Steinmeier in Israel

  09 Mai 2017    Gelesen: 1129
Steinmeier in Israel
Gleich zwei Mal trifft Bundespräsident Steinmeier sich in Israel mit Ministerpräsident Netanjahu. Was die beiden genau besprechen, darüber dringt nichts nach außen. Nach der jüngste Eklat ist ganz offensichtlich ausgeräumt.
Als Frank-Walter Steinmeier an diesem Abend endlich in sein Hotel kommt, hat er einen – sagen wir mal – dichten Tag hinter sich. Aber jetzt, nach dem letzten Programmpunkt, ist der Bundespräsident gut gelaunt. In der Bar des King-David-Hotels trifft er auf einige Mitglieder seiner Delegation, auch ein paar Journalisten sind da. Steinmeier löst seinen Krawattenknoten und bittet um einen Gin Tonic. Er wirkt zufrieden mit dem Tag. Sein Antrittsbesuch in Israel läuft gut. Das hätte nach dem Eklat um Bundesaußenminister Sigmar Gabriel vor knapp zwei Wochen hier auch anders aussehen können.

Steinmeier kommt gerade von einem Abendessen mit Benjamin Netanjahu. Der israelische Ministerpräsident ist gerade nicht so gut auf die deutsche Regierung zu sprechen, genau genommen auf den Außenminister, vielleicht ein bisschen auch auf die Bundeskanzlerin. Angela Merkel hatte Mitte Februar die für Mai geplanten deutsch-israelischen Regierungskonsultationen abgesagt, offiziell wegen Terminproblemen, aber tatsächlich mag die kritische Haltung der Bundesregierung zur aggressiven Siedlungspolitik der Regierung Netanjahu zu der Absage beigetragen haben. Aber das weit größere Problem ist das geplatzte Gespräch zwischen Netanjahu und Gabriel, der den Israeli aufgebracht hatte, weil er bei seinem Antrittsbesuch als Außenminister die extrem regierungskritische Organisation "Breaking the Silence" getroffen hatte. Die Beziehungen zwischen Berlin und Jerusalem waren unversehens in eine Eiszeit geraten – und Steinmeier sollte es nun richten. Um es vorweg zu sagen: Es hat funktioniert.

Dieser Tag, an dessen Abend Steinmeier mit einem Gin Tonic in der Hotelbar sitzt, war vollgepackt mit Terminen, von denen jeder einzelne ein Balanceakt war. Angefangen mit dem Frühstück mit dem Schriftsteller David Grossman, der als Kritiker von Netanjahus Siedlungspolitik gilt und in Israel eine Autorität ist. Mit diesem Treffen wollte Steinmeier klarmachen, dass er sich, auch wenn er auf eine Begegnung mit "Breaking the Silence" verzichtet, nicht das Recht nehmen lässt, mit Regierungskritikern im Gespräch zu bleiben. Nach diesem Frühstück zwei Programmpunkte, die zur Besuchsroutine von deutschen Spitzenpolitikern in Israel gehören. An den Gräbern von Yitzhak Rabin und Shimon Perez legen Steinmeier und seine Frau Elke Büdenbender Kränze nieder. Danach besuchen sie die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem. Bei aller Routine: Dieser Ort, an dem die Israelis der sechs Millionen ermordeten Juden während der Shoah gedenken, ist für niemanden, der hierher kommt, einfach.

Für Deutsche gilt das umso mehr. Namen, Schicksale, Bilder – und die historische Schuld der Deutschen. Der schwerste Teil ist ganz sicher der Gang durch die Halle, in der der ermordeten Kinder gedacht wird. In dieser Halle ist es beinahe stockfinster. Wenn man reinkommt, brauchen die Augen einen Moment. Sie müssen sich an die Dunkelheit gewöhnen, Spiegel reflektieren hundertfach das Licht von fünf Kerzen. Und während sich die Füße unsicher Schritt für Schritt durch die Dunkelheit tasten, werden Namen und Geburtsorte der toten Kinder verlesen – und jeweils das Alter, in dem sie gestorben sind. Der Gang durch die Halle dauert nur wenige Minuten, wieder draußen, braucht man einen Moment für sich. Die Namen der toten Kinder verschwinden seltsam schnell aus dem Gedächtnis, was bleibt, sind die Altersangaben. Sieben Jahre, zwölf Jahre, acht Jahre, fünf …

Wer möchte, kann sich am Ausgang in ein Gästebuch eintragen. Steinmeier schreibt: "Unfassbare Schuld haben wir Deutsche auf uns geladen. Hier an diesem Ort wird Erinnerung ganz Schmerz, Trauer und Scham. In Verantwortung für das, was geschehen ist, stehen wir fest an der Seite Israels und arbeiten für eine gemeinsame Zukunft."

"Herzlich willkommen!"

Steinmeier will und wird das auch weiter tun, er will daran und dafür arbeiten, dass diese Zukunft eine gute wird. Auch, aber nicht nur, weil die deutsche Vergangenheit die besondere Verantwortung und gleichzeitig Verpflichtung mit sich bringt. Heißt das, dass die Bundesregierung mit Kritik hinterm Berg halten muss? Dass sie nur Gesprächspartner treffen darf, die der israelischen Regierung genehm sind? Eindeutig nein, sagt der Bundespräsident. Der erste, der das an diesem Tag zu hören bekommt, ist der israelische Präsident Reuven Rivlin. Der hatte Steinmeier mit militärischen Ehren in seinem Amtssitz begrüßt. Die obligatorischen Worte zur Begrüßung nutzt der Gast aus Deutschland, um einen ersten Pflock einzuschlagen. Das einzigartige Verhältnis zwischen beiden Ländern sei zu wertvoll, um es allein an der Frage zu messen, wer legitime Gesprächspartner sind oder sein sollten. Stattdessen plädiert Steinmeier für einen ehrlichen und offenen Dialog ohne neue, einseitig aufgelegte Regeln und Beschränkungen. Rivlin steht neben Steinmeier und nickt ihm zu, als er diese erste Botschaft in Richtung Netanjahu losschickt.

Rivlin hatte schon vor knapp zwei Wochen Gabriel im Streit mit Netanjahu den Rücken gestärkt, seine Reaktion ist also keine große Überraschung. Wesentlich spannender wird sein, wie Netanjahu auf die Worte des Bundespräsidenten reagiert. Die Antwort ist erstaunlich gelassen. Von der wütenden Reaktion auf Gabriel ist Netanjahu diesmal weit entfernt. Als Steinmeier ihm in einer improvisierten Pressekonferenz rät, "die Stürme der Vergangenheit hinter uns zu lassen", antwortet Netanjahu: "Natürlich. Herzlich willkommen!" Beinahe kann man den Eindruck gewinnen, auch Netanjahu will zurück zu einem normalen Verhältnis mit den deutschen Partnern, wenngleich er seine Drohung, niemanden zu treffen, der zeitgleich die Aktivisten von "Breaking the Silence" trifft, (noch) nicht zurücknehmen will.

Yad Vaschem, Staatspräsident, Ministerpräsident, militärische Ehren, spontane Pressekonferenzen – Steinmeiers Termine reihen sich aneinander, die Taktzahl ist an diesem Tag so hoch wie zu seinen Zeiten als Außenminister. Zeit zum Durchatmen bleibt nicht, im großen Hörsaal der renommierten Hebron-Universität warten bereits Hunderte Studenten auf ihn. Auf diesen Termin hat er sich sehr gefreut, schöne Erinnerungen verbindet Steinmeier mit dieser Universität. 2015 erhielt er hier die Ehrendoktorwürde. Davon erzählt er den Studenten, auch dass Shimon Peres, der damalige Präsident Israels, dabei war. Aber vor allem spricht er über seine Vorstellungen von Demokratie, von Freundschaft und Verantwortung. Er kritisiert "Sprechverbote", die nicht helfen, einander zu verstehen und beschwört die "auf den Trümmern der Vergangenheit gebaute Freundschaft": "Was auch immer geschieht – niemals darf Sprachlosigkeit zwischen Deutschland und Israel einkehren! Das ist meine Verantwortung als Bundespräsident, und das sagt mir auch mein Herz. Deshalb bin ich hier."

Und deshalb trifft er sich am Abend ein zweites Mal mit Benjamin Netanjahu. Das Abendessen verläuft harmonisch, wenngleich beide deutliche Worte finden. Was genau besprochen wird, darüber dringt nichts nach außen. Aber gemessen an der Zufriedenheit, die Steinmeier ausstrahlt, als er jetzt in der Hotelbar sitzt, ist das deutsch-israelische Verhältnis auf dem Weg zurück in die Normalität. Das heißt nicht, dass das nächste Mitglied der Bundesregierung, das hierher kommt und unangenehme Gesprächspartner trifft, nicht wieder den Zorn des Ministerpräsidenten provoziert. Aber das kann auch anders kommen, weil es von vielen Komponenten abhängt, die nicht in deutscher Hand liegen. Immerhin ist es Steinmeier gelungen, diesen Streit so weit zu deeskalieren, dass aus einer heftigen Verstimmung keine Eiszeit wird. Gleichzeitig hat sich der Bundespräsident vor den Außenminister gestellt und nicht zugelassen, dass jemand annehmen könnte, zwischen ihn und Sigmar Gabriel sei Platz für ein Blatt Papier. Ist es nicht. Nicht in dieser Frage.

Im Vorfeld dieser Reise hieß es aus dem Bundespräsidialamt, dass man sich diesen Antrittsbesuch anders vorgestellt hatte. Mag sein. Aber Leben ist nun mal das, was passiert, während Pläne über den Haufen geworfen werden. Und auch, wenn Frank-Walter Steinmeier sich diesen Besuch anders vorgestellt hatte, erfolgreicher wäre er sicher nicht geworden. Unterm Strich steht: Mission geglückt.

Quelle: n-tv.de

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