Alt ist das Land trotzdem – ziemlich alt sogar. Wahrscheinlich sogar das älteste auf dem ganzen Kontinent. Denn der lange breite Fluss, der mit seinen verästelten 2900 Kilometern in Nordamerika an Rang drei steht, ist nicht nur die traditionelle Lebensader der Provinzen Quebec, Nova Scotia und New Brunswick – sondern er war es auch, dem die ersten Siedler bei ihrem Zug gen Westen gefolgt sind. Und während sie auf dem Weg zum Pazifik noch in Zelten hausten und über staubige Prärie-Pisten reiten mussten, gibt es hier unterdessen nicht nur Steinhäuser und befestigte Städte, sondern auch ordentliche Straßen.
Unterwegs auf der Königsstraße
Eine davon ist der Chemin du Roi, die Straße der Könige, die sich auf 280 romantischen Kilometern durch das Herz des französischen Kanadas schlängelt. 1706 vom Großen Rat der französischen Kolonie Neufrankreich als Verbindung der Siedlungen am Nordufer des Flusses beschlossen, ab 1731 gebaut und 1737 mit einer Breite von exakt 7,40 Metern fertig gestellt, war sie damals die längste Straße Amerikas nördlich des Rio Grande und gilt den Historikern heute zugleich als eine der ältesten auf dem ganzen Kontinent.
Sie ist die perfekte Strecke für eine erste Begegnung mit dem VW Atlas, den die Niedersachsen eigens für Nordamerika entwickelt und dort in diesem Sommer eingeführt haben. Größer als der Touareg, aber kaum mehr als halb so teuer, soll das zusammen mit dem Passat in Chattanooga gebaute XXL-SUV VW zurück auf die Straße der Gewinner führen und als Pampersbomber für die Soccer-Mums das größte Segment am US-Markt erobern.
In einem Tiguan wäre man verloren
Der ist zwar von Montreal aus noch ein gutes Stück weit entfernt und in Kanada geht es auch bei der Wahl der Wagen deutlich europäischer zu als bei den gerade nicht ganz so beliebten Nachbarn im Süden. Doch hier auf dem Chemin du Roi entlang des Sankt Lorenz Stroms, wo man die ganze Zeit den Kurs teilt mit den Ozeanriesen im Binnenland, wo die Blicke weit reichen und die Landschaften groß sind, braucht man ein Auto von Format und würde sich in einem Tiguan wahrscheinlich verloren fühlen. Genau wie die kleinen Fische im St. Lorenz-Strom, wenn ihnen hunderte Wale bei einem Zwischenstopp zu den Winterquartieren im warmen Süden vorführen, was wahre Größe ist.
Also genießt man den Souverän von 5,04 Metern und mehr als zwei Tonnen, der so viel bulliger und robuster dreinschaut als der beinahe filigrane Touareg. Man freut sich an der hohen Sitzposition und den bequemen Sesseln, in denen man auch nach Stunden des trägen Dahingleitens noch wunderbar bequem sitzt und man ist froh über das riesige Platzangebot mit einer dritten Bank im Kofferraum. Anders als im Tiguan Allspace ist die aber keine Notlüge, sondern tatsächlich eine vollwertige Sitzreihe. Und wenn sich dort keine Kinder tummeln, gibt es Stauraum für alle Souvenirs der Welt.
Gartenmöbel und frische Äpfel
Es hat sogar Platz, um bei den vielen Hobby-Schreinern entlang des Weges Gartenmöbel einzuladen. Auch in den Türen und der Mittelkonsole gibt es mehr Ablagen für den Reiseproviant, als man in den drei Tagen, die man für die Fahrt von Montreal nach Quebec einplanen sollte, überhaupt vertilgen kann. Erst recht, weil es alle paar Kilometer einen Farmstand gibt, an dem sie frische Äpfel und natürlich den allgegenwärtigen Ahornsirup verkaufen.
Und auch die eher gemütliche Abstimmung des Riesen passt gut zu dieser entschleunigten Reise, bei der man automatisch das Tempo herausnimmt und sich treiben lässt wie die Segelschiffe auf dem St. Lorenz Strom. Nicht dass der Atlas nicht genügend Dampf hätte. Schließlich fährt er in der Topversion mit einem 280 PS starken V6-Motor, der bei 360 Newtonmeter selbst mit diesem Brocken leichtes Spiel hat und beim strengen kanadischen Tempolimit trotz der betont soften Achtgang-Automatik zu einer gefährlichen Versuchung werden kann. Doch wenn man es eilig hat, kann man schließlich auch die Autobahn nehmen und die Strecke in drei Stunden statt in drei Tagen schaffen. Aber dann macht es eben nur halb so viel Spaß.
Langsam aber kurzweilig
Deshalb ist man gut beraten, wenn man den blauen Tafeln mit der weißen Königskrone folgt und sich auf ein paar Ab- und Umwege einlässt. Mit dem serienmäßigem Allradantrieb und entsprechender Bodenfreiheit kommt man schließlich auch auf der abgelegensten Nebenstraße durch und weil die Kanadier ihren Königsweg seit der Eröffnung vor bald 300 Jahren tapfer pflegen, wird es schon nicht so schlimm werden. Außerdem locken als Lohn der Mühe am Wegesrand Dutzende Käsereien und Weingüter, Kaufmannsläden und Kaffees und natürlich jede Menge Restaurants, in denen man abendelang bei frischer Meeresküche und schweren Weinen versumpfen kann. Nicht umsonst rühmen sich die Einwohner von Quebec und Montreal der besten französischen Küche, die man außerhalb Paris’ bekommen kann.
Nach 280 überraschend langsamen aber umso kurzweiligeren Kilometern endet die Fahrt in Quebec, das vor allem die Amerikaner lieben, weil man einer europäischen Altstadt auf ihrem Kontinent kaum näherkommen kann als in den Gassen am Fuß der Zitadelle. Und sie endet mit einer ebenso passenden wie ernüchternden Begegnung. Denn als der Atlas am Ende des Chemin Du Roy im Hafen der Provinzhauptstadt ausrollt, liegt am gleichen Quai ausgerechnet die Queen Mary II. So wie der Atlas das größte Modell in der VW-Palette ist, dominiert sie den Größenvergleich unter den Kreuzfahrtschiffen. Doch anders als der Riese aus Chattanooga hat der Ozean-Liner einen entscheidenden Vorteil: Während VW aus Angst um den Touareg beharrlich den Export des Riesen aus der neuen in die alte Welt verweigert, ist das Kreuzfahrtschiff in kaum mehr als einer Woche in Europa.
Quelle: n-tv.de
Tags: