Mag sein, aber der Autor war für seinen Wiederaufstieg nicht auf der Suche nach dem schnellen Tod, sondern so wie neun weitere Spät-Biker wollte er sich bei investierten 69 Euro in erster Linie selbst bestätigen, dass er überhaupt noch Motorrad fahren kann. Die Erfahrungen liegen schließlich nicht nur weit zurück, sondern beschränken sich auch auf eine Hubraumspanne von 50 bis 250 Kubikzentimeter. In Pferdestärken umgerechnet heißt das: 3,7 bis 21 PS. Gemessen an den Maschinen, die Harley für die Wagemutigen zur Verfügung, stellt ein Witz. Da startet die Street Rod 750 mit 61 PS und endet bei der Road King mit 90 PS.
Die Aufregung eint uns
Doch bevor es an die Bikes geht, gibt es eine kurze Einführungsrunde zu jeder einzelnen Maschine. Am Anfang wirkt das wie eine Verkaufsveranstaltung. Schnell wird aber klar, dass auch die Zweiräder aus dem gleichen Haus einige Unterschiede aufweisen. Das beginnt mit dem Starter, geht weiter über die Blinker und endet natürlich bei Gewicht und Leistung. Während zehn nicht mehr ganz junge Männer sich also um die einzelnen Maschinen scharen, verrät Phillip mir, dass er nicht nur seit über 20 Jahren nicht mehr Motorrad gefahren, sondern auch ziemlich aufgeregt ist. Keine Frage, das eint uns. Er spricht es aus, ich und die anderen behalten es für sich.
Doch bevor wir uns nun wirklich auf den Bock schwingen dürfen, muss auch Instruktor Thorsten noch ein paar Sachen loswerden. Das geht mit dem Aufsteigen los. Während wir früher die Maschine erst vom Ständer geschoben haben und dann aufgestiegen sind, sollte man das mit Motorrädern, die mit einem Kampfgewicht von 240 Kilogramm starten, tunlichst vermeiden. Hier gilt es, sich erst in den Sattel zu schwingen und dann den Ständer einzuklappen. Um aber festzustellen, wie gut so ein Monster austariert ist, lässt uns Thorsten die Maschine am Frontscheinwerfer festhalten. Jetzt müssen wir den Schwerpunkt finden, um das Bike herumlaufen und es dabei natürlich im Gleichgewicht halten. Allein dabei geht der Puls hoch. Denn wenn das Teil nach einer Seite kippt, knallt es.
Ein echter Harley Potpourri
Erst jetzt lässt uns Thorsten aufsitzen. Alles da: Fat Boy, Breakout, Superlow T, Sportster, Low Rider, Heritage, Fat Bob, Street Bob, Forty-Eight und die Street Rod 750. Ich stürze mich auch angesichts des miesen Wetters auf den 240 Kilogramm schweren Einsteiger in die Harley-Welt und übe das Anfahren mit Schleifpunkt bei Regen und pitschnasser Piste. Dann drehe ich ziemlich wackelig die erste Runde auf dem Freigelände am ehemaligen Grenzübergang Dreilinden in Berlin. Bei Michel, einem Harley-Mitarbeiter, muss ich anhalten und wieder anfahren. "Nimm mal als nächstes die Fat Boy", sagt er. "Nee, die ist ja noch schwerer", antworte ich. "Genau deswegen. Du wirst sehen, die lässt sich einfacher fahren, weil die mit ihrem Schwerpunkt viel satter auf der Straße liegt", erklärt er.
Mit jeder neuen Runde habe ich den Eindruck, dass das Gefühl für das Motorrad zurückkehrt. Der Oberkörper lenkt, die Schenkel bleiben am Tank, gebremst wird vorerst bitte nur mit der Fußbremse, doziert Thorsten: "Wenn der Lenker schräg steht und ihr die Vorderbremse zieht, greift zuerst das ABS, dann sagt es aber, nun muss es der Typ ja im Griff haben. Kann sein, muss aber nicht. Wenn das Rad dann blockiert, liegt ihr. Und das sieht echt scheiße aus." Keiner legt sich. Ich merke, dass auch die "Leidensgenossen" schnell in die Zweiradwelt zurückfinden.
"Das hätte ich mir nicht träumen lassen"
Beim Wechsel auf die Fat Boy komme ich an Hans vorbei. "Das ich mit 65 noch mal aufs Motorrad steige hätte ich mir auch nicht träumen lassen", sagt er mit einem breiten Grinsen im Gesicht und schwingt sich auf die Breakout, zündet und lässt sie ihr sattes Lied singen. Ich für meinen Teil stelle fest, dass Michel recht hat. Trotz völlig anderer Sitzhaltung, die einem der Ape-Lenker (Hochlenker), die tiefe Sitzbank und die Trittbretter aufzwingen, liegt die 320 Kilogramm schwere Wuchtbrumme satt und scheinbar unkippbar auf der Straße. Zudem lässt sie sich für ihr Gewicht fast spielerisch um die Kurven zirkeln.
Nachdem ich auch die Breakout zwischen den Schenkeln hatte und mit der Roadster, die mir tatsächlich am besten steht, schon so arg um die Kurven gegangen bin, dass mich Thorsten höflich, aber bestimmt auffordert, etwas Schwung aus meiner Fahrweise zu nehmen, teste ich natürlich auch die anderen Harleys. "Ich würde nichts sagen, wenn wir hier 20 Grad und trockene Fahrbahn hätten, aber bei den kurzen Anläufen und dem Sauwetter bekommst du die Reifen nicht warm. Wenn du dann noch unkontrolliert in der Kurve aufdrehst, fliegt dir das Ding weg", erklärt Thorsten. Recht hat er. Also gebe ich mich den Übungen des Langsamfahrens hin. Wieder geht es um das dosierte Einsetzen von Kupplung und Bremse. Und ehrlich, das ist nicht einfach. Es folgen Fahrten um die Pylonen, Blickrichtungstraining und erneut Balance-Übungen.
Das hört sich alles sehr trivial und nach Fahrschule an, schafft aber Sicherheit im Umgang mit den Bikes. Am Ende der vier Stunden hat jeder der Wiedereinsteiger sein Motorrad gefunden. Für mich ist es die Roadster: 1200 Kubikzentimeter, 67 PS und 96 Newtonmeter Drehmoment. Das wird auch die Maschine sein, die ich nach Potsdam in den Harley Store zurücksteuern werde. Am Ende steht nämlich die Frage, wer sich zutraut, das Motorrad zurückzufahren. Nur einer der zehn Teilnehmer ist unsicher. Aber auch nur, weil an dieser Stelle die Versicherung für das Training endet und die satte Selbstbeteiligung von 1500 Euro greift, die von dem gefordert wird, der jetzt das Bike zerlegt.
"Man grüßt sich nicht wie früher"
Egal, die Meute ist angefixt und jeder will seinen Bock selbst nach Hause bringen. In Kolonne geht es also zurück. Straße, Kreuzung, Ampel, Kopfsteinpflaster - alles kein Problem. Auf den 15 Kilometern merke ich dann aber, dass der Sportlenker der Roadster nichts für mich ist. Der rechte Arm schläft ein und mein Nacken tut weh, aber einen Ape-Lenker finde ich auch blöd. Im Store teste ich noch ein paar Modelle und unterhalte mich mit Stefan, der die Werkstatt leitet und sich auch um den Verkauf kümmert. Er selbst kommt eigentlich von den Vierrädern und ist mehr über sein Hobby in die Rolle bei Harley gekommen.
Früher ist er auch diese "Knierutscher" á la Ducati gefahren, heute lebt er das Harley-Gefühl mit ganzer Seele. Klar haftet der Marke dieser Rocker-Nimbus an. Ein Grund, so mutmaßt Stefan, warum sich auch Anwälte und Ärzte gerne ein Motorrad aus Milwaukee kaufen. Schade findet er, dass es diesen Zusammenhalt unter Bikern – egal, welche Marke sie präferieren – nicht mehr gibt. "Man grüßt sich nicht mehr wie früher, sondern wird mit seinem Motorrad klassifiziert und in eine Schublade gesteckt", sagt er. Schlimmer als bei jeder Automarke. Dabei geht es doch am Ende des Tages nur um das Gefühl der Freiheit, wenn du Motorrad fährst. Und das können auch Leute erleben, die es 20 Jahre nicht gemacht haben. Motorradfahren ist nämlich doch wie Fahrradfahren, man verlernt es nicht.
Quelle: n-tv.de
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