Experten fahnden nach dem Nichtwähler-Phänomen

  23 November 2016    Gelesen: 356
Experten fahnden nach dem Nichtwähler-Phänomen
Wer sind die Nichtwähler? Und wie gewinnt man sie wieder zurück? Die politischen Stiftungen haben nach Antworten gesucht - und sich zum ersten Mal zu einer gemeinsamen Analyse zusammengetan.
Das Erschrecken war groß. Bei Politikern, Wahlforschern und Medienleuten gleichermaßen. Kaum einer hatte den Wahlerfolg von Donald Trump kommen sehen, trotz der zurückliegenden Erfolge der Nationalisten in Frankreich, der Rechtsaußen in den Niederlanden oder auch in Polen.

Der Einzug der AfD in bundesdeutsche Länderparlamente wird gemeinhin immer noch eher als Betriebsunfall gesehen, denn als womöglich tiefer Einschnitt in die gepflegte, konsensbetonte deutsche Nachkriegsdemokratie.

Auch die Stiftungen der bundesdeutschen Parteien, jedenfalls derer, die in den Parlamenten sitzen, haben sich Gedanken gemacht. Friedrich-Ebert-Stiftung (FES), Konrad-Adenauer- (KAS), Heinrich-Böll-, Rosa-Luxemburg-, Friedrich-Naumann- und Hanns-Seidel-Stiftung - über Wochen und Monate, in vielen Sitzungen, beraten von einer Schar illustrer Experten. Woher kommt die steigende Zahl an Nichtwählern? Braucht es ein anderes Politikangebot? Wie bringt man das Wahlvolk wieder an die Urne?

Natürlich haben sie gestritten, etwa über die soziale Spaltung und ihren Beitrag zum Rückzug der Wähler. Die eher linksorientierten Stiftungen betrachten ihn als signifikant, die konservativen Stiftungen als nicht unbedingt zentral. Doch die Not ist groß, und so haben sie am Ende doch einen kleinen gemeinsamen Nenner gefunden. Abgefasst in einem gemeinsamen Papier, dem ersten seiner Art, das sich mit den Ursachen von Wahlenthaltung und möglichen Gegenmaßnahmen beschäftigt.

Die ersten Ergebnisse:

Die Motive für die Wahlenthaltung sind schwierig zu entziffern, den "Nichtwähler" oder die "Nichtwählerin" als bestimmten sozialen Typus oder als spezifisch definierbare Gruppe gibt es nicht. Aber die Zahl der Nichtwähler, die sich an mindestens zwei Wahlterminen nicht beteiligen und dann dauerhaft überhaupt nicht mehr, wächst kontinuierlich.
Die Wahlbeteiligung jüngerer Wahlbeteiligter "liegt teilweise um 20 Prozentpunkte niedriger als die bei älteren Jahrgängen", heißt es in dem Abschlusspapier. Sie steige zwar nach dem Eintritt ins Berufsleben an, doch erreiche sie nicht mehr das Niveau früherer Alterskohorten.
Nicht ganz einig waren sich die Experten in der Soziologie der Nichtwähler. Die Nichtwahl ziehe sich durch alle Alters- und Sozialstrukturen, befand die KAS-Wahlforscherin Viola Neu, der Anteil der Nichtwähler nehme in allen Gruppen gleichmäßig zu. "Nichtwähler verteilen sich homogen durchs Parteienspektrum", so Neu. Anders sah es der Mainzer Politikprofessor Thorsten Faas. Mehrere Studien wiesen aus, dass der stärkste Rückgang der Wahlbeteiligung in strukturell schwachen Stadtteilen erfolgte.

Einen Königsweg zur Steigerung der Wahlbeteiligung gibt es nicht

Entsprechend fiel die Verständigung für das Abschlussfazit aus: Unter jungen Erwachsenen mit geringer formaler Bildung bleibe bei Wahlen inzwischen über die Hälfte zu Hause. Die soziale Asymmetrie sei nicht das alleinige Charakteristikum des Nichtwähler-Spektrums, und doch fänden sich unter den Nichtwählern überproportional viele Menschen, "die ein vergleichsweise niedriges formales Bildungsniveau aufweisen, die einkommensschwach sind, in `prekären Stadtvierteln` und strukturschwachen Regionen leben".

Und der Ausweg? Einen Königsweg zur Steigerung der Wahlbeteiligung gibt es nicht. Bejaht wurde von den Stiftungsexperten immerhin die These, "dass die Wahlbeteiligung steigt, je offener der Wahlausgang und je deutlicher die Richtungen und Alternativen sind", zwischen denen entschieden werden könne. Wenn die Auffassung dominiere, dass sich durch den Wahlausgang kaum etwas ändere und "die Politik" ohnehin ohnmächtig sei, sinke sogleich auch das Interesse an einer Wahlbeteiligung.

Strittig wurden auch frühere Vorschläge der Ex-SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi diskutiert. Sie hatte, nach skandinavischem Vorbild, längere Öffnungszeiten der Wahllokale, mobile Wahllokale, die Stimmabgabe in Shopping-Malls oder auch die verstärkte Zusammenlegung von Wahlterminen vorgeschlagen. Die Conclusio fällt vorsichtig aus: Der föderale Aufbau des Landes biete die Möglichkeit, "in ausgewählten Ländern und Kreisen" einzelne Vorschläge einem Praxistest zu unterziehen.

Mittelgroßes Manko der Analyse: Die jüngere Entwicklung, das heißt die Mobilisierung früherer Nichtwähler, die sich doch wieder haben aufraffen können und ihr Kreuzchen inzwischen bei der AfD hinterlegen, haben die Stiftungsleute nicht mehr erfasst.

Andererseits: Wahlen seien immer auch die Möglichkeit, Unmut auszudrücken, wie es der Mainzer Experte Faas zu Protokoll gab. Protestwähler rekrutierten sich nicht zuletzt aus dem Nichtwähler-Lager. Faas: "Und über sie wissen wir ja einiges."

Quelle : spiegel.de


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