Es war eines dieser Draghi-Manöver, mit denen er schon oft die Richtung vorgegeben hat, wenn aus seiner Sicht Gefahr für die Eurozone im Verzug war. Und in diesen Tagen kommt die Gefahr aus Italien. Wieder einmal.
Draghis Landsleute stimmen am kommenden Sonntag über eine Verfassungsreform ab, die der Regierung mehr Macht verleihen und weitere Reformen zur Belebung der Wirtschaft erleichtern soll. Doch es steht sehr viel mehr auf dem Spiel: Es geht darum, ob das Land auf Dauer in der Währungsunion bleibt, ob Italien seinen Schuldenberg von 133 Prozent der Wirtschaftsleistung endlich abträgt und ob die Regierung das marode Bankensystem grundlegend saniert.
Weil ein "Nein" zur Reform als wahrscheinlich gilt, sind die Investoren an den Finanzmärkten hochnervös. Abzulesen ist das an dem Risikoaufschlag, den Anleger verlangen, wenn sie in italienische Staatsanleihen investieren. Seit Wochen steigt diese Fieberkurve, und nicht wenige glauben, aus dem schleichenden Rückzug der Geldgeber aus Italien könnte eine Massenflucht werden.
"Die Kapitalflucht aus Italien hat sich in diesem Jahr beschleunigt", warnte kürzlich die Harvard-Ökonomin Carmen Reinhart und zog Parallelen zu der Entwicklung in Griechenland im Frühjahr 2015. Damals verhinderten Kapitalverkehrskontrollen und Milliardenhilfen der EZB einen Kollaps des Bankensystems.
Rettung von Monte dei Paschi steht auf der Kippe
"Eine länger anhaltende Phase politischer Instabilität in Italien wäre das schlechteste Szenario für den Markt, weil es die Reformagenda definitiv stoppen und die Stabilisierung der Banken scheitern lassen würde", sagt Stuart Graham, Chef des britischen Analysehauses Autonomous Research.
Bereits in den Tagen nach der Volksabstimmung dürfte sich das Schicksal der Bank Monte dei Paschi di Siena (MPS) entscheiden, die wie keine andere für den Niedergang Italiens und seine mit faulen Krediten überladenen Banken steht.
Seit Monaten ringt MPS um eine Lösung für ihre Probleme, der aktuelle Plan sieht unter anderem vor, dass private Investoren fünf Milliarden Euro in das drittgrößte Kreditinstitut Italiens stecken. "Wenn die Italiener mit `Nein` stimmen, dürfte eine Rettung der MPS durch private Investoren scheitern", sagt Nicolas Verón, Bankenexperte bei der Brüsseler Denkfabrik Bruegel. Selbst bei einem "Ja" sei die Sanierung kein Selbstläufer.
Die Zeit der Bail-outs ist vorbei - eigentlich
Verón und andere Experten erwarten, dass Regierung und MPS sehr bald nach der Abstimmung eine staatliche Rettung einleiten. Eigentlich ist in der EU nicht mehr vorgesehen, dass Steuerzahler Banken vor dem Zusammenbruch retten. Vielmehr sollen bei Schieflagen Aktionäre, Gläubiger und Kontoinhaber herangezogen werden.
Doch es gibt ein Hintertürchen: Im Rahmen einer so genannten "vorsorglichen Kapitalisierung" kann der Staat unter bestimmten Bedingungen weiterhin mit Geld einspringen, um Schaden vom Finanzsystem abzuwenden. Allerdings müsste die EU-Wettbewerbskommission zu einem solchen Vorgehen ihr Plazet geben, wozu sie bereits im vergangenen Sommer ihre grundsätzliche Bereitschaft signalisiert hat.
Doch ein solcher staatlicher "Bail-out" ist extrem unpopulär. Denn auch als Teil einer solchen Lösung müssten Inhaber bestimmter Bankanleihen auf ihr Geld verzichten. 2008 wurden solche Anleihen mit staatlicher Unterstützung in großem Stil privaten Haushalten als Geldanlage empfohlen. Allein bei MPS halten Kleinanleger derartige Papiere im Wert von rund zwei Milliarden Euro. Würden diese Kleinsparer nicht entschädigt, könnte ein Sturm auf die Banken einsetzen und die Probleme auch anderer Banken verschärfen, fürchtet Graham.
Auch Unicredit ist in Schieflage
Denn auch die größte Bank des Landes, Unicredit, braucht frisches Kapital, bis zu 13 Milliarden Euro will sie in den kommenden Wochen einsammeln. Der Plan wäre bei einem Scheitern der MPS-Rettung gefährdet. Weitere schwache Glieder in der Kette wären Kreditinstitute in Spanien, Portugal oder Griechenland, die ebenfalls unter faulen Krediten ächzen und dünne Kapitalpolster haben.
Greift die Krise weiter um sich und stellen Investoren den Bestand der Eurozone infrage, würde sich der Blick auf alle Banken der Währungsregion richten. Bei einem Auseinanderbrechen des Euro drohten europäische Banken im Durchschnitt ein Drittel ihres Wertes verlieren, hat Autonomous Research errechnet, eine ganze Reihe großer Banken könnte zusammenbrechen.
Die Rufe nach einer umfassenden Sanierung der italienischen Banken, um einen solchen Flächenbrand zu vermeiden, werden vor dem Referendum lauter. "Die EZB sollte einen großflächigen Stresstest durchführen, sodass 95 Prozent der Branche erfasst sind", fordert Bruegel-Ökonom Verón. Einige Banken müssten dann ihr Kapital stärken, andere abgewickelt werden.
"Die Gefahr ist groß, dass die Probleme bei der EZB abgeladen werden"
In der neuen europäischen Bankenabwicklungsbehörde sieht man das dem Vernehmen nach ähnlich. Doch wahrscheinlicher ist, dass die italienische Regierung, wie auch immer sie künftig aussehen wird, eine solche Grundsanierung scheut, schon allein, weil sie die Staatsschulden weiter in die Höhe treiben würde. Nach Schätzungen von Autonomous würde es den Staat etwa 33 Milliarden Euro kosten, die derzeit wackelnden Banken zu stabilisieren.
"Die Gefahr ist groß, dass die nach einem negativ ausfallenden Referendum auftretenden Probleme erneut bei der EZB abgeladen werden", fürchtet Jörg Krämer, Chefökonom der Commerzbank. Er erwarte, dass die EZB ihr Anleihekaufprogramm als Reaktion auf das Referendum bei ihrer Sitzung am kommenden Donnerstag verlängert, sie könne dies mit der anhaltend niedrigen Inflation in der Eurozone begründen. Einen Sturm auf die Banken wie 2015 in Griechenland werde es daher wohl nicht geben, "weil die Leute wissen, dass EU und EZB Italien nicht fallenlassen würden".
Für Italien wäre eine Fortsetzung oder gar Ausweitung der Anleihekäufe ein Segen: Der IWF hält die Schulden des Staates nur unter optimistischen Annahmen noch für tragbar, maßgeblich hänge dies an einem anhaltend niedrigen Zinsniveau. Das brauchen auch die Banken. In ihren Bilanzen liegen italienische Staatsanleihen im Volumen von Hunderten Milliarden Euro, die an Wert verlören, wenn die Zinsen stiegen.
Italien ist das Pulverfass, das die Eurozone sprengen könnte. Verliert Renzi das Referendum, brennt die Lunte. Doch die EZB steht mit dem Feuerlöscher bereit.
Quelle : spiegel.de
Tags: