Die angekündigten Sozialkürzungen sorgen vor allem für Kritik. Familien, die Sozialhilfe beziehen – in Österreich Mindestsicherung genannt – sollen künftig maximal 1.500 Euro monatlich erhalten. Das Arbeitslosengeld soll mit der Bezugsdauer sinken. Auch die Leistungen für Flüchtlinge sollen stark gesenkt werden. Diese Ankündigung wird besonders kritisiert (siehe unten). Der Sozialdemokrat Hannes Swoboda sagte im Deutschlandfunk: "Ich glaube, die größte Sorge ist in der Flüchtlingsfrage, (...) dass man bei der Integration versagt." Für die Sozialhilfe sind in Österreich eigentlich die Bundesländer zuständig, aber ÖVP und FPÖ wollen die Länder per Gesetz zu den Kürzungen zwingen.
Im Gegenzug will die neue Regierung die Mindestpension erhöhen sowie Steuern und Schulden senken. Dem Wiener Standard zufolge sollen Arbeitnehmer und Unternehmer in einer ersten Stufe um zwei Milliarden Euro entlastet werden. Der designierte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und sein Vize, Heinz-Christian Strache (FPÖ), kündigten an, dass ihre Reformen vor allem Menschen mit niedrigen Einkommen helfen sollen. Wie genau das funktionieren soll, ist noch unklar.
Kritisiert wird auch, dass künftig die rechte FPÖ das Innen- und Verteidigungsministerium leiten soll. Sie wird also für die gesamte Sicherheitspolitik mitsamt Verfassungsschutz zuständig sein.
FPÖ-Chef Strache hat außerdem angekündigt, man wolle im öffentlichen Rundfunk (ORF) "Optimierungen vornehmen, was die Objektivität betrifft". Mit kritischer Berichterstattung hat die Partei schon seit dem Ex-Vorsitzenden Jörg Haider Schwierigkeiten. Im vergangenen Jahr forderte Strache wegen einer Recherche um den Israel-Besuch des FPÖ-Präsidentschaftskandidaten Norbert Hofer den Rücktritt der ORF-Journalisten Armin Wolf und Ingrid Thurnher. In einem anderen Fall berichtete der Falter über einen Korruptionsverdacht und darüber, dass der künftige FPÖ-Innenminister Herbert Kickl in die Affäre verwickelt sein solle. Die FPÖ zog gegen den Falter vor Gericht – und verlor.
Wie will die rechtspopulistische Regierung mit Asylbewerbern umgehen?
Im Regierungsprogramm "Für unser Österreich" haben sich die Regierungsparteien auf eine "konsequente Verhinderung von Asylmissbrauch" und schnellere Asylverfahren verständigt.
Die neue Regierung versteht darunter vor allem drastische Leistungskürzungen: In Wien sollen etwa anerkannte Asylbewerber mit rund 520 Euro im Monat (inkl. Integrationsbonus) rund 300 Euro weniger erhalten als bislang. Neu Zugewanderte sollen in den ersten fünf Jahren von vielen Sozialleistungen ganz ausgeschlossen werden. Statt Bargeld sollen sie nur noch Sachleistungen erhalten und auch nicht mehr individuell untergebracht werden. Für Asylbewerber soll außerdem ein "umfassendes Arbeitsverbot" gelten. Kritiker befürchten, dass solche Maßnahmen die Integration deutlich erschweren, da sie Flüchtlinge räumlich und gesellschaftlich isolieren.
Zudem planen ÖVP und FPÖ starke Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte. So soll bei "grundversorgungsrelevanten Erkrankungen oder Einschränkungen" die ärztliche Schweigepflicht aufgehoben werden, Details dieser Pläne sind allerdings noch unklar. Besonders umstritten: Geflüchtete sollen bei der Einreise ihr gesamtes Bargeld und ihre Handys abgeben. Mit dem Auslesen von Handydaten und Einträgen in sozialen Medien wollen die Behörden Reiserouten und Identitäten klären. Straffällig gewordene Asylbewerber sollen zudem elektronisch überwacht werden.
Um Asylbewerber schneller abschieben zu können, sieht das Regierungsprogramm beschleunigte Verfahren und kürzere Beschwerdefristen vor. Ob das verfassungsgemäß ist, ist zweifelhaft. Erst im Oktober hatte der Verfassungsgerichtshof eine verkürzte Beschwerdefrist in Asylverfahren als verfassungswidrig zurückgewiesen.
Was ändert sich für Europa?
Der zukünftige Kanzler Kurz ist in Brüssel für seine scharfe Kritik an der EU-Flüchtlingspolitik bekannt, für Attacken auf Mitgliedsstaaten wie Italien oder Ankündigungen, den Brenner vor Flüchtlingen zu schließen. Sein Koalitionspartner FPÖ ist in der EU-feindlichen Europaparlamentsfraktion ENF organisiert, zusammen mit dem rechtsextremen Front National (FN), deren Chefin Marine Le Pen im Zusammenhang mit der neuen rechtspopulistischen Koalition von "großartigen Neuigkeiten" sprach.
Deshalb überrascht es, dass Regierungschef Kurz einen proeuropäischen Kurs angekündigt hat. Der Koalitionsvertrag von ÖVP und FPÖ nennt die Grundprinzipien der EU ein Fundament der künftigen Politik. Es ist auch eine Reaktion auf Bundespräsident Van der Bellen, der einen europafreundlichen Kurs der schwarzblauen Regierung eingefordert hatte. Beide Parteien einigten sich darauf, dass es keine Volksabstimmung über einen Austritt Österreichs aus der EU geben wird. Kurz wertet das EU-Thema sogar auf: Einige EU-Abteilungen des Außenministeriums ziehen ins Kanzleramt um und stehen damit stärker unter seiner Kontrolle. Um Bedenken zu zerstreuen, geht Kurz' erste Auslandsreise als Kanzler bereits am Dienstag nach Brüssel, nur einen Tag nach seiner Vereidigung.
Bereits im nächsten Jahr wird der neue Europakurs deutlich werden, wenn Österreich in der zweiten Jahreshälfte 2018 den EU-Ratsvorsitz übernimmt. Damit ist stets auch verbunden, dass ein Land eigene Themenschwerpunkte in der EU-Politik setzen kann. In der Frage über die Zukunft der EU setzt Österreich auf das Szenario "Weniger, aber effizienter". Die EU solle sich auf Kernkompetenzen beschränken und den nationalen Entscheidungen mehr Raum lassen. Einige Regulierungen sollen auslaufen. Damit liegt Österreich auf einer Linie mit den Visegrád-Staaten Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn. Möglicherweise wird sich die neue Regierung insgesamt mehr nach Osteuropa orientieren. Österreich will sich außerdem Verbündete für den Abbruch der Beitrittsgespräche mit der Türkei suchen. Eine Stärkung der EU kann sich Kurz beim Grenzschutz vorstellen – das ist aber längst geplant oder geschieht bereits.
EU-Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici twitterte, die neue Regierung müsse sich an demokratische und europäische Werte halten. Die Regierungsbeteiligung einer rechtsextremen Partei sei niemals harmlos. Für seinen Politikbereich ist entscheidend, dass die ÖVP-FPÖ-Regierung nichts zur künftigen EU-Finanzpolitik gesagt hat. Dabei wird der nächste EU-Haushalt verabschiedet, wenn Österreich die EU-Ratspräsidentschaft inne hat.
zeit.de
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