Wie wär's mit einem deutschen FBI?

  22 Auqust 2017    Gelesen: 508
Wie wär's mit einem deutschen FBI?
Der Islamist Anis Amri tötete in Berlin zwölf Menschen - obwohl die Behörden ihn längst im Blick hatten. Experten fordern dringend Reformen des Sicherheitssystems. Doch so einfach ist das nicht.
Als Anis Amri am 19. Dezember 2016 einen Lkw in den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz steuert, ist das für die Sicherheitsbehörden der GAU - der größte anzunehmende Unfall. Sie kennen den Attentäter, sie kennen ihn sogar sehr genau. Mehr als 60 Ämter, Hunderte Beamte haben sich mit ihm befasst, seit der 24-jährige Tunesier im Juli 2015 um Asyl bat.

Beamte wissen, dass Amri stiehlt, prügelt, Drogen verkauft. Dass er unter mehreren Identitäten Geld vom Staat bezieht. Dass er der Terrormiliz IS nahesteht. "Die Begehung eines terroristischen Anschlags durch Amri ist zu erwarten", notieren Ermittler des Landeskriminalamts Düsseldorf (LKA) bereits im März 2016. Doch niemand stoppt den Mann, niemand nimmt ihn fest, niemand schiebt ihn ab.

Am Ende sind 13 Menschen tot, inklusive Anis Amri.

Der Fall Amri hat eine Debatte befeuert, die seit Jahren immer mal wieder aufflammt. Und die nun dringlicher scheint denn je: Die Debatte darüber, was sich ändern muss in der deutschen Sicherheitsarchitektur. Zu oft bilden Landes- und Bundesbehörden ein Wirrwarr, das am Ende zum Systemversagen führt. Jeder ist zuständig, keiner verantwortlich.

Bei Amri hakte es schon, als er von Nordrhein-Westfalen nach Berlin fuhr. Düsseldorf bat die Kollegen in der Hauptstadt, weiter verdeckt zu observieren. Doch Berlin entschied, Amri zu überprüfen - damit war er gewarnt.

Bei den Details für Reformen sind Konflikte programmiert. Denn es geht immer auch um Macht, um Einfluss, um Geld.

Bisher ist Polizei Ländersache. Neben dem Bundeskriminalamt (BKA) existieren von Schleswig-Holstein bis Bayern eigene Landeskriminalämter, die den jeweiligen Innenministerien unterstehen. Beim Verfassungsschutz, dem Inlandsgeheimdienst, gibt es ein vergleichbares Bild: Neben dem Bundesamt existieren 16 eigene Landesbehörden.

Für den Bereich Terrorismusabwehr haben Bund und Länder als Reaktion auf den 11. September drei Jahre später das Gemeinsame Terrorismus-Abwehrzentrum (GTAZ) gegründet, in dem sich mehr als 40 Landes- und Bundesbehörden regelmäßig austauschen - BKA, Landeskriminalämter, der Generalbundesanwalt. Das Sagen aber hat in diesem Gremium niemand.

Bereits wenige Wochen nach dem Anschlag von Berlin forderte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) eine Radikalkur. Der Bund brauche mehr Macht. Er müsse zum Beispiel das Recht bekommen, Asylbewerber abzuschieben. Das BKA etwa solle künftig einheitliche Standards für die Überwachung von Gefährdern durchsetzen können, von Personen, denen man einen Anschlag zutraut.

Die Landesämter für Verfassungsschutz müssten im Bundesamt aufgehen. "Kein Gegner unserer Verfassung strebt die Beseitigung der Verfassung in nur einem Bundesland an", sagte de Maizière.

Ganz ähnlich sieht das Armin Schuster, CDU-Innenexperte im Bundestag. "Der Bund braucht beim Thema Terrorismus die zentrale Zuständigkeit im BKA", sagt Schuster dem SPIEGEL. Es müsse eine Verfassungsänderung her. Das Ziel sei "ein deutsches FBI" nach amerikanischem Vorbild - allerdings ohne Geheimdienst.

Den Verfassungsschutz will Schuster separat dem Bund komplett übertragen. Die Landesämter sollten sich in Außenstellen des Bundesamts wandeln. Die Innenminister der Länder verlören Befugnisse. Und auch im GTAZ bekämen Bundesbehörden die Entscheidungsgewalt. "Es muss drei, vier Behörden geben, die Anweisungen erteilen können, in erster Linie der Generalbundesanwalt und das BKA", sagt Schuster.

Parteifreunde rebellieren

Wohl wegen einer solchen Verschiebung sind selbst unionsgeführte Länder von derart weitreichenden Reformen wenig angetan. Der hessische CDU-Innenminister Peter Beuth warf Parteifreund de Maizière Schnellschüsse vor, die das Vertrauen der Bürger in den Staat untergrüben. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) beschwerte sich über eine Debatte, die von der Bekämpfung des Terrorismus ablenke.

Es sind ungewohnte Koalitionen, die sich in diesen Fragen formieren. Die Linkspartei stimmte in die Kritik an de Maizière ein und sah einen "Frontalangriff auf das föderative Prinzip". Der Bundesminister wolle Lehren aus dem Nationalsozialismus ignorieren, wonach eine zentrale Machtkonzentration schädlich sei.

Die Grünen hingegen zeigen sich noch deutlich radikaler. Die Innenexperten Irene Mihalic und Konstantin von Notz plädieren dafür, den Verfassungsschutz aufzulösen. Übernehmen solle ein zentraler Inlandsgeheimdienst, der in den Ländern vier bis sechs Außenstellen habe.

Sebastian Fiedler, Vizechef des Bunds Deutscher Kriminalbeamter (BDK), hält eine völlig neue Sicherheitsarchitektur weder für machbar noch für angebracht. Das GTAZ etwa habe mehrfach Anschläge verhindert. "Es ist eine große Erfolgsgeschichte und sollte als Vorbild für ein weiteres Zentrum auf EU-Ebene dienen." Man müsse nicht alles umkrempeln.

"Wir können auch im bisherigen System zu schlagkräftigen Veränderungen kommen", sagt Fiedler. Entscheidend sei, dass die deutschen Sicherheitsbehörden über Ländergrenzen hinweg nach verbindlichen Regeln zusammenarbeiten.

Vorbild sei das System der Bereitschaftspolizei. Jedes Bundesland hält bereits Hundertschaften vor, die bei Bedarf von anderen Ländern angefordert werden können - etwa zur Sicherung von Fußballspielen oder jüngst beim G20-Gipfel in Hamburg.

Dazu gibt es Verwaltungsabkommen zwischen Bund und Ländern, in denen sich jedes Land verpflichtet, eine bestimmte Zahl dieser Einheiten bereitzuhalten. Geregelt sind der Aufbau und der Ausbildungsstand jeder Hundertschaft. Der Bund gibt Geld für die Ausrüstung und überwacht die Einhaltung der Bund-Länder-Verträge.

"Dieses Modell lässt sich problemlos auf die Verbrechensbekämpfung und sogar auf den Verfassungsschutz anwenden", sagt Fiedler. So könnten die Länder etwa Observationseinheiten vorhalten, die für Gefährder zuständig sind und kurzfristig auch woanders einspringen können.

Wichtig seien einheitliche Standards. "Es muss in ganz Deutschland klar sein, was die spezialisierten Einheiten der Kripo und des Verfassungsschutzes können müssen." Der Vorteil sei, dass Bund und Länder profitieren und keiner verliere.

Höchste Gefahr

Es ist eine Idee, die auch BKA-Präsident Holger Münch propagiert - zumindest für seinen Bereich, die Polizei. Die Belastung durch Gefährder nehme permanent zu, sei aber je nach Land deutlich unterschiedlich verteilt. Die Koordinierung neuer Bereitschaftstruppen könne im GTAZ das BKA übernehmen.

Darüber hinaus fordert Münch, dass sich die Bewertungsmaßstäbe im GTAZ verändern. Bisher schätzen Ermittler dort Szenarien ein: Wie wahrscheinlich ist es, dass sich ein Gefährder neue Waffen kauft? Künftig sollten sie die Personen in den Blick nehmen: Wie labil sind sie? Welche Pläne könnten sie noch schmieden?

Dazu führt das BKA bundesweit ein neues Analysesystem ein: Radar-iTE. Und zumindest der Fall Amri wäre damit wohl anders verlaufen. Bei einem nachträglichen Testlauf habe das System stets "Rot" gezeigt, so Münch. Das heißt: höchste Gefahr.

Quelle : spiegel.de

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