Seipel ist ein erfahrener und freundlicher Richter in Würzburg, dem die Aufgabe zufällt, über eine einstweilige Verfügung gegen Facebook zu entscheiden, die den Konzern empfindlich treffen würde und bei der einige der aktuellen Großthemen zusammenkommen: Hass im Netz, Flüchtlinge, Merkel.
Saal C 017, der größte im Landgericht Würzburg, ist bis auf den letzten Platz besetzt: Facebook vor Gericht - das erregt in Deutschland Aufsehen.
In Würzburg will ein Anwalt das Unternehmen dazu bringen, von sich aus gegen Verleumdungen vorzugehen, wenn sie immer wieder auf der Plattform auftauchen. Es geht in dem Fall um den 19 Jahre alten Syrer Anas Modamani, der in seinen ersten Wochen als Flüchtling in Deutschland ein Selfie mit Bundeskanzlerin Angela Merkel aufgenommen hat, das um die Welt ging und das nun auf Facebook immer wieder für Hetze und Verleumdungen missbraucht wird.
Schmerzensgeld für den Syrer? Facebooks Anwälte lehnen ab
Richter Seipel will die beiden Seiten zusammenbringen, einen Vergleich herbeiführen. Aber es wird schnell kompliziert, sobald es ums Teilen und Facebooks Meldefunktion geht sowie die Unterschiede zwischen Löschen (was Modamanis Anwalt fordert) und Sperren (was Facebook für Nutzer eines bestimmten Landes tut).
Schmerzensgeld für den Syrer, ohne Anerkennung einer Rechtspflicht? Die Facebook-Anwälte lehnen ab. Nach 40 Minuten sagt Richter Seipel: "Eine gütliche Einigung ist heute nicht möglich."
Die größere Frage, die in Raum C 017 schwebt: Wie sehr muss sich Facebook darum kümmern, dass illegale Inhalte von seiner Plattform verschwinden? Muss das größte und mächtigste Netzwerk der Welt von sich aus aktiv werden, wenn ein Unschuldiger immer wieder als Terrorist und Gewalttäter verunglimpft wird?
Modamani wird immer wieder zum Terroristen gemacht
So ergeht es Modamani. Sein Selfie und andere Aufnahmen von ihm und Merkel, die zeitgleich entstanden, werden auf Facebook für Hetze genutzt. In Fotomontagen, die sich teilweise viral verbreiteten, wurde er als Attentäter von Brüssel und vom Berliner Breitscheidplatz verunglimpft, zuletzt als derjenige, der einen Obdachlosen und dessen Habseligkeiten in einem Berliner U-Bahnhof angezündet haben soll. Überschrift: "Obdachlosen angezündet - Merkel machte 2015 ein Selfie mit einem der Täter!"
Es sind Lügen - ohne Anhaltspunkt oder Verdächtigung in der Realität. (Hier lesen Sie die ganze Geschichte.)
Modamani hat nun einen Anwalt aus Würzburg, der es nicht zum ersten Mal mit Facebook aufnimmt. Deshalb trifft man sich am dortigen Landgericht. Anwalt Chan-jo Jun will eine einstweilige Verfügung für Modamani erwirken: Facebook soll verboten werden, die Fotomontage weiterzuverbreiten.
Facebook soll demnach nicht nur die gemeldeten bekannten Beiträge löschen, sondern verpflichtet werden, die fragliche Fotomontage zu sperren, so dass sie generell nicht weiter gepostet werden darf. Der Richter hinterfragt mehrfach, ob es wirklich eine Eilbedürftigkeit gebe - die ganze Welt habe die Fotomontagen doch bereits gesehen.
Der Fall ist für Facebook ein unangenehmer Termin, der Konzern hat zwei Anwälte der Kanzlei White & Case geschickt. Im Publikum sitzt nur ein PR-Mann, der im Auftrag des Konzerns arbeitet, sich nach der Sitzung aber schnell verdrückt. Kein Facebook-Vertreter will sich hier sehen lassen.
Braucht Facebook eine Wundermaschine?
Facebook-Anwalt Martin Munz von White & Case betont Facebooks 1,86 Milliarden Nutzer. Pro Tag kämen bei "Facebook eine Milliarde neue Inhalte hoch. Die sollen jetzt, geht es nach dem Antragsteller, mit einer Wundermaschine durchsucht werden - die gibt es aber noch nicht."
Jun hält dem entgegen, dass das technisch möglich wäre. In der Tat nutzen Portale solche Techniken beim Kampf gegen Kinderpornografie im Netz. Praktisch würde es für Facebook sehr viel mehr Aufwand bedeuten - und einen Präzedenzfall schaffen, der Begehrlichkeiten in aller Welt wecken würde, so die Sicht des Konzerns.
Hinter dem Streit steckt ein großes Problem: Facebook ist zu einem wichtigen Medium geworden - über das allein in Deutschland 29 Millionen Nutzer regelmäßig Informationen wie Desinformationen beziehen und wo sich Beiträge einzelner viral verbreiten können. Facebook wird aber nicht wie ein Medium behandelt. Ein Beispiel: Opfer von Verleumdungen und Hetze haben kein Recht auf Gegendarstellung, wie sie es in einem Medium hätten.
Das rechtliche Konstrukt, das auf einer EU-Richtlinie und dem deutschen Telemediengesetz beruht: Plattformen wie Facebook sind von der Haftung für illegale Inhalte befreit. Sie müssen sie erst entfernen, sobald sie von deren Existenz erfahren. Man spricht von "Notice and take down".
Ein möglicher Kompromiss
Es ist eine Richtlinie aus dem Jahr 2000 - damals sollte es noch ein paar Jahre dauern, bis ein Student namens Mark Zuckerberg Facebook gründen würde. Ein Netzwerk mit einer Meldefunktion an jedem Beitrag, auf die Facebook verweist; die aber mit Ergebnissen, die Nutzer nicht nachvollziehen können, für Frust sorgt.
Kompliziertes Gelände also für das Landgericht. Richter Seipel versucht noch eine Einigung: Ob denn Facebook bereit wäre, alle Verleumdungen Modamanis, die dem Portal gemeldet würden, nicht nur in Deutschland zu sperren, sondern EU-weit? Darauf hatte Anwalt Jun seine Forderungen kurz vor dem Termin zurückgeschraubt. Facebooks Anwälte wollen das mit dem Management besprechen. "Ich halte das für möglich", sagt Martin Munz.
Anwalt Jun wirkt direkt nach dem Prozess etwas geknickt, dass über Internet-Grundwissen beim Termin manchmal Unklarheit herrschte. So interpretiert er auch die Aussage seines Kontrahenten über die vermeintliche Wundermaschine. Vielleicht habe da jemand Unkenntnis bei der Kammer ausnutzen wollen. Immerhin muss er dem Richter erklären, dass "Teilen" bei Facebook nicht heißt, dass jemand auf "etwas zugreift", wie dieser ins Protokoll schreiben lassen will. Darauf folgt Richter Seipels Geständnis der Facebook-Nichtmitgliedschaft.
Nach 70 Minuten ist im Saal C 017 vorerst Schluss. Modamani, um den es bei der Verhandlung so gut wie gar nicht ging, sagt, er habe ein gutes Gefühl.
In vier Wochen, am 7. März, soll die Entscheidung über den Antrag verkündet werden - wenn die Parteien sich bis dahin nicht doch noch einigen. Zum Abschluss sagt der Richter: "Wir erlassen einstweilige Verfügungen nur dann, wenn wir uns hundertprozentig sicher sind."
Quelle : spiegel.de
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