Ihr Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) heftete sich zu jener Zeit sogar einen Button ans Revers: "Wir helfen" stand darauf, als Teil einer Kampagne der "Bild"-Zeitung, und in kleiner Schrift daneben: "#refugeeswelcome". Gabriel trug den Anstecker für alle sichtbar im Bundestag. Es gab ein bisschen Aufregung - dass jemand ihn aufgefordert hätte, den Spruch im Parlament abzunehmen, ist nicht bekannt.
Anders erging es nun einer 13-jährigen Schülerin. Das Mädchen besuchte an diesem Donnerstag zusammen mit ihrer Klasse auf Einladung der SPD-Abgeordneten und Bundestagsvizepräsidentin Ulla Schmidt das Reichstagsgebäude - und bekam wegen ihres Pullovers Probleme.
Weil auf dem Pulli groß der Schriftzug "Refugees welcome" prangte, hielt eine Mitarbeiterin des Sicherheitspersonals die Schülerin am Eingang auf. Eintreten durfte sie erst, als sie den Reißverschluss ihrer Jacke schloss, sodass der Slogan nicht mehr zu sehen war. So berichtet es die Mutter des Mädchens, die die Tochter nach dem Vorfall kontaktiert hatte.
Die Mutter wundert sich. "Mich irritiert das Signal, das die Bundestagssecurity an meine heranwachsende Tochter sendet", sagte sie. "Meine Tochter besucht als politisch interessiertes Mädchen, das sich in ihrer Freizeit für Flüchtlinge engagiert, den Bundestag. Und dann darf sie dort eine Botschaft der Menschlichkeit, die ja kein parteipolitisches Statement enthält, nicht sichtbar tragen. Dass das gerade an einem Ort wie dem Bundestag, der ja für die Meinungsfreiheit und für das im Grundgesetz verankerte Recht auf Asyl steht, passiert, finde ich unverständlich."
SPD-Politikerin Schmidt erklärt dem Mädchen die Entscheidung
Die Bundestagsverwaltung bestätigte den Vorgang und rechtfertigt das Einschreiten. Die Hausordnung lege einen Verhaltenskodex fest, der auch für Besucher des Hauses gelte, sagte eine Sprecherin. "Das Ziel dieser Bestimmungen ist die Wahrung der Würde des Parlaments und der Schutz der parlamentarischen Arbeit vor Störungen durch sich in den Gebäuden des Deutschen Bundestags aufhaltende Personen, zum Beispiel durch Besucher." Der Meinungsaustausch und die politische Meinungsbildung fänden durch Debatten in den parlamentarischen Gremien statt. Meinungsbekundungen - etwa durch Spruchbänder, Flugblätter oder eben Teile der Bekleidung - seien dagegen ungeachtet ihres Inhalts im Parlament untersagt.
Die Schülerin selbst sprach während ihres Besuchs im Bundestag die SPD-Politikerin Schmidt auf den Vorfall am Eingang an. Die Bundestagsvizepräsidentin sagte SPIEGEL ONLINE: "Ich habe dem Mädchen zunächst geantwortet, dass ich es toll finde, dass sie beim Thema Flüchtlinge Flagge zeigt. Aber es gibt eine Verständigung des Bundestags, dass politische Symbole und Statements im Gebäude nicht offen getragen werden sollen."
Kritik am Vorgehen der Security
Aus dem Büro der Abgeordneten hieß es zudem, Schmidt habe die Schülerin darauf hingewiesen, dass diese Regeln für alle politischen Richtungen gelten würden. Damit solle auch verhindert werden, dass etwa Anhänger von rechtsextremen Parteien ihre Slogans zeigten. Die Erklärung Schmidts habe ihre Tochter "als ermutigend" wahrgenommen, sagte die Mutter der Schülerin.
Kritik an dem Vorgehen der Security gibt es dennoch: Das Verhalten der Sicherheitsleute im Bundestag sei "absolut unverhältnismäßig", sagte die Pädagogin und Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor, die den Fall öffentlich gemacht hatte. "Der Deutsche Bundestag steht sinnbildlich für die Politik im Land, und es ist absurd, dass er einer Schülerin, die ja gerade einen nicht diskriminierenden und nicht ausgrenzenden Slogan trägt, den Zutritt verbieten will."
Die CDU-Abgeordnete Cemile Giousouf nannte das Vorgehen des Sicherheitspersonals unter Verweis auf die Hausordnung des Bundestags "juristisch gerade noch vertretbar", aber "sehr hart".
Dass das Sicherheitspersonal Besucher des Bundestags wegen vermeintlich unangemessener Botschaften auf der Kleidung aufhält, kommt immer wieder mal vor. So wurde etwa vor einigen Jahren ein Schüler aus Hessen an der Sicherheitsschleuse aufgefordert, ein T-Shirt mit der Aufschrift "Make love not war" auszuziehen und falsch herum anzuziehen.
Der Grünen-Abgeordnete Omid Nouripour hatte sich damals laut "taz" mit einem Brief an Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) gewandt und die Entscheidung kritisiert: Sie sei "deutlich überzogen" und "kontraproduktiv". Nouripour forderte damals: Lammert müsse die Praxis der "Kleidungskontrolle" an den Eingängen des Bundestags dringend überprüfen lassen.
Quelle : spiegel.de
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