Die Franzosen hätten ja auch schon mehrere Versuche gemacht, sich selbständig zu machen: De Gaulle in den 60er Jahren, François Mitterrand in den 80er Jahren – und jetzt wolle Macron den dritten Versuch unternehmen, urteilt der Politologe. „Denn die Idee, dass Frankreich selbständig sein muss und Europa in dieser Selbständigkeit anführen soll, ist im Land sehr populär.“
Ohne Assad bricht Syrien zusammen
Daher kommt auch der Vorschlag der Franzosen, dass Frankreich gemeinsam mit Russland gegen den Terrorismus in Syrien kämpfen solle, führt Platoschkin weiter aus. „Die Franzosen fühlen sich dem syrischen Volk besonders verpflichtet, weil Syrien früher eine französische Kolonie war. Und die Franzosen sind jetzt Hauptzielscheibe des Terrorangriffs in Europa. Der logische Schluss ist, dass man eine gemeinsame Politik mit dem Land machen muss, das in Syrien sehr stark präsent ist. Und das ist Russland.“
Beide Staatschefs plädierten darum in Paris auch für einen demokratischen Übergang in Syrien und dafür, dass Syrien als Staat erhalten bleiben müsse, betont der Experte. „Nichts, was in Syrien passieren soll, darf dazu führen, dass Syrien verschwindet. Übrigens hat Macron während des Putin-Besuches nichts gegen Assad gesagt. Im Unterschied zu früheren französischen Politikern, die Assad mit beleidigenden Ausdrücken wie,Fleischer‘ abstempelten, hat Macron seine Bereitschaft bekundet, auch mit Assad zu sprechen“, sagt Platoschkin. „Diese Position wird übrigens auch von der deutschen Sozialdemokratie geteilt. Ebenso hat Angela Merkel schon seit einem Jahr nichts gegen Assad gesagt. Denn man versteht, dass das Land ohne Assad und seine Regierung zusammenbricht. Und das bedeutet, dass zwei, drei Millionen Syrier nach Deutschland bzw. Frankreich kommen.“
Russlandkritischer Pragmatismus
Platoschkin nennt solche Pragmatiker wie Macron „grundsatzlose Leute“ – ohne den französischen Präsidenten damit beleidigen zu wollen. Der Politologe erinnert jedoch daran, dass Macron 2016 als Wirtschaftsminister nach Russland kam und gegen die antirussischen Sanktionen wetterte. „Dann kehrte er zurück und sagte, die Sanktionen müssten beibehalten werden. Der Mann richtet sich nach der politischen Konjunktur und dem politischen Wind in Europa. Und der Wind weht jetzt in Richtung selbständiger Entscheidungen, dass man endlich die Beziehungen zu Russland reparieren soll. Dazu ist Macron bereit“, glaubt der Experte.
Macron und Minsker Prozess?
Die Sackgasse der Regelung der Ukraine-Krise befinde sich in Kiew, sagt Platoschkin. Macron habe das Thema Ukraine auf Bitte von Kanzlerin Merkel im Gespräch mit Putin aufgeworfen. „Denn sie ist die alleinige Staatschefin jetzt, die mit diesem Prozess persönlich verbunden ist. Sie hat alles angezettelt. Sie hat beim Umsturz in Kiew geholfen. Da Macron damit nichts zu tun hat, nimmt er eine abwartende und kühle Position ein. Wenn jetzt in der Ukraine etwas schiefgeht oder nichts vorankommt, dann kann man das dem Macron nicht anlasten. Deshalb widmete Macron 90 Prozent seiner Pressekonferenz, und ich hoffe, auch 90 Prozent seiner Gespräche mit Putin Syrien und nicht der Ukraine.“
Kremls „Gift-Propagandaküche“
Übrigens scheut sich Platoschkin bewusst nicht, mit Russia Today und der Agentur Sputnik zu sprechen – egal wie Macron diese auch beleidigen mag. Es gebe eben westliche Medien, „die natürlich immer der Weisheit letzten Schluss verkünden, und die Russen, die sich mit plumper Propaganda verdingen.“ In seinem Fernsehgerät habe er nicht nur die Deutsche Welle, CNN oder BBC, sondern auch einen französischen TV-Kanal. „Als russischer Staatsbürger habe ich wenigstens das Recht, beide Standpunkte zu vergleichen. Und dasselbe Recht verdienen auch die Europäer.“
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