Taliban oder IS - wer ist der größte Feind?

  25 April 2017    Gelesen: 690
Taliban oder IS - wer ist der größte Feind?
US-Präsident Trump wirft die "Mutter aller Bomben" über Afghanistan ab. Sein Ziel: die Kämpfer des Islamischen Staates. Doch sind diese tatsächlich der Hauptfeind? In Afghanistan sehen viele das anders.
Nach dem verheerenden Anschlag der radikalislamischen Taliban auf das Armee-Hauptquartier im Norden Afghanistans stehen auch die USA in der Kritik. Nur acht Tage vor dem Angriff in Masar-i-Scharif hatte das US-Militär im Osten des Landes erstmals seinen größten konventionellen Sprengsatz eingesetzt. Die US-Armee warf die "Mutter aller Bomben" allerdings nicht auf die Taliban ab, sondern zielte damit auf Anhänger der Extremistenmiliz IS. Viele Kritiker sehen sich deshalb in der Auffassung bestärkt, dass US-Präsident Donald Trump am Hindukusch planlos agiert.

"Die größte Bedrohung für die Sicherheit und Stabilität dieses Landes sind die Taliban, nicht die Kämpfer des IS", sagt der einflussreiche Abgeordnete Mirwais Jassini aus der Provinz Nangarhar. "Sie werfen ihre größte Bombe auf den IS ab, aber was ist mit den Taliban, die jeden Tag Dutzende Menschen töten?" Auch gut zwei Jahre nach dem Ende des Nato-Kampfeinsatzes in Afghanistan sind noch immer fast 9000 US-Soldaten am Hindukusch stationiert.

Etwa 7000 von ihnen sind Teil des Nato-Beratungseinsatzes "Resolute Support". Mit mehr als 1500 weiteren GIs betreiben die USA zudem den Anti-Terror-Kampfeinsatz "Freedom's Sentinel", der vor allem auf die mehreren hundert Kämpfer von al-Kaida und dem IS abzielt, die in Afghanistan vermutet werden. Die Zahl der Taliban in dem Land wird dagegen auf Tausende oder gar Zehntausende geschätzt. Sie haben seit dem Abzug der Nato-Kampftruppen viel Boden gutgemacht: Die Regierung kontrolliert inzwischen nicht einmal mehr zwei Drittel des Landes.

"Einheitliche Strategie kaum möglich"

Der IS hat zwar mehrere tödliche Anschläge in Afghanistan und Pakistan für sich reklamiert, viele Experten halten die Taliban aber für eine weit grundlegendere Bedrohung für das Land. Die Politiker in Washington und Kabul hätten dazu allerdings oft komplett gegenteilige Einschätzungen, bemängelt der frühere US-Offizier Christopher Kolenda, der in Afghanistan stationiert und zeitweise an der Ausarbeitung der US-Strategie für das Land beteiligt war. Die USA tendierten dazu, sich auf international ausgerichtete Gruppierungen wie al-Kaida und den IS zu konzentrieren. Die afghanische Regierung dagegen betrachte Pakistan und die Taliban als eine größere Bedrohung. "Mit solch unterschiedlichen Bewertungen kann man kaum zu einer einheitlichen Strategie kommen", kritisiert der Experte.

Einige afghanische Regierungsvertreter werfen den USA vor, auf den Abzug fixiert zu sein und viel zu unentschlossen an den Krieg heranzugehen. Auch die Regierung Trump habe Afghanistan in den ersten Monaten ihrer Amtszeit nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt. Bislang haben die USA tatsächlich noch keinen Botschafter für Kabul benannt, und auch im Außenministerium in Washington sind noch viele für den Hindukusch zuständige Diplomatenstellen unbesetzt. "Es ist sehr schwierig, eine koordinierte Strategie zu haben, wenn nicht einmal alle Dienstposten besetzt sind", bemängelt auch Kolenda. "Afghanistan steht ganz weit unten auf der Prioritätenliste der Trump-Regierung".

Viele Afghanen würden sich ein wesentlich härteres Vorgehen des US-Militärs gegen die Taliban wünschen. "Sie sind die größte Bedrohung in diesem Land. Aber seit dem Sturz des Taliban-Regimes haben die US- und die afghanische Regierung keine klare Strategie, wie man sie auslöschen oder an den Verhandlungstisch zwingen könnte", kritisiert Mohammad Farhad Sediqi, ein Abgeordneter aus Kabul. "Genauso, wie sie die Mutter aller Bomben auf den IS abgeworfen haben, sollten sie eine über die Rückzugs- und Trainingsgebiete der Taliban jenseits der Grenze in Pakistan abwerfen."

Einige US-Regierungsvertreter haben inzwischen zwar eine härtere Linie gegenüber Pakistan angedeutet, aber Trumps Mannschaft hat noch keine klare Strategie für die Krisenregion vorgelegt. Zuletzt hatten sich die afghanischen Sicherheitskräfte zunehmend auf den Schutz der größeren Städte beschränkt und sich gezwungen gesehen, abgelegenere Stützpunkte aufgegeben. Dies wird nach Einschätzung von Experten jedoch nicht ausreichen, um die Taliban zu Verhandlungen zu bewegen.

Die Regierung kontrolliert inzwischen nach US-Schätzungen nur noch 57 Prozent des Landes, ein Jahr zuvor waren es noch 72 Prozent. "In welchem Universum ist so etwas bedeutungslos?", fragt Ioannis Koskinas von der Politikinstitut New America. "Land bedeutet Einnahmen. Sie geben all die Schmuggelrouten auf, das Opium und alles, womit sich die Taliban finanzieren und was den Aufstand am Leben erhält." Um eine Trendwende in dem Konflikt zu erzielen, werde es entscheidend sein, den Taliban wieder Gebiete abzunehmen. "Momentan müssen wir eigentlich gar nicht über sichere Zufluchtsorte in Pakistan reden, denn sie haben sichere Zufluchtsorte in Afghanistan", sagt Koskinas.

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