Katalonien vor den Wahlen: Druck der spanischen Zentralregierung auf allen Ebenen

  13 Dezember 2017    Gelesen: 746
Katalonien vor den Wahlen: Druck der spanischen Zentralregierung auf allen Ebenen
Seit eineinhalb Monaten hat die spanische Regierung die Kontrolle in Katalonien. Mit Konsequenzen bis hin zur katalanischen Kulturpolitik: Das Museum von Lleida muss 44 Kunstwerke an die Region Aragonien zurückgeben. Auch die katalanischen Medien stehen unter Druck.
Die Krise um die Unabhängigkeitsbestrebungen der spanischen Region Katalonien hat nun auch konkrete Auswirkungen auf die Kunstwelt: 44 Kunstschätze, die bis jetzt im Diözesanmuseum der katalanischen Stadt Lleida zu sehen waren, müssen an Aragonien zurückgegeben werden. Unter heftigen Protesten von Demonstranten waren Experten am Montag stundenlang damit beschäftigt, die fragilen Exponate zu verpacken.

In Begleitung von Polizisten seien die Techniker bereits um vier Uhr morgens angerückt, um mit ihrer Arbeit zu beginnen, berichteten spanische Medien. Am Mittag wurden erste Exponate aus dem Museum getragen und in Kleinlaster verladen. Der entmachtete katalanische Präsident Carles Puigdemont, der sich nach Brüssel abgesetzt hat, kritisierte auf Twitter, die Zentralregierung habe "im Schutze der Nacht" damit begonnen, "Katalonien ungestraft zu plündern". Er sprach von einem "Staatsstreich".

Am Nachmittag erreichten die Fahrzeuge das Kloster Santa María de Sigena in Aragonien, aus dem die Artefakte usprünglich stammen. Die örtliche Kulturbeauftragte sprach von einem "historischen Tag".


Jahrzehnte lang hatten die nordostspanische Region und das angrenzende Aragonien um die Kunstschätze gestritten. Die Stücke waren während des Spanischen Bürgerkriegs aus dem königlichen Kloster in Villanueva de Sigena entfernt und nach Katalonien gebracht worden. Kürzlich hatte ein Gericht entschieden, dass die Werke zurückgegeben werden mussten.

Die Zentralregierung in Madrid hatte Ende Oktober nach einem Unabhängigkeitsbeschluss des katalanischen Parlaments die Regionalregierung entmachtet und die Kontrolle in der Region übernommen. Nun ist der spanische Kulturminister Íñigo Méndez de Vigo für die Museen zuständig – und der ordnete nach dem Gerichtsurteil an, die Rückgabe umgehend einzuleiten. Die Regionalregierung hatte hingegen jahrelang mit allen juristischen Mitteln versucht, dies zu verhindern.

Vor dem Museum hatten am Montag mehrere hundert Demonstranten versucht, den Abtransport zu verhindern. Auf Transparenten war zu lesen: "Die Museen dürfen nicht angerührt werden." Die Polizei war mit einem Großaufgebot im Einsatz. Die Situation war zeitweise angespannt. In Villanueva de Sigena feierten Anwohner hingegen die Rückkehr der Kunstwerke.

Konkret geht es um drei hölzerne Sarkophage aus dem 15. Jahrhundert, Teile eines Alabaster-Altars sowie Gemälde aus dem 18. Jahrhundert. Aragonien hatte immer wieder die Herausgabe der Stücke gefordert, jedoch hatten die Behörden in Katalonien stets argumentiert, die Werke seien zu zerbrechlich, um einen Transport zu überstehen. "Ich bin sehr traurig, wir fühlen uns wehrlos", sagte die Ex-Direktorin des Museums, Montse Macià.

Der Druck Spaniens auf Katalonien äußert sich auch im Umgang mit den Medien. So darf der in Brüssel ausharrende abgesetzte katalanische Präsident Carles Puigdemont in den Medien nicht "Präsident" genannt werden. Ebenso dürfen offenbar katalanische Minister, die sich in Haft befinden, wie unter anderem auch Oriol Junqueras, bis zu seiner Verhaftung Wirtschafts- und Finanzminister, nicht "Minister" genannt werden. Auch der Ausdruck "politische Gefangene" soll verboten sein.

Junqueras führt die ERC-Liste an, die nach den Prognosen die Wahlen am 21. Dezember gewinnen wird. Der inhaftierte Politiker machte klar, dass er sich nicht "allein" im Gefängnis fühle, es aber als "tiefe Ungerechtigkeit" empfinde, weiter in Haft verweilen zu müssen, anstatt sich in den Wahlkampf einbringen zu können. Gleichzeitig forderte alle auf, zur Wahl zu gehen, "denn jede Stimme ist ein Schrei für die Freiheit". Seine Stellvertreterin Rovira sprach von einer "Rache" Spaniens. Sie befürchtet, dass es keine sauberen Wahlen geben könne, da Spanien wisse, "dass wir erneut gewinnen werden". Spanien habe "Angst vor der Demokratie", weshalb auch in Wahlen "unsauber" gespielt werde.

Die Angst der spanischen Zentralregierung vor einer Stärkung der Unabhängigkeitsbewegung an den Wahlurnen geht soweit, dass offenbar über ein Verbot der Farbe Gelb nachgedacht wird. Die Farbe wurde im Zuge der Ereignisse nach dem Unabhängigkeitsreferendum immer mehr zum Symbol der Separatistenbewegung. Der katalanische Politikwissenschaftler Josep Costa sagte in einem Interview mit Sputnik:

Es ist die Wahlkommission, die auf eine Petition der sozialistischen Partei hin, eine Entscheidung trifft, dass die Mitglieder der Wahllokale, die in offizieller Funktion in den Wahllokalen tätig sind, nicht die gelben Symbole tragen dürfen, die benutzt werden, um die Freilassung der politischen Gefangenen zu fordern. Auch haben sie eine ähnliche Entscheidung über öffentliche Gebäude, oder sogar in Denkmälern, dass die gelbe Farbe, die symbolisch für die Kampagne der Freilassung der politischen Gefangenen, dass all dies entfernt werden sollte. Alles, was mit der Kampagne für die Freilassung der Gefangenen zusammenhängt, sollte in öffentlichen Räumen und Wahllokalen verboten werden. Es hat eine Menge Empörung hervorgerufen.

Zehntausende hatten am vergangenen Donnerstag in Brüssel für die Unabhängigkeit Kataloniens und mehr Unterstützung durch die EU demonstriert. Die Polizei schätzte die Menge auf 45.000 Menschen. Unter dem Motto "Wach auf Europa!" zogen sie am Donnerstag durch das Europa-Viertel in der belgischen Hauptstadt. In Sprechchören forderten sie unter anderem die Freilassung ehemaliger katalanischer Minister. Nach Angaben der Polizei verlief die Demonstration friedlich.

Auf vielen Spruchbändern forderten die Menschen Solidarität mit Katalonien. "Die EU soll uns helfen, denn wir sind europäische Bürger", sagte etwa Pere Lheal, der aus der Nähe von Barcelona nach Brüssel gekommen war. "Wir wollen frei sein", ergänzte ein junger Mann, der mit seiner gesamten Familie angereist war.

Katalonien hatte im Oktober seine Unabhängigkeit erklärt, was die spanische Regierung als verfassungswidrig kritisiert. Sie unterstellte die Region ihrer direkten Kontrolle. Der ehemalige katalanische Regierungschef Carles Puigdemont flüchtete mit mehreren Ministern nach Brüssel. Die von den Katalanen als Zwangswahlen empfundenen Regionalwahlen am 21. Dezember sollen die Krise bewältigen helfen. Puigdemont hatte angekündigt, kandidieren zu wollen.

Der ehemalige katalanische Regierungschef Carles Puigdemont will jeodch vorerst in Brüssel bleiben und nicht zum Wahlkampf in seine Heimat zurückkehren. Die EU-Hauptstadt sei der richtige Ort, um seine Rechte zu verteidigen, so Puigdemont. Spanien hatte vergangene Woche überraschend den europäischen Haftbefehl und das Auslieferungsbegehren gegen Puigdemont und vier seiner ehemaligen Minister fallen lassen.

Puigdemont mutmaßte über die Hintergründe der plötzlichen Wende:

Die Spanier haben Angst bekommen, dass sie verlieren würden. Das zeigt, dass wir es hier mit einer politischen Angelegenheit zu tun haben und dass hinter dem europäischen Haftbefehl von Anfang an politische Motive steckten.

In Spanien selbst gelten aber weiter Haftbefehle gegen die fünf Politiker.




deutsch.rt

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