Er wurde nach Kriegsende in einem Waldstück in der Nähe von Flensburg von britischen Offizieren gefasst. Der Leutnant stutzte, als er die Stimme des Mannes hörte, die er während des Krieges im britischen Rundfunk unter dem Namen Lord Haw-Haw gehört hatte. Leicht näselnd.
Eine höhnische, sarkastische, bedrohliche Stimme, die britischen Soldaten den Mut nehmen sollte. Die begeistert über Hitlers Erfolge berichtete. Die Churchill schmähte. Alle auf der Insel kannten sie.
Dazu kam diese Narbe, die vom rechten Mundwinkel bis hinauf zum Ohrläppchen lief. "Sie sind nicht zufällig William Joyce?", fragte er ihn. Es gab in Goebbels` Propaganda-Apparat mehrere Lords Haw-Haw, aber Joyce war, nach Goebbels` Ansicht, der effektivste. "Jairmany calling, Jairmany calling", war der näselnde Signalruf durch den Äther, mit dem er seine Sendungen begann.
Joyce, gebürtiger New Yorker, wuchs in Irland und London heran, wo er bald in Oswald Mosleys faschistischer Partei Karriere machte. Er galt als glänzender Redner. Der Schriftsteller Cecil Roberts beschrieb ihn als "mitreißend in seiner Dynamik, so offensiv, von so ätzender Schärfe".
Als Mosley ihn ausbootete und sich die Lage auf dem Kontinent später zuspitzte, setzte sich Joyce 1939 nach Deutschland ab. Er fand schnell Anstellung unter der Ägide von Goebbels` Propagandaministerium und sendete den Krieg hindurch von Hamburg aus, bis die Stadt Anfang Mai 1945 von britischen Truppen besetzt wurde.
Seine letzte Sendung produzierte er am 30. April 1945 aus dem Hamburger Hotel Vier Jahreszeiten, nachdem er vorher den Weinkeller geplündert hatte. Er schloss hörbar betrunken mit einem trotzigen "Heil Hitler".
"Er leistet uns unschätzbare Dienste"
"Germany calling" wurde von zeitweise mehr als sechs Millionen Engländern gehört, obwohl seine Propaganda viele abstieß, auch weil hier die Namen von britischen Kriegsgefangenen in Deutschland verlesen wurden, Briefe, Kurzinterviews, alles, was die Familien der Soldaten zu Hause brennend interessierte. Zahlreiche Briten, vor allem in den unteren Schichten, hörten gern den professionell gemachten Spott über ihre Obrigkeit. Auch bei London-kritischen Iren hatte der irischstämmige Joyce viele Fans.
Befriedigt notierte Goebbels am 26. April 1940, nachdem er einen amerikanischen Artikel über Lord Haw-Haw gelesen hatte: "Er ist tatsächlich eine Art von Weltberühmtheit geworden. Und leistet uns unschätzbare Dienste."
Man kann die dreißiger und vierziger Jahre als die Radio-Dekaden bezeichnen. Es waren Roosevelts Kaminfeuergespräche, die den Amerikanern während der Großen Depression Mut zusprachen und sie durch die Kriegszeiten führten. Es waren Hitlers und Goebbels` aufpeitschende Tiraden am Volksempfänger, die bei Deutschen hysterische Begeisterung entfachten.
Und es war Churchill, der schon drei Tage nach seinem Antritt als Premier verkündete: "Ich habe nichts anzubieten als Blut, Mühsal, Tränen und Schweiß."
"Sumpf von Blut und Verbrechen"
Das deutschsprachige Programm der BBC war eine wichtige Informationsquelle für viele Deutsche, obwohl die Nazis dessen Hörern mit Zuchthaus und Todesstrafe drohten. Der prominenteste Deutsche, der in der BBC zu seinen Landsleuten sprach, war Thomas Mann. Der Schriftsteller geißelte den "Sumpf von Blut und Verbrechen" des Nazi-Regimes und etwa dessen "Massaker in Polen". Das Radio war zum wichtigsten Propagandamittel geworden, und die Nazis setzten es geschickt ein.
Neben Lord Haw-Haws Hetze gab es seit Dezember 1939 das französischsprachige "Radio Humanité", das vorgab, ein kommunistischer, in Frankreich operierender Sender zu sein, in Wahrheit aber von Goebbels ins Leben gerufen worden war. Sein Ziel war es, mit Parolen gegen den "kapitalistischen Krieg" die Moral der Franzosen zu schwächen und später, während des Westfeldzugs, Angst und Schrecken unter Soldaten und Zivilbevölkerung zu verbreiten und sie zur Massenflucht zu bewegen.
Triumphierend schrieb Goebbels in seinem Tagebuch am 10. Februar 1940: "Die Franzosen suchen krampfhaft unseren Geheimsender." "Radio Humanité" war offenkundig so überzeugend in seiner Propaganda - Aufkündigung der Koalition mit den Briten, Mobilmachung gegen den imperialistischen Krieg und das internationale Kapital -, dass es selbst Deutsche irritierte.
Verrat von Wahrheit und Prinzipien
Der Bedarf an fähigen Stimmen und Verfassern für die Rundfunk-Propaganda im feindlichen Ausland wuchs in den ersten Kriegsjahren. Goebbels kamen da Persönlichkeiten aus der kommunistischen Arbeiterbewegung gerade recht. Zu ihnen gehörte Ernst Torgler, dessen Biografie in einem für das Jahrhundert der ideologischen Korrumpierungen geradezu beispielhaften Zickzack verlief.
Zunächst Fraktionsvorsitzender der KPD im Deutschen Reichstag, stellte er sich gegen den Willen der KPD-Führung nach dem Reichstagsbrand freiwillig der Polizei, wurde wegen Hochverrats angeklagt, schließlich freigesprochen und von der KPD 1935 aus der Partei ausgeschlossen.
Seit Kriegsbeginn ließ sich Torgler für NS-Propaganda einspannen. Er verfasste kommunistische Agitationstexte gegen Frankreich und Großbritannien. Von Anfang 1941 bis zum Ende des Krieges arbeitete er für die "Haupttreuhandstelle Ost", eine NS-Behörde mit Hauptsitz Berlin, deren Zweck die Ausplünderung jüdischen und polnischen Eigentums in den annektierten Ostgebieten war.
Sein damaliger Chef Max Winkler verwendete sich nach dem Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 für Torgler, der aufgrund seiner politischen Herkunft in Verdacht geraten war. Nach dem Krieg bemühte sich Torgler, dieser typisch deutsche Opportunist, vergebens um die Wiederaufnahme in die KPD, trat dann aber, 1949, in die SPD ein.
Die Natur der Propaganda ist oft der Verrat von Wahrheit und Prinzipien. Insofern ist Ernst Torglers Biografie die mustergültige eines Propagandisten aus dem blutigen Jahrhundert der Ideologien. Ihr Mittel war das Radio, die gestaltlose, bohrende, hypnotisierende Stimme im Äther, die die Phantasie stimuliert wie nichts sonst.
Die Briten verfuhren mit William Joyce, dem hämischem Lord Haw-Haw, weniger gnädig als die Deutschen mit Torgler - sie hängten ihn am 3. Januar 1946 im Gefängnis von Wandsworth.
Quelle : spiegel.de
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