Warum Irland die größte Brexit-Klippe ist

  24 November 2017    Gelesen: 575
Warum Irland die größte Brexit-Klippe ist
Die Grenze zwischen Irland und Großbritannien ist die meistunterschätzte Hürde in den Brexit-Verhandlungen. Sie gefährdet den Frieden. Und sie ist Sprengstoff für den EU-Binnenmarkt.
Als sich Apple 1980 nach einem Standort für seine Europa-Zentrale umsah, musste der Konzern nicht lange suchen. In Irland fand er alles, was er brauchte: billige Arbeitskräfte und Zugang zum EU-Binnenmarkt. Später kamen noch Steuervorteile hinzu, mit denen der Konzern Milliarden sparte. Steve Jobs persönlich flog 1980 nach Cork, um die irische Apple-Niederlassung zu eröffnen.

Inzwischen ist die zweitgrößte irische Stadt zum Mekka für Multis geworden. Pfizer, Johnson & Johnson, Amazon und viele andere internationale Konzerne nutzen dieselben Vorteile wie Apple. Von der Küstenstadt im Süden Irlands können sie ihre Waren auf kurzen Seewegen nach Großbritannien und von dort weiter in den Rest der EU transportieren. Diese engen Handelsbeziehungen sind die meistunterschätzte Hürde in den Brexit-Verhandlungen. Denn Londons geplanter Austritt aus dem Binnenmarkt und der Zollunion würde die Routen lahmlegen.

Mitte Dezember wollen die EU-Länder mit London eigentlich die zweite Phase der Verhandlungen über die zukünftigen Handelsbeziehungen einläuten. Die Erwartungen an den Gipfel in Brüssel sind hoch. Beide Seiten konnten sich bislang weder auf Großbritanniens Restzahlung für seine finanziellen Altlasten, noch die künftigen Rechte von EU-Bürgern einigen. Die Irland-Frage ist ein noch größerer Knackpunkt. Denn hier müssen sich nicht nur zwei, sondern gleich drei Seiten einigen. Einen Kompromiss zwischen den Positionen Dublins, Londons und Brüssels zu finden, grenzt an die Quadratur des Kreises. Trotzdem müssen alle zustimmen - sonst platzt der Brexit-Deal.

Dreifrontenkrieg zwischen London, Dublin und Brüssel

Irlands neuer Regierungschef Leo Varadkar pocht auf eine möglichst enge Bindung an Großbritannien nach dem Brexit. Ginge es nach Dublin, würde sich am Status Quo nichts ändern. Kein Wunder: Laut der irischen Statistikbehörde gehen rund ein Fünftel aller irischen Dienstleistungsexporte und zwei Fünftel aller irischen Lebensmittel ins Vereinigte Königreich. Zudem würden nach dem Brexit neue Grenzkontrollen in Richtung Nordirland das Karfreitagsabkommen von 1998 unterlaufen, das die Sicherheitschecks abgeschafft hatte, und somit den labilen Frieden zwischen Protestanten und Katholiken in Nordirland gefährden.

Um diesen zu bewahren, müsste London Entgegenkommen zeigen und Dublin Handelsbeziehungen wie in der EU-Zollunion und dem Binnenmarkt anbieten. Doch genau die will Premierministerin Theresa May ja eigentlich verlassen, so wie es die Brexit-Hardliner in ihrer Partei fordern. Durch Zugeständnisse an Irland würde sie noch mehr Spielraum verlieren: Mays Koalitionspartner, die erzkonservative nordirische DUP, an der das Überleben ihrer Minderheitsregierung im Unterhaus hängt, ist strikt gegen Sonderrechte für Dublin.

Brüssel steht zwischen den Fronten. Einerseits will die EU den Frieden in Nordirland bewahren und unterstützt Dublin deshalb bei der Forderung nach möglichst offenen Grenzen ohne Handelshemmnisse. Andererseits sind die restlichen EU-Länder strikt gegen eine Extrawurst für Dublin. Erstens, weil Brüssel fürchtet, Großbritannien könnte über den Umweg Irland nach dem Brexit doch noch die gleichen Rechte wie vorher als EU-Mitglied bekommen - nur ohne die Kosten der EU-Mitgliedschaft.

Zolloase mitten in Europa?

Und zweitens, weil Irland durch Exklusivrechte zur Sonderwirtschaftszone werden würde, die andere EU-Länder massiv benachteiligt: Firmen hätten freien Zugang zur EU und zu Großbritannien und würden damit in der besten aller Welten leben. "Wenn ich eine japanische Halbleiterfabrik wäre, würde ich mich dann in Belfast niederlassen", sagt ein ranghoher EU-Unterhändler der "Financial Times". "Die Briten und die Iren können vielleicht damit leben. Aber die Franzosen werden damit definitiv nicht leben wollen." Sonderrechte für Irland im Handel mit Großbritannien würden die Gemeinschaft spalten und andere Länder zum Austritt ermutigen.

Die EU-Länder sind deshalb so wachsam, weil Dublin bisher nicht gerade mit Fairness aufgefallen ist. Das aggressive Steuerdumping, mit dem die irische Regierung einst Apple und dutzende andere Großkonzerne nach Cork lockte, ist ihnen schon lange ein Dorn im Auge. Nach dem Brexit könnte es sich noch verschlimmern, falls Dublin mögliche Sonderrechte im Handel mit weiteren Steuerschlupflöchern garniert.

Spätestens der Steuerstreit mit Apple zeigt, dass Brüssel kein Interesse daran hat, die grüne Insel am Rand Europas nach dem Brexit auch noch zur Hintertür im Binnenmarkt werden zu lassen. "Wenn ich mir dieses Grenzthema anschaue, sehe ich nur höllisch komplizierte Dinge", sagt ein anderer EU-Brexit-Unterhändler der "Financial Times". "Und ich sehe nicht wirklich eine dauerhafte Lösung."

Quelle: n-tv.de

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