Der Wut eine Chance

  26 Dezember 2016    Gelesen: 739
Der Wut eine Chance
Angst und Wut gelten nach dem Anschlag in Berlin als unangemessen. Dass uns Politiker sagen, wie wir zu reden haben, das kennen wir. Dass einem gesagt wird, was man fühlen soll, ist neu.
Zwei Stunden nach dem Anschlag in Berlin wusste Katrin Göring-Eckardt schon, was die angemessene Reaktion ist: "Trauer und Mitgefühl. Nichts sonst jetzt!", schrieb die Fraktionsvorsitzende der Grünen auf Twitter. Dass uns Politiker mitteilen, wie wir reden sollen, das kennen wir. Dass man uns sagt, was wir zu denken haben: Auch das kommt gelegentlich vor. Aber dass einem vorgeschrieben wird, was man fühlen soll, das ist neu.

Auch Angst gehört zu den Gefühlen, die man nicht mehr haben soll. "Angst!" stand am Morgen nach dem Anschlag auf der ersten Seite der "Bild"-Zeitung, was sofort die Medienkritik auf den Plan rief, um der "Bild"-Chefredakteurin Tanit Koch "Angstmache" vorzuwerfen. Sogar Kollegen, die eben noch die Furcht vor amerikanischem Hühnerfleisch fest im Griff hielt, erklären nun, wie wenig sie der Terror beeindrucke. Jeder Berliner, der sich aus dem Haus traut, und sei es nur, um beim "Späti" die Biervorräte aufzufüllen, gilt als Beweis für die Kaltblütigkeit des Hauptstadtbewohners. Wenn das so weitergeht, werden demnächst wieder Tapferkeitsmedaillen wegen Unerschrockenheit vor dem Feinde ausgegeben.

Jetzt mal nicht so christlich gedacht

Ich weiß, das ist jetzt nicht besonders christlich gedacht: Aber aus meiner Sicht sind Wut und Empörung als Reaktion auf den Anschlag mindestens so naheliegend wie Trauer und Mitgefühl. Ich hätte zum Beispiel nichts dagegen, wenn Leute, die ihre Ausweispapiere wegwerfen, damit man sie nicht ausweisen kann, solange bei Brot und Wasser einsitzen, bis ihnen wieder einfällt, wo sie herkommen. Ich fände es auch nicht schlimm, wenn man jemanden, der sich die Zeit bis zu seiner Abschiebung mit Drogenhandel und Schlägereien vertreibt, in Gewahrsam nehmen würde. Deshalb heißt diese Kolumne ja auch der "Schwarze Kanal" und nicht "Im Zweifel links".

Ich sehe ein, dass man nicht mit Wut im Bauch Politik machen sollte. Mir gefällt an Angela Merkel, dass sie noch in den schwierigsten Situationen einen kühlen Kopf behält. Immer wenn sie sich von Gefühlen leiten ließ, ging es schief. Das war so, als sie die Atomwende ausrief, ohne sich darüber Gedanken zu machen, woher ein Land wie Deutschland stattdessen seinen Strom bekommt. Auch bei der Entscheidung, die Kontrollen an den Grenzen zu suspendieren, hat sie nicht richtig nachgedacht. Aber darf man sich deshalb als Bürger nicht, ganz emotionslos, vom Staat ein bisschen mehr Härte als Antwort wünschen?

Sollte Politik nicht aus Fehlern lernen?

Überall kann man jetzt lesen, dass die beste Weise, mit dem Terror fertig zu werden, darin bestehe, so weiterzumachen wie bisher. Wenn wir unser Leben ändern, heißt es, haben die anderen gewonnen. Wer wie Horst Seehofer die Sicherheitsgesetze neu justieren will, spielt dieser Logik zufolge dem Terrorismus in die Hände. Beziehungsweise instrumentalisiert den Terror zu politischen Zwecken, was auf das Gleiche hinausläuft. In jedem Fall macht er sich zum Helfershelfer des Bösen.

Ich dachte, dass es die Aufgabe von Politik sei, aus Fehlern zu lernen. Wenn ich lese, dass jemand als Asylbewerber frei herumlaufen kann, der erst ein Aufnahmelager in Brand steckt, dann bei einem V-Mann der Polizei versucht, an Sprengstoff und Waffen zu kommen, und auch ansonsten jeden Anlass gibt, ihn umgehend hinter Gitter zu setzen, dann wäre die Verteidigung des Status quo nicht das Erste, was mir einfallen würde.

Tatsächlich hat die Polizei bei der Verhinderung des Terroranschlags nicht versagt, weil sie den Attentäter Anis Amri für ungefährlich hielt - die Polizei ist gescheitert, weil es keine Handhabe gab, ihn festzusetzen. Als ihn Ende Juli eine Streife mit gefälschten Papieren aufgriff, kam er auf Anweisung eines Richters für ein Wochenende in Haft. Alle Versuche, ihn länger festzuhalten, scheiterten, weil der Tunesier außer dem gefälschten Pass keine weiteren Papiere bei sich trug.

Wut und Empörung - aber richtig

Eine sogenannte Sicherungshaft ist nur möglich, wenn die Aussicht besteht, dass das Heimatland eines abgelehnten Asylbewerbers binnen drei Monaten ein gültiges Ausweisdokument ausstellt. Ist das, wie im Fall Tunesiens, nicht zu erwarten, kommt der Verdächtige wieder auf freien Fuß. Das ist die Lage, von der es jetzt in Reaktion auf den Vorstoß aus Bayern heißt, dass sie keiner "Neujustierung" bedürfe.

48 Stunden, nachdem Anis Amri zwölf Menschen mit einem Laster zu Tode gebracht hatte, demonstrierten am Breitscheidplatz ein paar Hundert Berliner gegen "die rechte Instrumentalisierung und rassistische Hetze in unmittelbarer Nähe des Tatorts", so berichteten es die "Tagesthemen". "Wir wollen ein Zeichen setzen, wir wollen zeigen, dass wir Berlin, den Hardenbergplatz, den Breitscheidplatz und unser Land nicht den Nazis überlassen", rief der grüne Bundestagsabgeordnete Özcan Mutlu ins Mikrofon.

Wenn es gegen die Instrumentalisierung durch die falsche Seite geht, müssen Trauer und Mitgefühl für einen Augenblick zurücktreten. Dann dürfen sich auch einmal kurz Wut und Empörung Gehör verschaffen.


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