Warum der IS auf den Philippinen angreift

  30 Mai 2017    Gelesen: 616
Warum der IS  auf den Philippinen angreift
Mehr als hundert Tote innerhalb weniger Tage, Panzer, Artillerie, Luftangriffe - die Gewalt auf den Philippinen eskaliert, es gilt das Kriegsrecht. Wer steckt dahinter?
Was passiert?

Kämpfer, die der Extremistenmiliz Islamischer Staat Gefolgschaft geschworen haben, haben mehrere Viertel von Marawi, einer Stadt mit rund 200.000 Einwohnern, etwa 800 Kilometer südlich von Manila, unter ihre Kontrolle gebracht. Die Armee versucht mit einer Großoffensive, die Gebiete zurückzuerobern. Bei den Kämpfen kamen in den vergangenen Tagen mehr als 100 Menschen ums Leben.

Erste Schüsse fielen am 23. Mai, als Sicherheitskräfte den Islamistenführer Isnilon Hapilon festnehmen wollten. Hapilon ist der Anführer der radikalislamischen Gruppe Abu Sayyaf, die sich seit Juli 2014 als Teil der Terrororganisation Islamischer Staat versteht.

Zunächst konnten 15 Kämpfer Die Verhaftung Hapilons verhindern, anschließend kamen der Gruppe mehrere Dutzend Extremisten zu Hilfe, die in der Folge mehrere Stadtviertel unter ihre Kontrolle bringen konnten, ein komplettes Krankenhaus in Geiselhaft nahmen, die Polizeistation überrannten und den Polizeichef enthaupteten und weitere Kämpfer aus dem örtlichen Gefängnis freiließen. Die Islamisten holten in den von ihnen kontrollierten Gebieten die philippinischen Flaggen an öffentlichen Gebäuden ein und ersetzten sie durch das Schwarze Banner des IS.

Tausende Bewohner sind bereits aus der Stadt geflohen. Die Ausfallstraßen sind verstopft von Fahrzeugen, die Marawi verlassen. In der entegengesetzten Richtung bewegt sich ein Großaufgebot der Armee mit Panzern und Artillerie in die Stadt.

Wer sind die Extremisten?

Der bewaffnete Konflikt zwischen islamistischen Rebellen und Armee und Sicherheitskräften in den Südphilippinen ist nicht neu. Bereits in den 1970er-Jahren forderte der Bürgerkrieg zwischen der Islamischen Moro-Befreiungsfront (MILF) und der Armee mehr als 120.000 Todesopfer. Seither schwelt der Konflikt mit dutzenden involvierten Gruppen vor sich hin.

Hinter der aktuellen Welle der Gewalt steckt nach Darstellung der Armee die islamistische Maute-Gruppe, die ebenfalls vom bereits erwähnten Top-Terroristen Isnilon Hapilon angeführt wird. Maute wurde 2013 als radikalislamische Terrororganisation gegründet und hat die Errichtung einer Provinz des IS auf den Philippinen zum Ziel. IS-Chef Al-Baghdadi soll Hapilon bereits als favorisierten Emir für das Gebiet genannt haben.

Sidney Jones, Leiterin des Konfliktforschungsinstituts Institute for Policy Analysis of Conflict in Jakarta sieht in Maute die am besten organisierte islamistische Gruppe auf den Philippinen. Die Gruppe habe sich an der Mindanao State University in Marawi, wo jetzt gekämpft wird, festgesetzt und dort gut ausgebildete Studenten und Lehrkräfte für ihre Ziele begeistern können. Die Extremisten hätten auf der einen Seite beste Kontakte in die traditionellen Islamistenkreise der Philippinen, wie etwa der MILF. Auf der anderen Seite sei Maute international bestens vernetzt – in andere islamische Staaten wie Malaysia oder Indonesien, aber auch in den Nahen und Mittleren Osten.

Warum passiert das ausgerechnet jetzt?

Konfliktforscherin Sidney Jones sagt, die aktuellen Kämpfe zeigten, dass viele unterschiedliche islamistische Gruppen, die bisher lose verbunden waren, nun eine Koalition gegen einen gemeinsamen Gegner geformt hätten. "Die Regierung von Präsident Duterte hat es nicht bemerkt, dass sich auf Mindanao ein grundlegender Wechsel vollzogen hat", sagte sie dem "Guardian". Die Gruppen mögen mit ihren Geiselnahmen und Überfällen ein banditenhaftes Dasein gepflegt haben. "Aber nun sind sie Ideologen. Der IS hat sie überzeugt, dass die Antwort auf die Probleme Mindanaos das islamische Gesetz ist."

Bereits im Oktober hat Jones in einem Bericht vor einer Eskalation der Gewalt auf Mindanao gewarnt. Nicht nur interne Faktoren würden den IS auf den Philippinen stärken. Auch angesichts der zunehmenden Geländeverluste des "Kalifats" in Syrien und im Irak, sei die Führung des IS auf der Suche nach territorialen Alternativen. Philippinische Islamisten haben in der Vergangenheit bereits mehrfach versucht, ausländische Kämpfer für den Dschihad in Südostasien zu gewinnen.

Die Denkfabrik Carnegie Council geht in einem Bericht davon aus, dass sich mehr als 1000 Personen aus Südostasien dem Kampf des IS im Nahen Osten angeschlossen haben und angesichts der Defensivposition der Miliz dort nun verstärkt die Rückreise antreten. Dementsprechend müsse davon ausgegangen werden, dass die Zahl kampferprobter Islamisten auf den Philippinen in Zukunft steige. Der poröse Grenzverlauf zwischen den Philippinen, Indonesien und Malaysia mit hunderten Inseln kann kaum ausreichend kontrolliert werden und bietet Islamisten viel Raum sich zwischen den drei Staaten zu bewegen.

Was ist Dutertes Strategie?

Als die Kämpfe in Marawi ausbrachen, befand sich Präsident Rodrigo Duterte gerade auf einem Staatsbesuch bei Russlands Staatschef Wladimir Putin. Er bat den Präsidenten um Unterstützung in Form von Waffen und brach den Staatsbesuch ab.

Dutertes Amtszeit ist bisher geprägt von einem blutigen Kampf gegen Drogenhändler und –konsumenten, dem Schätzungen zufolge bisher rund 7000 Menschen zum Opfer gefallen sind. Duterte hat seine Bürger öffentlich dazu ermutigt, Drogenhändler und Drogenabhängige in Selbstjustiz zu töten. Man habe keine Strafverfolgung zu befürchten.

Ähnlich martialisch fiel seine Reaktion auch jetzt aus. Er hat umgehend das Kriegsrecht über die komplette Insel Mindanao verhängt mit der Aussicht, dies auch für das gesamte Land zu tun. Er kündigte an: "Ich werde brutal sein. Wenn das den Tod von vielen Leuten bedeuten sollte, dann sei es so". Vor Soldaten hat er davon gesprochen, Soldaten für ausufernde Brutalität nicht zur Verantwortung zu ziehen. Drei Frauen zu vergewaltigen, das sei in Ordnung, so der Präsident.

Derzeit geht die philippinische Armee mit hunderten Soldaten gegen die Islamisten vor. Marawi wird von Luftschlägen erschüttert, Panzer rollen durch die Straßen, die Armee schießt mit schwerer Artillerie. Laut aktuellen Angaben sei es nur eine Frage der Zeit, bis die Maute-Gruppe wieder aus der Stadt vertrieben sei.

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