Bei Ausflug Mord

  04 November 2016    Gelesen: 604
Bei Ausflug Mord
Wer war der "Menschenjäger vom Rhein"? 1953 begann eine Mordserie an Verliebten, die das Rheinland in Atem hielt. Erst sechs Jahre später stand der mutmaßliche Liebespaarmörder vor Gericht und wurde zum Hauptdarsteller eines Justizkrimis - an dessen Ende niemand mit dem Urteil zufrieden war.
Sie kamen zu spät, deutlich zu spät sogar. Ein grauenhafter Anblick erwartete die herbeigerufenen Polizeibeamten an jenem Montagabend 1955, als sie einen blauen Ford inspizierten, den ein Fuhrunternehmer am Nordrand von Düsseldorf aus einem Baggerloch geborgen hatte: Zwei verwesende Leichen lagen auf der Rückbank des Wagens. Wenig später hatten Gerichtsmediziner die Toten identifiziert: Es waren der 26-jährige Bäckermeister Friedhelm Behre und seine vier Jahre jüngere Freundin Thea Kürmann. Beide wurden schon seit vier Wochen vermisst: seit dem 1. November 1955, dem Tag ihres grausamen Todes.

Die Verliebten, das wussten die Ermittler bald, waren erst bewegungsunfähig geprügelt worden, dann hatte jemand den Wagen mit dem sterbenden Paar in die wassergefüllte Grube rutschen lassen. Als die Zeitungen tags darauf vom "Brautpaar im Baggerloch" berichteten, ahnte die Boulevardzeitung "Der Mittag" schon, dass "eine schwierigen Aufgabe" vor der Kriminalpolizei läge. Und tatsächlich: Bald stießen die Fahnder auf ein merkwürdiges Detail. Schon zweieinhalb Jahre zuvor, am 7. Januar 1953, war ein Liebespaar Opfer eines Mordanschlags in Düsseldorf geworden.

Ein Unbekannter hatte damals, unterstützt von einem Komplizen, am Rheinufer den 42-jährigen Juristen Lothar Servé in seinem Auto erschossen. Dessen 18-jähriger Liebhaber auf dem Beifahrersitz stellte sich tot und überlebte. Der Mörder wurde nie gefasst. Und war nun offenbar wieder aufgetaucht.

So suchte die Mordkommission "Baggerloch" wenig später nach einem besonders niederträchtigen Serienkiller. Denn der Gesuchte, davon ging die Polizei aus, hatte es gezielt auf Verliebte abgesehen, die mit dem Auto zu entlegenen Orten fuhren. Jahrelang sollten diese Morde, die der Kriminologe Stefan Harbort für sein Buch "Der Liebespaarmörder" rekonstruiert hat, das Rheinland in Angst und Schrecken versetzen. Ständig wurde die Anzahl der zuständigen Ermittler aufgestockt, permanent berichteten Zeitungen über den "Menschenjäger vom Rhein". Doch der tötete offenbar ungestört weiter.

"Mörder am Werk! 15.000 DM Belohnung!"

So fanden Polizisten schon zwei Monate nach dem grausigen Baggerloch-Fund, am 9. Februar 1956, beim Dorf Ilverich zwischen Krefeld und Düsseldorf zwei verkohlte Leichen in einem Strohhaufen: Chauffeur Peter Falkenberg, 27, und seine drei Jahre jüngere Begleiterin Hildegard Wassing. Das Paar war den ersten Ermittlungen zufolge zwei Tage zuvor bei einer Autofahrt durchs nächtliche Rheinland überfallen, erschlagen und verbrannt worden. Auf Täter oder Tatmotiv deutete zunächst nichts - bis zur Obduktion der Opfer.

Denn die Pathologen fanden in der männlichen Leiche die Kugel einer Kleinkaliberpistole, auf Peter Falkenberg hatte vor seinem Tod also jemand geschossen - aus derselben Entfernung und Richtung wie exakt drei Jahre zuvor beim Mord an Lothar Servé. Ein Zufall? "In Würdigung dieser Erkenntnisse", so schrieben die Ermittler in ihrem Bericht, "ist daher mit Fortsetzung der Doppelmorde zu rechnen." Es war der Startschuss für eine gigantische Fahndungsaktion.

In Zeitungen baten die Ermittler nun regelmäßig um Hinweise, sie ließen die "Unzucht-Kartei" nach verdächtigen Räubern und Sexualstraftätern durchforsten und 250.000 Plakate in Düsseldorf verteilen: "Mörder am Werk! 15.000 DM Belohnung!" Bis zum April 1956 gingen 2263 Hinweise bei der Kripo ein, die Beamten überprüften 602 Personen, nahmen 22 Verdächtige fest und wähnten sich mehrfach auf einer heißen Spur - doch keine davon führte zum Mörder. Dann half der Zufall.

Sammlung aus Pistolen, Gewehren und Chemikalien

Am frühen Abend des 10. Juni 1956 stapfte Oberjäger Erich Späth durch sein Waldrevier unweit von Düsseldorf. Plötzlich, so gab es der 58-Jährige später zu Protokoll, bemerkte er einen jungen Mann im Unterholz. Der schlich demnach geduckt in der Nähe eines Autos herum, in dem ein junges Liebespaar saß. Förster Späth reagierte blitzschnell, richtete seine Drillingsbüchse auf den Unbekannten im Dickicht und blaffte ihn an: "Kommen Sie heraus und legen Sie die Hände auf den Kopf!" Der Name des Verdächtigen, den wenig später Polizeibeamte aufs Revier fuhren: Werner B., 28 Jahre, Maschinenschlosser aus Düsseldorf.

B. war der ersehnte Tatverdächtige, alles schien zu passen: Er hatte sich augenscheinlich an ein Liebespaar herangeschlichen, in seiner Hosentasche steckte eine geladene 9-Millimeter-Pistole, Marke P 38, und er war sogar einschlägig vorbestraft: Schmuggel, Diebstahl, unerlaubter Waffenbesitz. Noch auffälliger war das Ergebnis der Wohnungsdurchsuchung, der Festgenommene hortete zu Hause eine Kleinkaliberbüchse, Teile für den Bau von Maschinenpistolen, ein Luftgewehr und massenweise hochgefährliche Chemikalien. Alles sprach gegen B., und so titelte die "Bild"-Zeitung am 16. Juni: "Liebespaar-Mörder gefasst".

Die Kriminalpolizei hatte zwar noch gar kein offizielles Statement abgegeben, doch die Spekulation des Boulevard-Blattes schien sich zu bestätigen. Denn durch einen Zufall fassten die Kriminalisten bald jenen unbekannten Komplizen, der bislang den Täter des ersten Liebespaarmordes im Februar 1953 gedeckt hatte: Franz L.. Der wusste Details, die sonst nur den Ermittlern bekannt waren, besaß Waffen, war geständig - und bot sich sogar als Kronzeuge im Verfahren gegen B. an. Der habe 1953 Lothar Servé erschossen, erklärte L., und sei auch ansonsten eine zwielichtige Gestalt. Doch so sehr L. seinen Ex-Intimus auch belastete, handfeste Beweise lieferte er nicht. B. sollte sich nach dem Willen der Staatsanwälte trotzdem für 18 Straftaten verantworten, darunter: fünf Morde.

Prozess gegen den "Mann mit der steinernen Maske"

So begann am 3. November 1959 im Saal L 111 des Düsseldorfer Schwurgerichts einer der spektakulärsten Prozesse in der Geschichte der Bundesrepublik - gegen einen Mann, den die Presse schon vorab als "Liebespaarmörder" verurteilt hatte. Der ließ sich von den Vorwürfen in der 58-seitigen Anklageschrift jedoch nicht aus der Ruhe bringen, hatte sich akribisch mit Beweisanträgen und regelmäßigen Wechseln seiner Verteidiger drei Jahre Vorbereitungszeit erarbeitet. So antwortete der Mann, den die "Neue Ruhr Zeitung" als "Mann mit der steinernen Maske" bezeichnete, an den 17 Prozesstagen auf Fragen stets ähnlich: "Ich habe keinen Anteil daran", "Da habe ich nichts mit zu tun", "Ich bin kein Mörder". Eine riskante Strategie, denn der 31-Jährige hatte keinerlei Alibis, Gegenbeweise, Argumente.

Doch auch seine Ankläger konnten ihm in der "Strafsache II 189/57 S 2 Ks 1/59" keinen Mord nachweisen. Handfeste Belege existierten nicht, und die Glaubwürdigkeit des Kronzeugen L. war umstritten - immerhin war der selbst in einen der Morde verwickelt. Als die Öffentlichkeit daher am 14. Dezember das Urteil erwartete, konnten Landgerichtsdirektor Hans Näke und die sechs Geschworenen ihr Urteil auf keine breite Beweislage stellen - sondern nur auf ein "Indiziennetz, das fast nur aus Löchern besteht", wie die "Rheinische Post" schrieb. Richter Näke verurteilte den Angeklagten B. trotzdem zu "lebenslangem Zuchthaus".

Und niemand war damit zufrieden.

Für B. war es das Scheitern seiner Schweigestrategie, er sollte den Rest seines Lebens hinter Gittern verbringen. Doch auch die Staatsanwälte waren frustriert. Richter und Schöffen sahen es aufgrund der Aussagen von Franz L. zwar als erwiesen an, dass B. im Februar 1953 Lothar Servé erschossen hatte. Als "Liebespaarmörder" der Jahre 1955 und 1956 verurteilte das Gericht den Angeklagten B. aber nicht - die brutale Hinrichtung von gleich vier Unschuldigen blieb daher ungesühnt. "Wenn es auch nur schwer vorstellbar ist", erklärte Richter Näke in der Urteilsbegründung, "wir können nicht ausschließen, dass auch ein anderer diese Verbrechen begangen hat."

Genau das hatte auch B. stets behauptet, der an seiner Unschuld auch in den folgenden Jahrzehnten festhielt. Doch alle seine Revisionsanträge wurden abgeschmettert. Als der Kriminologe Stefan Harbort den verurteilten Mörder wegen seiner Recherchen im Oktober 2003 besuchte, äußerte sich der damals 75-Jährige noch einmal zu den Vorwürfen genau wie in seinem Prozess: "Ich war es nicht." Im Juli 1990 hatte ihn die Haftanstalt Schwerte entlassen - nach 34 Jahren Haft.

Quelle : spiegel.de

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