Schwestern finden sich nach 40 Jahren wieder

  22 Dezember 2016    Gelesen: 799
Schwestern finden sich nach 40 Jahren wieder
Eine Frau zieht mit ihrem Mann ins Seniorenheim. Es wird eine Umstellung sein, denkt sie, so viele unbekannte Gesichter. Dann trifft sie ihre verloren geglaubte Schwester.
Hedwig Horsch ist 82 Jahre alt. Seit eindreiviertel Jahren lebt sie mit ihrem Mann in einem Altenheim in Mannheim. Am 6. Dezember nimmt Hedwig wie gewohnt Platz am Abendbrottisch ihrer Wohngruppe. Ihr gegenüber sitzt eine neue Mitbewohnerin mit ihrem Ehemann.

Irgendwie, denkt Hedwig, kommt mir diese Frau bekannt vor. Sie fasst sich ein Herz und fragt nach dem Namen. "Annelore ohne `H`", antwortet ihr Gegenüber. Der Nachname? "Schmitz." Und da beginnt Hedwig Horsch zu verstehen: Ihre Tischnachbarin ist viel mehr als eine neue Mitbewohnerin. Es ist ihre verloren geglaubte Schwester.

40 Jahre lang haben sich die beiden Frauen nicht mehr gesehen. Jetzt hat der Zufall sie am Ende ihres Lebens wieder zusammengeführt. "Ich habe Gänsehaut bekommen", erzählt Annelores Tochter Hiam, die im Moment des Erkennens mit am Tisch saß.

Geradezu ein Wunder, dass sie in dieselbe Gruppe eingeteilt wurden. Denn bei etwa hundert Bewohnern in der Einrichtung "hätten wir uns vielleicht nicht wiedererkannt", sagt Annelore Al-Ghazal, die mit einem Iraker verheiratet ist.

Jetzt sind die beiden Schwestern unzertrennlich. In 26 Jahren, die er in der Altenpflege tätig ist, habe er so etwas noch nicht erlebt, erzählt Heimleiter Bernd Nauwartat. Dennoch lässt auch er keinen Zweifel daran, dass die Geschichte stimmt - ebenso wie der Heimbetreiber, die Caritas.

Aber 40 Jahre ohne Kontakt, wie kam das? Es gab keinen Streit, keinen Ärger, beteuern beide. "Ich weiß es selber nicht", sagt Annelore, die Ältere. Sie ist seit fast 50 Jahren verheiratet. Ihre Schwester aber heiratete zweimal, wechselte dadurch den Nachnamen, beide zogen mehrfach um, und als die älteste Schwester der ursprünglich drei Geschwister im Jahr 2008 starb, kam Hedwig nicht zur Beerdigung. "Meine Schwester ist tot", dachte Annelore irgendwann.

Dass Annelore und Hedwig viele Jahre gar nicht weit weg voneinander wohnten - die eine in Mannheim und die andere lange im 13 Kilometer entfernten hessischen Viernheim -, das ahnten beide nicht. Das Leben war turbulent, der Gedanke an die Schwester immer da, aber auch nicht omnipräsent. "Ich konnte sie halt einfach nicht finden", sagt Annelore.

Jetzt kommen alte Erinnerungen zurück. An die Kindheit, an Weihnachtsfeste bei der Großmutter in der Nachkriegszeit. Wie es war, als der Vater 1948 aus Kriegsgefangenschaft wiederkehrte. Wie es war, als die Mutter mit nicht einmal 42 Jahren an einem Hirntumor starb. Wie es war, als man noch zusammen war. "Die Hedwig, das war die Wilde, die Freche", sagt Annelore. "Die Annelore, das war die Redegewandte", sagt Hedwig.

"Es ist toll, die beiden reden viel, wärmen alte Geschichten auf", sagt Annelores Tochter Hiam. "Kannst du dich an dies erinnern? Kannst du dich an das erinnern?", seien die Fragen, die die beiden betagten Frauen beschäftigten.

Über die Zeit, die sie ohne einander verbracht haben, reden die beiden nicht so viel. Die letzten Jahre wollen sie wieder als Schwestern verbringen und Weihnachten gemeinsam feiern. Am Ende ihres Lebens steht noch mal ein Anfang.

Quelle : spiegel.de

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