400 Deutschlehrer leiden unter Goethe-Chaos

  07 Februar 2017    Gelesen: 838
400 Deutschlehrer leiden unter Goethe-Chaos
Mitarbeiter berichten von "skandalösen Arbeitsbedingungen": Zwei Drittel der Sprachlehrer am Goethe-Institut sind seit Jahren prekär beschäftigt. Jetzt wurden die Verträge nicht verlängert.
Als der damalige Außenminister und Bundespräsident in spe Frank-Walter Steinmeier Mitte 2016 die Zentrale des Goethe-Instituts in München besuchte, galt das als Meilenstein. "Ich bin freier Mitarbeiter des Goethe-Instituts", bekannte Steinmeier. Damit wollte er seine Hochachtung für die Kultur- und Sprachvermittler ausdrücken.

Nun wird klar, dass der Satz einen bitteren Hintersinn für Hunderte Goethe-Mitarbeiter im Inland hat: Sie sind tatsächlich nur Freie - die oft unter prekären Bedingungen arbeiten. Beziehungsweise: gearbeitet haben. Denn genau wegen dieser prekären Bedingungen stehen zwei Drittel der Sprachlehrer jetzt vor dem Aus.

Was ist passiert? Das Goethe-Institut ist ein Verein, dessen Mitglieder Vertreter von Bundes- und Landesregierungen und dem Bundestag sind. Staatliche Zuschüsse bekommen jedoch nur die Institute im Ausland; die zwölf Goethe-Institute im Inland finanzieren sich über den Verkauf von Sprachkursen.

Jahrelang Honorarverträge, die jeweils nur über wenige Wochen laufen

"Als Pädagogin bin ich gern beim Goethe-Institut", berichtet eine Lehrerin aus der Düsseldorfer Filiale. "Aber unter sozialen Gesichtspunkten sind die Arbeitsbedingungen hier skandalös." Die Lehrerin unterrichtet seit mehr als zehn Jahren am Goethe-Institut. Sie hält dieselben Kurse in "Deutsch als Fremdsprache" wie ihre festangestellten Kollegen. Aber sie hat keinen Urlaubsanspruch. Wenn sie krank wird, bekommt sie keinen Cent. Und sie zahlt ihre Kranken- und Rentenversicherung aus eigener Tasche, sowohl den Arbeitgeber- als auch den Arbeitnehmeranteil.

Wie sie arbeiteten 400 Sprachlehrer deutschlandweit teilweise über Jahre hinweg Vollzeit für die Goethe-Institute - mit zig Honorarverträgen hintereinander, die jeweils auf zwei bis maximal acht Wochen begrenzt waren. Monatlich kommt man damit auf 1400 bis 2000 Euro netto. Trotz der rigiden Honorarpraxis gilt das Goethe-Institut als das Flaggschiff der Branche: Hier verdient ein Lehrer 37 Euro pro Unterrichtseinheit, in den Volkshochschulen sind es nur zwischen 23 und 29 Euro.

Jetzt sind diese freien Goethe-Lehrer - häufig mit exzellenten Referenzen - seit Freitag vergangener Woche praktisch arbeitslos. Denn: Auf einen Brief der Münchener Zentrale hin stellen die Institute keine neuen Verträge aus. Die Rentenversicherung ist dem Goethe-Institut nämlich auf die Schliche gekommen. Sie prüft, ob das Institut im großen Stil freie Mitarbeiter als Scheinselbständige beschäftigt hat. Die Goethe-Zentrale bestätigte, dass die Rentenversicherung "den Status der Honorarlehrkräfte als freie Mitarbeiter infrage stellt".

Die Kurse sind nicht "ausgebucht" - die Lehrer fehlen

Das bedeutet zum einen: empfindliche Einschnitte fürs Geschäft. In manchen Filialen ist das Sprachangebot von Goethe nicht mehr erreichbar, in anderen steht neben den Kursen der Hinweis "ausgebucht". "Quatsch", sagt Rita F. aus Frankfurt. "Die können den Betrieb ohne uns nicht aufrechterhalten."

Das bedeutet auch: Die Lehrer haben ab sofort kein Einkommen mehr, Anrecht auf Arbeitslosengeld gibt es für sie in der Regel nicht. SPIEGEL ONLINE erfuhr von Mitarbeitern, die gern in Rente gehen würden - aber nicht können, weil diese zum Leben nicht reicht. An einem Goethe-Standort gibt es eine Lehrerin, die mehr als 30.000 Euro an Rentenbeiträgen nachzahlen soll, die streng genommen das Institut schuldig wäre. In einer anderen Filiale im Norden sagt Lehrerin Martina M.: "Die Rentenversicherung habe ich gar nicht erst abgeführt."

Warum machen die Lehrer so etwas mit? "Weil sie rechtlos sind", meint Rita F. aus Frankfurt. "Jeden Monat hoffst du, dass du vielleicht doch einen festen Vertrag bekommst." Keiner der Beteiligten will seinen richtigen Namen nennen. Zu riskant. "Diese Strukturen entsolidarisieren", sagt Jürgen M. aus Frankfurt. "Weil fast alle Freie sind, traut sich keiner, offen zu protestieren."

Nie waren Deutschlehrer so gefragt wie heute

Im Präsidium des bekanntesten deutschen Sprachkursanbieters sitzen Professoren, Vertreter der Schönen Künste und zwei Ministerialdirigenten aus dem Außen- und dem Finanzministerium. Keiner hat die kleinen Tragödien verhindert, die sich nun abspielen.

Er bedauere, dass es zu sozialen Härten komme, sagte der Präsident des Goethe-Institutes Klaus-Dieter Lehmann gegenüber SPIEGEL ONLINE. Um den Kollaps des Goethe-Angebots zu verhindern, werden nun Festanstellungen vergeben. "Wir haben als Überbrückungsmaßnahme 20 der bisher beauftragten Honorarkräfte befristet eingestellt", sagte Lehmann. Doch was ist mit den anderen 380?

Das Goethe-Chaos kommt zur Unzeit. Nie waren Lehrer für Deutsch als Fremdsprache so nachgefragt wie heute. Hunderttausende Flüchtlinge sollen Deutsch lernen, auch Arbeitsmigranten und Studenten sind auf Kurse und Prüfungen angewiesen.

Aber die Krise bei Goethe kommt auch nicht überraschend. Seit 2012 versucht die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) mit dem Institut Tarifverträge für Honorarlehrkräfte abzuschließen, berichtet GEW-Tarifexperte, Andreas Gehrke. München habe aber stets abgewinkt.

"Seit Jahrzehnten betreibt das Institut sein Geschäft überwiegend mit Honorarverträgen - da kommt es zwangsläufig zu Lohndumping." Das sei aber nur die Spitze des Eisbergs, meint Gehrke. "Die Sprachlernbranche ist durch und durch prekarisiert."


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