Kritik am Doppelpass - das sind die Fakten

  07 Dezember 2016    Gelesen: 591
Kritik am Doppelpass - das sind die Fakten
Überraschung auf dem CDU-Parteitag: Die Christdemokraten wollen den seit 2014 geltenden Kompromiss zur doppelten Staatsbürgerschaft kippen. Was genau bedeutet das?
Zuletzt brachten Massendemos für den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan die doppelte Staatsbürgerschaft in Deutschland wieder auf die Agenda. Die Kundgebung Zehntausender Erdogan-Anhänger in Köln führte zu der Frage: Sind Deutschtürken loyal zur Bundesrepublik? Ist der Doppelpass noch zeitgemäß?

Jetzt rührt die Junge Union (JU) wieder an dem Streit, den CDU, CSU und SPD nach langem Ringen 2014 beendet hatten: Der Kompromiss der Großen Koalition erlaubte den Doppelpass, in engen Grenzen. Doch auf dem CDU-Parteitag in Essen gelang es der JU, sich knapp durchzusetzen: Kinder von Migranten sollen sich künftig wieder zwischen zwei Pässen entscheiden müssen, so die neue CDU-Linie. Für die Parteiführung um Angela Merkel eine Überraschung.

Heißt das, der Doppelpass wird in Kürze abgeschafft?

Nein, davon ist nicht auszugehen. Zwar unterstützt auch die CSU schon länger diese neue Forderung ihrer Schwesterpartei, doch die Sozialdemokraten sind strikt gegen eine Änderung des Gesetzes. Deshalb wird zumindest unter der aktuell regierenden Großen Koalition alles beim Alten bleiben. So erklärte Unionsfraktionschef Volker Kauder auf dem CDU-Parteitag - ohne die Abstimmung zum Doppelpass ausdrücklich zu nennen - dass nicht alle CDU-Positionen in einer Koalition umsetzbar seien.

Und weiter: Seine Fraktion nehme alle Beschlüsse des Parteitags ernst, aber in der Union sei allein die CSU in der Lage, Parteitagsbeschlüsse eins zu eins umzusetzen, da sie in Bayern mit absoluter Mehrheit regiere. Auch nach der Bundestagswahl 2017 dürfte die Union im Falle eines Wahlsiegs Schwierigkeiten haben, einen Koalitionspartner zu finden, mit dem sie sich auf die Abschaffung des Doppelpasses verständigen könnte.

Wie ist derzeit die Gesetzeslage?

Bis zum Jahr 2000 war der Fall klar: Im Staatsangehörigkeitsgesetz von 1913 galt das Blutrecht. Deutscher war, wer einen deutschen Elternteil hatte. Für eine Einbürgerung musste man mindestens 15 Jahre in der Bundesrepublik gelebt haben.

Im Jahr 2000 wurde das Gesetz auf Initiative der rot-grünen Bundesregierung um das Geburtsortsprinzip ergänzt: Wenn ein Elternteil seit mindestens acht Jahren in Deutschland lebt und ein unbefristetes Aufenthaltsrecht genießt, erwirbt das Kind die deutsche Staatsangehörigkeit. Auch für eine Einbürgerung wurde die vorausgesetzte Aufenthaltsdauer in Deutschland von 15 auf acht Jahre gesenkt. Seit einer weiteren Reform 2008 müssen Einbürgerungskandidaten aber ausreichende Deutschkenntnisse nachweisen und einen Einbürgerungstest bestehen.

Umgekehrt gilt: Nimmt ein deutscher Staatsbürger eine weitere Staatsangehörigkeit an, verliert er in der Regel seine deutsche Staatsangehörigkeit.

Trotzdem ist Mehrstaatlichkeit Alltag in Deutschland. Denn Kinder, die einen deutschen und einen ausländischen Elternteil haben, erwerben in der Regel per Geburtsrecht beide Staatsangehörigkeiten - und können diese auch behalten. Gleiches gilt seit Ende 2014 auch für Kinder ausländischer Eltern, die seit mindestens acht Jahren in Deutschland leben. Mit dem Wegfall der sogenannten Optionspflicht müssen sich die Kinder seither nicht mehr zwischen dem 18. und 23. Lebensjahr für einen Pass entscheiden, wenn sie sich bis dahin acht Jahre in der Bundesrepublik aufgehalten haben.

Ausnahmen gelten zudem für die Staaten der Europäischen Union und die Schweiz - nicht aber für die Türkei. Ebenso gibt es Länder, die ihre Bürger nicht aus der Staatsbürgerschaft entlassen - etwa Afghanistan, Iran, Libanon, Marokko und Tunesien.

Was bedeutet das konkret für Deutschtürken?

Wenn Türken sich in Deutschland einbürgern lassen wollen, dabei aber ihren türkischen Pass behalten möchten, müssen sie nachweisen, dass ihnen durch die Aufgabe der türkischen Staatsangehörigkeit in der Türkei unzumutbare Nachteile entstehen würden. In den vergangenen drei Jahren haben jeweils nur rund 17 Prozent der Türken, die sich in Deutschland haben einbürgern lassen, ihre türkische Staatsbürgerschaft behalten. 2015 waren es 3448 von 19.674 Fällen.

Wie viele Doppelstaatler leben in Deutschland?

Im Zensus 2011 wurde zum bislang ersten und einzigen Mal festgehalten, wie viele Deutsche mindestens einen weiteren Pass hatten - zum Stichtag am 9. Mai 2011 waren das demnach knapp 4,3 Millionen Personen.

Davon hatten 690.000 Deutsche zusätzlich die polnische, 570.000 die russische und 530.000 die türkische Staatsangehörigkeit.

Zum Vergleich: Gleichzeitig lebten 1,5 Millionen Türken ohne deutschen Pass in der Bundesrepublik, die meisten von ihnen mit unbefristetem Aufenthaltsrecht. Rund 800.000 türkischstämmige Menschen hatten nur den deutschen Pass. Derzeit hat also weniger als ein Fünftel der türkischstämmigen Menschen in Deutschland zwei Pässe.

Dürfen Doppelstaatler in beiden Ländern wählen?

Deutschtürken mit zwei Pässen dürfen sowohl in Deutschland als auch in der Türkei wählen. Türken ohne deutschen Pass dürfen anders als EU-Bürger nicht einmal an Kommunalwahlen teilnehmen.

Laut einer repräsentativen Umfrage der AKP-nahen Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD) stimmten bei der Bundestagswahl 2013 64 Prozent der türkischstämmigen Wähler für die SPD. Grüne und Linke holten jeweils zwölf Prozent, die Union kam nur auf sieben Prozent.

Seit der Präsidentenwahl 2014 können türkische Staatsbürger in Deutschland in den Konsulaten ihre Stimmen abgeben. Bei der jüngsten Parlamentswahl am 1. November 2015 wählten 59,7 Prozent der 570.000 türkischen Wähler in Deutschland die türkische Regierungspartei AKP (von rund 1,4 Millionen Wahlberechtigten). Damit war ihr Anteil deutlich höher als in der Türkei selbst, wo die Partei etwas mehr als 49 Prozent der Stimmen holte. Solch ein starkes Ergebnis wie in der Bundesrepublik erzielte die AKP in keinem anderen europäischen Land. Unklar ist, wie viele AKP-Wähler neben dem türkischen auch den deutschen Pass hatten.

Wie ist das mit der Wehrpflicht?

Die Türkei erkennt bei jungen Türken mit einer zweiten Staatsbürgerschaft den in einem anderen Land geleisteten Wehrdienst als Abgeltung der türkischen Wehrpflicht an. Türken mit deutscher Staatsangehörigkeit konnten also bis zur Aussetzung der Wehrpflicht in der Bundesrepublik mithilfe von Bundeswehr oder Zivildienst der türkischen Armee entkommen. Seit dem Ende der Wehrpflicht in Deutschland sind Deutschtürken mit Doppelpass verpflichtet, Dienst in der türkischen Armee zu leisten - dieser dauert sechs oder zwölf Monate. Türken im Ausland können sich aber gegen Zahlung von 6000 Euro vom Wehrdienst freikaufen. Dadurch hat der türkische Staat in den vergangenen 20 Jahren weit mehr als eine Milliarde Euro eingenommen.

Quelle : spiegel.de

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