Kaczynski wird die rechten Geister nicht mehr los

  14 November 2017    Gelesen: 623
Kaczynski wird die rechten Geister nicht mehr los
Tausende von Neonazis sind am Nationalfeiertag unbehelligt durch Warschau gelaufen. Statt ihr eigenes Verhältnis zu diesen Gruppen zu klären, wittert die Regierung eine Provokation der Opposition.
Längst haben die Fotos der bedenklichen Transparente aus Warschau die internationalen Nachrichtenkanäle geflutet. Rassistische Spruchbänder wie «Weisses Polen – Weisses Europa», «Reines Blut» oder «Stopp der Islamisierung Polens» waren am Samstag am sogenannten Unabhängigkeitsmarsch in Warschau zu sehen, an dem 60 000 Personen teilnahmen. Organisiert hatte diesen die neofaschistische Organisation Nationalradikales Lager (ONR).

Doch der Innenminister Mariusz Blaszczak sagte, er habe «persönlich nichts gesehen» – und beharrt auch zwei Tage später noch auf dieser Aussage. «Es war alles sicher; seit dem Machtwechsel von 2015 ist es am Nationalfeiertag friedlich», fasst er im staatlichen Ersten Radioprogramm zusammen. Blaszczaks Begeisterung schwingt immer noch in seiner Stimme mit. Der Unabhängigkeitstag habe in einer «sehr guten Atmosphäre» stattgefunden. «Wir konnten die weiss-roten Fahnen in den Strassen Warschaus sehen, das war ein schöner Anblick», frohlockte er.

Anderen Exponenten der seit ziemlich genau zwei Jahren amtierenden rechtsnationalen Regierung der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) fielen die Schilder sehr wohl auf. Der umtriebige junge Vizejustizminister Patryk Jaki etwa regte am Montag an, solche Hassbotschaften sollten strafrechtlich verfolgt werden. «Ich will jedoch nicht ausschliessen, dass es sich dabei um Provokationen handelte», fügte Jaki an und zitierte Mitschnitte abgehörter Ministergespräche der Vorgängerregierung.

Irritierende Toleranz

Jaki beschreitet damit einen von der PiS häufig gewählten Weg: Wenn Probleme auftauchen, sind immer die liberalen Vorgänger von der Bürgerplattform (PO) schuld. Die in den Worten des Innenministers zutage tretende Toleranz der PiS gegenüber der ONR und andern rechtsextremen Parteien ist jedoch kein Hirngespinst der Opposition. Sie wurzelt vielmehr in der jüngsten Vergangenheit. Jahrelang war Polens Rechte tief gespalten. Doch der Parteichef Jaroslaw Kaczynski träumte immer von einer vereinigten Rechten, die keine Partei rechts der PiS dulden müsste.

Als Oppositionspartei biederte sich die PiS deshalb bei Fussball-Hooligans an, die vom damaligen Innen- und Justizministerium verfolgt wurden. Sie erklärte diese zu «polnischen Patrioten». Dass einige der gewaltbereiten Hooliganszene Kontakte zur rechtsextremen Szene haben, schreckte den gewieften Machtpolitiker Kaczynski nicht ab. Nun, da seine PiS sich selbst an der Macht weiss, wird er die gerufenen Geister nicht mehr los. Zwar löst die Polizei seit kurzem Schlägereien zwischen Hooligan-Gruppen auf, und es kommt auch zu Festnahmen. Gleichzeitig loben die PiS-nahen Medien deren angeblichen Patriotismus.

Auf einem Auge blind

Im Gegensatz zur acht Jahre währenden PO-Regierung sind in Polen in der Tat die letzten drei Unabhängigkeitstage weitgehend friedlich verlaufen. Einzig in Wroclaw (Breslau) wurde ein Demonstrant verletzt. Dies ist auch der Tatsache geschuldet, dass die Polizei auf dem rechten Auge ziemlich kurzsichtig geworden ist. Am Samstag wurden so in Warschau nur 45 Gegendemonstranten einer Demokratie-Initiative kurzzeitig festgenommen. Die umstrittenen Bannerträger am «Unabhängigkeitsmarsch» konnten indessen ungehindert marschieren. Auch die teilweise gefährlichen bengalischen Feuerraketen in den Nationalfarben Rot-Weiss wurden geduldet, obwohl die Organisatoren einen Verzicht versprochen hatten.

Vielen Polen war nicht klar, wer als Organisator hinter dem «Unabhängigkeitsmarsch» stand. Deshalb waren auch viele junge Familien mit Kindern vor Ort. Auf der Website des Anlasses findet sich weder das Emblem der ONR noch ihrer paramilitärischen Gruppen oder der mitorganisierenden rechtsradikalen «Allpolnischen Jugend». Nur wer den Namen des Hauptorganisators googelte, fand heraus, wessen Geistes diese Veranstaltung sein muss. «Es ergibt doch keinen Sinn, wenn Polen Millionen in Werbung für einen guten Namen im Ausland investiert und das Staatsfernsehen gleichzeitig so einen Marsch durch seine Berichterstattung de facto unterstützt», regt sich eine Mutter auf. Hätte sie kein Samstagsprogramm für ihren Sohn gehabt, wäre sie mit ihm auch mitmarschiert, gesteht die Frau. Die meisten Minister hatten sich jedoch wie bereits letztes Jahr zu einer Feier in Krakau abgesetzt. Einzig Staatspräsident Andrzej Duda hatte in Warschau zu einer offiziellen Gedenkfeier geladen, die nur wenige hundert Polen anzog.

Klare Worte vom Präsidenten

Die liberale Oppositionspartei Die Modernen hat inzwischen eine Klage gegen die Organisatoren wegen Aufrufs zu Rassenhass und der Propagierung faschistischer Ideologien eingereicht. Die PO forderte ein Verbot der bei der Organisation beteiligten Parteien. Am Montagabend meldete sich mit Duda endlich auch eine Autorität des konservativen Lagers zu Wort. «Es gibt in unserem Land keinen Platz und keine Zustimmung für Xenophobie, krankhaften Nationalismus und Antisemitismus», stellte der seit Sommer wegen der Justizreform mit der PiS-Führung über Kreuz liegende Staatspräsident klar. «Es bereitet mir grossen Schmerz, wenn irgendjemand beginnt, andere Kriterien (für den Patriotismus) einzuführen», fügte er mit einem klarem Seitenhieb gegen die ihm lange sehr nahestehende PiS an.

Quelle: nzz

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