Wie Ost-Berlin der BRD im „Deutschen Herbst“ half

  23 Oktober 2017    Gelesen: 962
Wie Ost-Berlin der BRD im „Deutschen Herbst“ half
Der „Deutsche Herbst“ vor 40 Jahren ist gegenwärtig Thema der Medien und von Veranstaltungen. Es wird des RAF-Terrors und der Opfer gedacht. Manchmal wird daran erinnert, wie es dazu überhaupt kam. Manche Details der Ereignisse werden aber bis heute offiziell verschwiegen. Eines davon wurde unlängst beinahe unbemerkt an die Öffentlichkeit gebracht.
Als vor 40 Jahren am 18. Oktober 1977 die Spezialeinheit GSG 9 des Bundesgrenzschutzes (BGS) die von Palästinensern entführte Lufthansa-Boeing „Landshut“ stürmte und die Geiseln befreite, hatte der andere deutsche Staat, die DDR, seine Hand im Spiel. Aber nicht, in dem er etwa den palästinensischen Geiselnehmern half – er hat stattdessen der Bundesrepublik ermöglicht, überhaupt nach Somalia rein zu kommen und die Aktion auf dem Flugplatz der Hauptstadt Mogadischu durchzuführen.

Dieser Aspekt der Geschichte wird weitestgehend ausgeblendet bei all den gegenwärtigen Beiträgen, Reden und Veranstaltungen, mit denen an den „Deutscher Herbst“ erinnert wird. Mit diesem Begriff werden Ereignisse im Jahr 1977 beschrieben, mit denen die „Rote Armee Fraktion“ (RAF) die Bundesrepublik in einen Ausnahmezustand führte:

„Von der Entführung bis zur Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer und den Selbstmorden der inhaftierten RAF-Galionsfiguren in Stuttgart-Stammheim im Herbst 1977 vergingen sechs Wochen. Dazwischen lagen die Flugzeugentführung der ‚Landshut‘ und die Befreiung der Geiseln in Mogadischu.“

So fasst es eine Publikation der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) zusammen.

Verschwiegene Rolle der DDR

In der vor zehn Jahren veröffentlichten Broschüre der Bundeszentrale hieß es auch: „Dabei gerät auch die DDR in den Blick, gewährte die Staatssicherheit doch in den 1980er Jahren steckbrieflich gesuchten Terroristen Unterschlupf.“ Die andere Rolle des zweiten deutschen Staates bei einem Teil der Ereignisse machte im letzten Jahr der letzte DDR-Partei- und Staatschef Egon Krenz erstmals öffentlich. In einem Buch, das ein Gespräch von ihm mit dem Rockpoeten Heinz-Rudolf Kunze wiedergibt, überraschte der letzte SED-Chef seinen Gesprächspartner mit dem bisher „verschwiegenen Teil“ der Geschichte des „Deutschen Herbstes“:

„Als die ‚Landshut‘ aus Treibstoffmangel zwangsweise in Aden niederging, schickte Honecker den DDR-Verteidigungsminister nach Jemen. Heinz Hoffmann wurde bei der Regierung vorstellig. Die DDR unterhielt gute Beziehungen zur DVR Jemen, und wenn ein Armeegeneral in Aden erschien, machte das besonderen Eindruck. Aden wiederum hatte gute Beziehungen zur Regierung in Somalia. Hoffmann sorgte nun dafür, dass der von Bundeskanzler Helmut Schmidt entsandte Staatssekretär Hans-Jürgen Wischnewski und die GSG-9 in Somalia eingelassen und von Mogadischu Prokura zum selbstständigen Handeln erhielt. Ohne den Einsatz der DDR und ihres Verteidigungsministers hätte weder Wischnewski noch die Einsatzgruppe operieren können. Und völlig zu Recht bedankten sich nach der erfolgreichen Operation Schmidt bei Honecker und Genscher bei seinem DDR-Kollegen Fischer für die wirksame Unterstützung im Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Das war’s.“

Kein Dank im Geschichtsbuch

Krenz war damals Chef der DDR-Organisation „Freie Deutsche Jugend“ (FDJ), aber als solcher Mitglied des Zentralkomitees (ZK) der SED. Er rückte 1983 in das Politbüro der Partei auf, den engen Führungszirkel, auf. Dort war er unter anderem für Sicherheitsfragen zuständig. Er galt lange Zeit als Vertrauter und „Kronprinz“ seines Vorgängers Erich Honecker, bevor er 1989 half, diesen zu entmachten.

Gegenüber Kunze kritisiert Krenz: „Die Ost-West-Auseinandersetzung ist doch angeblich seit 1990 zu Ende. Da könnte man so etwas, wenn auch nicht an die große Glocke, aber doch der Vollständigkeit halber in die Geschichtsbücher schreiben: Die DDR zeigte sich bei der Terrorabwehr mit der Bundesrepublik solidarisch. Sie unterstützte nicht, wie immer unterstellt, internationale Terroristen, sondern sie wehrte diese gemeinsam mit der Bundesrepublik ab.“ Das sei eine historische Tatsache. Im Ministerium für Staatssicherheit (MfS) sei dessen Hauptabteilung XXII für die Terrorabwehr zuständig gewesen.
„Stattdessen kann jeder Unsinn über die DDR und ihre Organe verbreitet werden, ohne dass diese dagegen vorgehen oder gar klagen könnten: Es gibt sie ja nicht mehr“, beklagt Krenz.

Er geht in dem Gespräch auch kurz auf die von der DDR zu Beginn der 1980er Jahre aufgenommenen und mit neuer Identität versehenen RAF-Aussteiger ein, wie Inge Viett, Susanne Albrecht und die unter anderem an der Schleyer-Entführung vor 40 Jahren beteiligte Silke Maier-Witt. „Indem sie der Bitte dieser Aussteiger nachkam, ihnen eine bürgerliche Existenz in Frieden zu gewähren, in der sie nicht ständig auf der Flucht waren, leistete die DDR einen messbaren Beitrag im Kampf gegen den internationalen Terror“, so Krenz, der hinzufügte: „Ein ehemaliges RAF-Mitglied, das in einem VEB im sozialistischen Wettbewerb stand, bekämpfte den Klassengegner mit friedlichen Mitteln und nicht mit der Waffe.“

Das Wissen auf der anderen Seite

Der Honecker-Nachfolger und letzte SED-Chef hebt gegenüber dem Rockmusiker hervor: „Und glauben Sie im Ernst, dass man das drüben nicht wusste? In der BRD war man doch froh, auf derart elegante Weise zwei Probleme gelöst zu haben: Die Leute waren erstens weg und zweitens unter Kontrolle.“ Auf das Wissen in Bonn, das anscheinend noch weiter reichte, hatte bereits der frühere DDR-Aufklärungschef Markus Wolf in seinen 1997 erschienenen Erinnerungen hingewiesen. Darin schrieb er vor 20 Jahren:

„Neueste Enthüllungen deuteten an, daß die Spitze der Bundesregierung die ganze Zeit über diese Vorgänge Bescheid gewußt hat, aber keinen Grund sah, einzugreifen oder sich zu beschweren.“

Das geschieht erst seit dem Untergang der DDR. Ex-Chefspion Wolf machte aber auch auf einen Aspekt zu den untergetauchten RAF-Mitgliedern aufmerksam, den Krenz gegenüber Kunze weglässt: „Vielleicht hatte Mielke sie aufgenommen, um den Strafverfolgungsbehörden der Bundesrepublik in die Suppe zu spucken, vielleicht, weil er meinte, damit für den Fall des Falles erprobte Kämpfer in Reserve zu halten.“ Dieser „Fall der Fälle“ meinte „a possible war between East an West“, einen möglichen Krieg zwischen Ost und West, den der MfS-Chef Erich Mielke „sehr ernsthaft“ für möglich hielt, wie Wolf offener in der englischen Ausgabe seiner Erinnerungen 1997 („The man without face“) schrieb. Dort ist auch einiges zu lesen, was die jüngsten Aussagen des letzten SED-Chefs Krenz zum Thema RAF relativiert. Der erklärt Kunze, der DDR sei es bei der Hilfe für die BRD immer nur um den Kampf gegen den internationalen Terrorismus und den Schutz des eigenen Territoriums gegangen. Auch hier gilt, worauf der von Krenz aufgedeckte Fakt aufmerksam macht: Nichts war so eindeutig, wie es im Nachhinein von der einen wie der anderen Seite dargestellt wird.

Quelle:sputnik.de

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