Lee hauste in einem Schlafsaal zusammen mit zwei Dutzend anderen Frauen. Die Matratzen, auf denen die Soldatinnen schliefen, bestanden aus Reishülsen. "Wir schwitzten, und alle unsere Gerüche sickerten in die Matratze." Der Gestank in den Baracken, erinnert sich Lee, war bestialisch.
Lee, Tochter eines Universitätsprofessors, trat 1992 in die Armee ein. Zu jener Zeit, am Höhepunkt der Hungerkrise in den 1990er Jahren, zog es Tausende Frauen freiwillig zum Militärdienst, weil den Rekruten zumindest eine warme Mahlzeit am Tag garantiert wurde. Zunächst genoss die 17-Jährige, getragen von Patriotismus und kollektiver Anstrengung, ihr Leben in der Armee. Der Tagesablauf sei für Männer und Frauen ähnlich gewesen, so Lee. Das Training der Soldatinnen sei nicht ganz so hart und lang wie das der Männer gewesen. Dafür mussten die Frauen mehr putzen und kochen.
Kompanieführer vergewaltigt Frauen
Doch das harte Militärtraining und die schwindenden Essensrationen forderten schon bald ihren Tribut, Lees Körper streikte. "Nach sechs Monaten im Dienst blieb die Menstruation wegen der Unterernährung und der Stress-Situationen aus." Doch das sei ihr und den anderen Soldatinnen sogar recht gewesen, weil es nicht genügend Hygieneartikel gab. Die Soldatinnen mussten ihre Baumwoll-Binden im Schutz der Dunkelheit, wenn sie außer Sichtweite von Männern waren, auswaschen und sie am nächsten Tag wieder benutzen.
Sexueller Missbrauch stand Lees Angaben zufolge auf der Tagesordnung. Sie selbst sei zwar nicht vergewaltigt worden, kenne aber viele Frauen, denen das passiert sei. "Der Kommandant blieb nach dem Dienst bei der Einheit und vergewaltigte ihm unterstellte Soldatinnen. Das passierte immer und immer wieder und nahm kein Ende." Nur die wenigsten würden wagen, gegen männliche Vorgesetzte auszusagen, bestätigte Nordkorea-Expertin Juliette Morillot der "BBC" - obwohl sexuelle Gewalt mittlerweile offiziell als schwere Straftat gilt.
Flucht nach Südkorea
Im Alter von 28 Jahren verließ Lee die viertgrößte Armee der Welt. Obwohl sie sich auf ihre Familie freute, fühlte sich für ihr Leben als Zivilistin nicht gerüstet. Sie bekam finanzielle Probleme. 2008 fasste sie den Entschluss, aus Nordkorea zu flüchten. Beim ersten Versuch wurde sie an der Grenze zu China erwischt und für ein Jahr in ein Gefangenenlager gesteckt. Bald nach ihrer Freilassung unternahm sie einen zweiten Versuch, sie durchschwamm den Fluss Tumen nach China. Von dort aus reiste sie nach Südkorea.
Vor zwei Jahren wurde in Nordkorea der allgemeine Wehrdienst für Frauen eingeführt. Seitdem müssen 18-jährige Mädchen mindestens sieben Jahre in der Armee dienen, von Männern werden sogar zehn Jahre erwartet - in keinem anderen Land der Welt dauert die Wehrpflicht so lange wie in dem kommunistischen Land. Zwar habe sich die Versorgung mit Hygieneartikeln seitdem etwas verbessert, berichtet Morillot, Soldatinnen in ländlichen Regionen hätten oft aber immer noch nicht einmal Zugang zu eigenen Sanitäranlagen. Sie müssten sich oft vor den Augen von Männern erleichtern, was sie noch angreifbarer mache.
Tags: