Das Zentralvorstandsmitglied der Anwaltskammer von İzmir Nuriye Kadan warnt: „Es gibt in unserem Land leider 181.036 Kinderbräute.“ Die tatsächliche Zahl sei wahrscheinlich viel höher, weil viele Kinderehen nur unter der Anwesenheit eines Imams durchgeführt und nicht offiziell von den Behörden registriert würden, so die Frauenrechtlerin. Allein im Jahr 2012 hätten fast 20.000 Eltern den Antrag gestellt, ihre unter 16-jährigen Mädchen zu verheiraten. „Rund 97,4 Prozent der Schüler, die ihre Ausbildung aus familiären Gründen nicht fortführen sind weiblich“, zitiert die türkische Zeitung Hürriyet Kadan, die auch auf die lebensbedrohlichen Gefahren einer zu frühen Schwangerschaft und Geburt hinwies.
Die Kinderheirat sei eine immense „Verletzung der Rechte der Kinder“, sagt Kadan. Nach derzeitigem Stand seien ein Drittel der Ehen in der Türkei Kinderehen. Dass es sie immer noch gebe sei der patriarchalen und traditionellen Denkweise der türkischen Gesellschaft geschuldet, die diese Vorgehensweise verinnerlicht und legitimiert habe.
Nach Ansicht des ehemaligen Staatsministers Isilay Saygın könne dem nur durch Bildung begegnet werden. Kinderehen, die durch Gewalt und Drohungen zustande kämen, müssten bestraft werden, so auch Professor Mustafa Ruhan Erdem. Noch immer gelte die Kinderheirat in der Türkei nicht als kriminelle Handlung. „Die Ehe sollte auf dem freien Willen nach internationalem Recht basieren. Das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt, das die Türkei im Jahr 2011 unterzeichnet hat, sieht den Erlass von Gesetzen vor, die vorsätzliche Handlungen, die Erwachsene oder Kinder in die Ehe zwingt, als ein ‚Verbrechen‘ zu betrachten. Zwangsheirat sollte nicht ungestraft bleiben.“
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