"Ich danke Ihnen, Frau Merkel", sagte der Junge auf Deutsch. "Ich freu mich sehr, sehr viel." Merkel lobte sein Deutsch und ermunterte ihn, weiter zu üben.
Edris war mit Konrad Reuters aus Illingen gekommen, der unter anderem mit Flüchtlingen arbeitet. Der brachte ihn vor zum Podium, denn Edris wollte noch schnell die Hand der Kanzlerin schütteln. Merkel ging lächelnd die Treppe hinunter und reichte dem kleinen Jungen die Hand, der sich vor Aufregung die Tränen abwischte. Merkel drückte ihn - etwas unbeholfen - an sich. Journalisten schossen Fotos.
Der Auftritt rettete die Kanzlerin aus einer ungemütlichen Lage. Denn unter den Parteimitgliedern ging es weniger rührend zu auf der Regionalkonferenz, bei der CDU-Mitglieder aus Baden-Württemberg, Hessen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland zusammenkamen: Von vielen Seiten musste Merkel scharfe Kritik an ihrer Flüchtlingspolitik einstecken.
"Frau Bundeskanzlerin, treten Sie zurück!"
Ulrich Sauer aus Karlsruhe forderte sie gar zum Rücktritt auf. "Frau Bundeskanzlerin, treten Sie zurück!", sagte er in ruhigem, aber bestimmtem Ton. Mit ihrer Flüchtlingspolitik habe Merkel dem Land eine Hypothek aufgeladen, die es so schnell nicht wieder los werde - "und wenn, dann sicher nicht mit Ihnen", sagte Sauer laut "Frankfurter Rundschau".
Merkel hatte kürzlich angekündigt, dass sie wieder als CDU-Vorsitzende kandidieren und ihre Partei als Kanzlerkandidatin in die Bundestagswahl im nächsten Jahr führen wolle. Nicht alle stehen hinter ihrer Entscheidung zu einer vierten Amtszeit.
Während sich infolge von Sauers Kommentar unter den CDU-Vertretern Empörung ausbreitete, blieb die Kanzlerin gewohnt stoisch und verteidigte wiederholt ihre Flüchtlingspolitik. "Ja, wir helfen denen, die unsere Hilfe brauchen, weil sie vor Krieg, Verfolgung und Terrorismus fliehen", beharrte Merkel. "Und das haben wir in bewundernswerter Weise gemacht." Sie betonte gleichzeitig, dass Asylbewerber, die nicht dauerhaft in Deutschland bleiben könnten, in ihre Heimatländer zurückkehren müssten.
Merkel sprach von den Bemühungen, ein neues Wachsen der Flüchtlingszahlen zu verhindern. Dazu gehöre die Unterstützung des Irak und die Bemühung, staatliche Strukturen in Libyen zu schaffen.
Merkel will keinen Wahlkampf wie in den USA
Merkel versuchte eine Brücke zwischen den beiden konträren Erlebnissen zu schlagen: "Mit Herrn Sauer und Herr Reuters haben Sie die gesamte Spannbreite gesehen, mit der in unsere Familien und der Gesellschaft diskutiert wird", erklärte sie den Zuhörern. Insgesamt erntete Merkel überwiegend freundliche Worte.
So konnte der Abend als Symbol gesehen werden für das, was ihr und wohl allen Parteien im Bundestagswahlkampf 2017 bevorsteht. Seit Wochen mahnt Merkel ihre Parteispitze, dass es dabei entscheidend auf den Ton ankomme, um die von Rechts- und Linksaußen nur gewünschte Polarisierung zu verhindern. "Diese Art von Wahlkampf will ich nicht", betont sie mit Verweis auf den hasserfüllten US-Präsidentschaftswahlkampf und erntet in Heidelberg großen Applaus.
Quelle : spiegel.de
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