktion von bislang fast 500.000 Fahrzeugen, allein im letzten Jahr wurden 76.500 Autos zugelassen. Mit 4700 Einheiten war Deutschland dabei nach Argentinien, Brasilien und Australien schon der viertgrößte Markt. "Speziell in Europa war es doch ein wenig überraschend zu sehen, wie viele Amarok abgesetzt worden sind", sagt Lehne.

Vielleicht will Daimler dieses Mal einfach sicher gehen, keinen Trend zu verschlafen. "Vor 20 Jahren haben wir uns alle gefragt, ob Europa wirklich SUVs braucht. Heute stehen sie an jeder Ecke", sagt Auto-Experte Ferdinand Dudenhöffer von der Universität Duisburg-Essen. "Die Antwort der Käufer hat alle überrascht, und Mercedes brauchte damals am längsten, um das zu verstehen."

Mit einem Pritschenwagen, der weniger für die Nutzlast als für Abenteuer und Emotionen steht, könnte Mercedes dieses Mal vorweg fahren: "So, wie heute der SUV einen äußerst breiten Bogen vom Lada Niva bis zum Bentley Bentayga spannt, können wir in den nächsten Jahren auch vom Pick-up noch einiges erwarten", glaubt Dudenhöffer.

E-Antriebe spielen bei der X-Klasse-Präsentation plötzlich keine Rolle mehr

Ob die X-Klasse nun zum Erfolg wird oder nicht: Das Modell beweist, dass die Autohersteller derzeit Gefahr laufen, sich zu zerreißen. Hatte Daimler-Chef Dieter Zetsche nicht vor Kurzem auf dem Pariser Autosalon stolz eine neue Plattform für Elektroautos präsentiert? Ein überdimensionierter Wagen mit V6-Diesel will da nicht so recht ins Bild passen.

Für die CO2-Bilanz der Mercedes-Flotte spielen die Emissionen der X-Klasse zwar keine Rolle, weil die Werte in die Bilanz der leichten Nutzfahrzeuge einfließen, wo die Grenzwerte in Europa höher liegen als für Pkw. Doch von der angeblichen neuen Lust auf alternative Antriebe ist bei dem Mercedes-Pick-up nichts zu spüren. Eine E-Variante oder zumindest ein Hybridmotor ist zunächst nicht geplant.

Von Volker Mornhinweg war nur zu erfahren, dass man solche Lösungen auf lange Sicht nicht ausschließen könne. Nach der von seinem Boss Zetsche ausgerufenen "Revolution" des E-Antriebs klingt das nicht gerade.

Quelle : spiegel.de

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