Jetzt geht’s ans Eingemachte

  04 Februar 2017    Gelesen: 730
Jetzt geht’s ans Eingemachte
Meine Oma tat es ständig, meine Mutter nur ab und zu und ich überhaupt nicht mehr. Dabei ist Einwecken absolut Trend: Männer mit Hipsterbart und Dutt bringen ihre Schöpfungen auf Tauschbörsen unters bewundernde Volk.
Selbermachen ist in. Geht aber auch bequemer, heutzutage kann man nämlich das Selbermachen machen lassen; das Internet macht’s möglich. Selbst Omas Einwecken ist zum Geschäftsmodell geworden, Startups schießen in Großstädten wie Pilze aus dem Boden und bringen ihre Gläser mit Möhreneintopf, Rinderrouladen oder Hähnchen-Curry online an den Mann resp. die Frau. Echte Selfmader allerdings schnippeln, rühren und kochen selbst ein. Inzwischen gibt es sogar Tauschbörsen, zum Beispiel in Berlin, Köln, München und Hamburg, wo man mit der selbst gemachten Marmelade unterm Arm hin marschiert und mit von anderen Selbermachern selbst gemachtem Eingemachten wieder rauskommt. "Food Swap" nennt sich diese Mode und ist wie so vieles, was zumindest zeitweise in ist, aus den USA zu uns herübergeswapt.

Die Gründe für all die rührenden Tätigkeiten sind unterschiedlich. Von jeher war das Anlegen von Vorräten ein menschliches Grundbedürfnis: Vorräte gaben die Sicherheit, in nahrungsarmen Jahreszeiten oder in Notzeiten nicht hungern zu müssen. Einkochen und Einfrieren wurden allerdings erst in der Neuzeit erfunden. Zuvor sorgte man vor durch Dörren in der Sonne oder Trocknen im Schatten, durch Einsalzen, Einsäuern oder Eindicken in Zuckerwasser. Schriften des römischen Universalgelehrten Marcus Terentius Varro (116 – 27 v. Chr.) überlieferten, dass die antiken Römer Traubensaft durch Kochen eindickten und darin Früchte einlegten oder andere Nahrungsmittel in abgekochten Salzlösungen aufbewahrten. Doch all diese Ergebnisse menschlichen Erfindergeistes, um zersetzende Mikroorganismen fernzuhalten, haben auch ihre Tücken: Gedörrtes verliert an Aroma, der viele Zucker beim Eindicken überdeckt den eigentlichen Geschmack des Lebensmittels und Einsalzen oder starkes Pökeln macht die Nahrungsmittel zu salzig und dadurch ungenießbar, so dass durch Wässern ein Teil des Salzes wieder ausgeschwemmt werden muss – leider auch Nährstoffe. Die Methoden unserer Altvorderen sind dennoch aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken – oder wollen Sie auf unser täglich Brot verzichten? Ohne die Getreidetrocknung nämlich hätten wir gar kein Brot. Im Unterschied zu den vergangenen Jahrhunderten ist das Haltbarmachen von Lebensmitteln wie Trocknen, Räuchern, Pökeln, Einlegen, Einsäuern, Salzen oder Zuckern heutzutage wesentlich verfeinert – und garantiert gleichermaßen eine Grundernährung wie Brot und Erbsensuppe als auch Leckerbissen wie Schinken und geräucherten Fisch, Rumtopf und Sauerkraut.

Das Verfahren, Lebensmittel durch Einkochen haltbar zu machen, verdanken wir einem französischen Koch. Wenn auch selten Gutes aus Militär und Rüstung kommt – in diesem Falle schon, denn den Anstoß gab Napoleon. Dessen "Grande Armée" wälzte sich durch Europa; die Versorgung unterwegs war ein Problem und der Hunger allgegenwärtig. Napoleon setzte einen Preis von 12.000 Goldfrancs für die Erfindung zum Haltbarmachen von Lebensmitteln aus. Und tatsächlich wurde 1810 das Geld an Nicolas Appert ausgezahlt, denn der Koch hatte eine Methode entwickelt, wie man Speisen in Behältern auf 100 Grad erhitzt und sie so luftdicht einschließt und haltbar macht. Seine Erkenntnisse schrieb Appert in einem Kochbuch nieder, das 1822 auch in deutscher Übersetzung in Wien erschien: "Die Kunst, alle thierischen und vegetabilischen Substanzen, nämlich alle Gattungen Fleisch, Geflügel, Wildpret, Fische, Zugemüse, Küchen- und Arzneygewächse, Früchte, Sulzen, Säfte; ferner Bier, Kaffeh, Thee u.s.w. in voller Frische, Schmackhaftigkeit und eigenthümlicher Würze mehrere Jahre zu erhalten". Appert, der hochgeehrt einundneunzigjährig 1841 in Paris starb, griff in seiner Arbeit auf die Erfindungen und Erkenntnisse großer Geister vor ihm zurück, so auf die Vakuum-Versuche Otto von Guerickes 1654, der nicht ahnte, mit seinen "Magdeburger Halbkugeln" einen wesentlichen Teil des Einkochverfahrens bewiesen zu haben, nämlich den Verschluss der Gläser durch physikalische Kraft. 1690 war der französische Universalgelehrte Denis Papin bei Versuchen erfolgreich, Vakuum mit Hilfe von Wasserdampf in einem fest verschlossenen Kupfer-Topf zu erzeugen. Weiter stützte sich Appert auf die Versuche des italienischen Professors Lazzaro Spallanzani, der 1769 unter der Annahme "ohne Leben kein Leben" nachwies, dass durch luftdichten Abschluss und genügend langes Erhitzen von Stoffen in einer organischen Flüssigkeit die Entwicklung von Mikroben verhindert bzw. darin vorhandene Kleinstlebewesen mit Sicherheit abgetötet werden können. Kein Geringerer als Louis Pasteur bestätigte das Prinzip der Hitzekonservierung auf wissenschaftlicher Basis.

Einwecken ist nichts für Feiglinge

Auf dem Weg zur Einkochmethode für jedermann ging so manches schief. Es knallte und explodierte oder die Gläser bzw. Dosen blieben einfach nicht zu. "Zwar geschieht es mir noch manchmal, dass eine meiner Operationen misslingt, aber welcher Künstler hat sich niemals geirrt?", schrieb zum Beispiel Nicolas Appert. Der Verdienst, all die einzelnen Erfahrungen und Erfindungen zusammenzufügen zu einer in Industrie und Haushalt gleichermaßen gut umzusetzenden Methode, gebürt dem Gelsenkirchener Chemiker Rudolf Rempel. Rempel benutzte Pulvergläser aus dem Laboratorium, deren Rand er abgeschliffen hatte, legte Gummiringe auf die Ränder, verschloss die Gläser mit Blechdeckeln, die mit Steinen o. ä. beschwert wurden, und kochte sie im Wasserbad. Vor nunmehr 125 Jahren, nämlich 1892, wurde Rempels Verfahren patentiert und 1895 nach dessen Tod von Johann Weck gekauft. Zuvor hatte Weck von Rempel, der 1893 im Alter von nur 34 Jahren starb, bereits das Alleinverkaufsrecht der neu erfundenen Sterilisiergläser und –geräte für Süddeutschland erhalten. Weck war ein beseelter Naturapostel und überzeugter Vegetarier und wollte als Verfechter einer gesunden Lebensweise gegen die damalige Volksseuche Alkohol praktisch zu Felde ziehen. Die kaufmännische Arbeit lag ihm weniger, so tat er sich mit dem Kaufmann Georg van Eyck zusammen; beide gründeten am 1. Januar 1900 in Öflingen die noch heute existierende Firma J. Weck GmbH.

Johann Weck, dem Ausdauer nicht gegeben war, zog sich schon nach einem Jahr aus der Firma zurück – van Eyck allerdings schuf mit der Marke "Weck" einen der ersten Markenartikel in Deutschland. Das "Einwecken" fand weltweit Verbreitung und als Verb Eingang in den Duden. Schon 1914 war Weck eine Weltfirma. Auch heute noch zieren als Markenzeichen eine pralle Erdbeere und die vier Buchstaben WECK die Einkochgläser verschiedener Größen. Die Industrie, zum Beispiel Zentis, nutzt ebenfalls Weck-Gläser, allerdings sind diese Verpackungsgläser namenlos. Zu seinen besten Zeiten beschäftigte das Unternehmen inklusive der Glashütten 4000 Menschen, heute sind es etwa 300. Auch bei Weck ging es mitunter ans "Eingemachte". So waren nach dem 2. Weltkrieg die Produktionsstätten und Auslieferungslager zerstört oder enteignet; später, als die mageren Nachkriegsjahre mit dem Einwecken als Überlebensstrategie vorbei waren oder in den siebziger Jahren, als Tiefkühlkost und Discounter das Einwecken unmodern oder gar überflüssig machten, lief das Geschäft auch nicht gut.

Doch die badische Traditionsfirma zerbrach nicht, denn richtig tot war das Einwecken nie. Zu Beginn der siebziger Jahre – dem Tiefpunkt des Weckwesens – wurden nur noch zwei Millionen Weckgläser hergestellt. Mit anderen Standbeinen, so mit Einweggläsern in großer Stückzahl für die Lebensmittelindustrie, überlebte Weck. Heute produziert das mittelständische Unternehmen rund 360 Millionen Behältnisse pro Jahr; Einkochgläser machen zehn Prozent aus. 2015 verzeichnete die J. Weck GmbH u. Co. KG. einen Umsatz von 41,4 Millionen Euro, wie Geschäftsführer Eberhard Hackelsberger der "Badischen Zeitung" sagte, 2013 waren es noch 39,2 Millionen. "Wir exportieren in alle fünf Kontinente. In Japan und Südkorea sind wir schon Kult", so van Eycks Urenkel, der das Familienunternehmen in vierter Generation führt. Einkochgläser, Gummiringe, Einkochapparate, Thermometer und andere Hilfsgeräte werden unter WECK vertrieben, ein unternehmenseigener Verlag gibt Ratgeber heraus. Mit der Renaissance des Selbermachens erlebt auch Weck einen Aufschwung. Und erst recht, seitdem Sterneköche ihre Kresseschaumsüppchen oder den Schokokuchen mit flüssigem Kern im kleinen Einweckglas servieren und es hip ist, eine eingeweckte Eigenproduktion als Gastgeschenk mitzubringen oder auf Börsen und Märkten einzutauschen.

Längst ist Einwecken kein Notprogramm für schlechte Zeiten mehr; es ist eher die Obst- oder Gemüseschwemme im eigenen Garten, die Frauen und Männer dazu bringt, Kirschen, Pflaumen, Bohnen und Karotten für den Winter haltbar zu machen. Außerdem weiß man dann, was drin steckt im Glas, nämlich keine Verdickungsmittel, Geschmacksverstärker oder Farb- und Konservierungsstoffe. Auch deshalb wird wieder vermehrt eingeweckt. Das musste auch ich mal wissen – nämlich wie meine Homemade-Leberwurst im Vergleich zu der aus dem Supermarkt schmeckt. Viel, viel besser übrigens! Ansonsten bin ich nicht so der große Einwecker; in meiner Kindheit brachte meine Oma Kirschen, Pflaumen und Stachelbeeren aus unserem Garten ins Glas, bei meiner Mutter ließ das auch aus Zeitgründen rapide nach. Und ich? Ich freue mich über jedes Glas eingeweckte Birnen von Schwägerin Helga oder Freundin Moni. Nur bei einer Pilzschwemme kann ich nicht widerstehen und konserviere die schönsten Exemplare festfleischiger Sorten. Kommt aber selten genug vor... Da der Fortschritt auch vor Weckgläsern nicht Halt macht, muss man heutzutage nicht mehr unbedingt mit Gummiring und Spannbügel fummeln, es gibt Gläser mit dicht schließenden Schraubdeckeln. Doch nichts hält ewig – auch Eingewecktes nicht. Je nach Inhalt sind die Gläser sechs bis zwölf Monate haltbar. Zucker und Säure können die Haltbarkeit auch schon mal auf zwei Jahre verlängern. Vom Verbrauch irgendwelcher "Antiquitäten" aus Omas und Opas vergessenen Kellerregalen sollte man aber tunlichst Abstand nehmen. Voraussetzung für gut haltbares Eingewecktes sind penible Sauberkeit beim Abfüllen der Gläser und die richtige Temperatur beim Einkochen sowie eine trockene und kühle, aber frostfreie Lagerung im Dunklen. Bei längerer Lagerung können die Gummiringe oder die Gummibeschichtung in den Schraubdeckeln brüchig werden und nicht mehr richtig schließen; der Inhalt muss dann entsorgt werden, ebenso der von aufgegangenen Gläsern. Am Zischen oder einem "Plopp" beim Öffnen der Gläser hört man, ob alles einwandfrei geblieben ist. Wer sich fürs Selbermachen interessiert, der findet etliche Anregungen in dem Buch "Hausmarke" aus dem Becker Joest Volk Verlag, unter anderem wie man Leberwurst herstellt und einweckt:

Selbstgemachte Leberwurst von Helmut Gote

Zubereitung:

Mit dem Fleischwolf: Die Kalbsleber sauber parieren und in gulaschgroße Stücke würfeln, den fetten Speck in kleine Würfel schneiden. Beides abwechselnd durch den mit der feinen Scheibe ausgerüsteten Fleischwolf drehen. Die Zwiebel schälen, würfeln und mit dem durchgedrehten Leberspeck noch einmal durch die feine Scheibe des Fleischwolfs drehen.

Ohne Fleischwolf müssen Sie den Metzger Ihres Vertrauens bitten, das zu tun, aber ohne die Zwiebel. Wenn er die Leber nicht durchdrehen will, weil er dann seine Maschine putzen muss, soll er wenigstens den Speck durchdrehen. Der sollte dann so schnell wie möglich weiterverarbeitet werden. Die Leber können Sie zusammen mit der Zwiebel zu Hause auch im Mixer hacken, dann wird die Leberwurst nicht ganz so fein, schmeckt aber auch gut.

Für die erste Grundwürzung die Gewürze nach Mengenangaben und 1 gestrichenen TL Salz mit der Leber-Speck-Masse mischen. 30 Minuten abgedeckt durchziehen lassen.

Für den lockeren Schmelz der Wurst wird nun noch eine Mehlschwitze benötigt. Dafür die Butter bei mittlerer Hitze schmelzen und das Mehl einrühren, sodass beides zu einer zähen Masse verklumpt. Die Milch in Portionen von jeweils 100 ml zugeben, dadurch lösen sich die Klümpchen auf. Nach jeder Flüssigkeitszugabe so lange rühren, bis die Mehlschwitze die Milch aufgenommen hat. Wenn eine dickflüssige Sauce entstanden ist, salzen und noch etwa 1 Minute köcheln lassen. Die Sauce in eine Schüssel geben und abkühlen lassen, dann die Eier unterziehen. Die Sauce mit der Wurstmasse sehr sorgfältig vermischen und abschmecken.

Den Backofen auf 200 Grad Ober-/Unterhitze vorheizen. Die Wurstmasse in saubere Schraubdeckelgläser bis maximal 2 cm unter den Rand füllen, weil sie sich beim Garen ausdehnt.

Die Gläser in eine große ofenfeste Form stellen und so hoch wie möglich kaltes Wasser aufgießen. Wenn nach circa 30 Minuten das Wasser sichtbar siedet, die Temperatur auf 150 Grad reduzieren. Nach 2 Stunden ist die Wurst fertig. Die Gläser im ausgeschalteten Backofen komplett auskühlen lassen.

Tipp: Wenn die Deckel beim Öffnen der Gläser ploppen, ist die Leberwurst gut gegart und bakterienfrei sterilisiert. Sie hält sich dunkel und kühl gelagert problemlos mehrere Wochen. Ob die Leberwurst in Ordnung ist, egal, nach welcher Zeit, hören Sie immer am Deckelplopp. In Gläsern eingemachte Leberwurst kann kühl bis zu einem halben Jahr gelagert werden. Gewölbte Deckel sind ein Zeichen dafür, dass die Wurst verdorben ist und entsorgt werden muss.

Viel Erfolg wünscht Heidi Driesner.

So raffiniert mit Eiern und Mehlschwitze war meine selbst gemachte Leberwurst übrigens nicht, diese Zutaten fehlten bei mir. Dafür hatte ich noch mit Knoblauch, Thymian und Cayenne gewürzt – Ihrer Fantasie sind keine Grenzen gesetzt! Auch habe ich nicht im Backofen, sondern im Schnellkochtopf eingeweckt.

Quelle: n-tv.de

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