Der “Masterplan“ des Islamischen Staats
Der "Masterplan" al-Bagdadis beginnt mit einigen salbungsvollen einführenden Worten. Nach 50 Jahren des Dschihads erhebe Gott seine "wahren Soldaten" dazu, ein Kalifat zu errichten. Recht früh wird das Dokument dann aber profaner: Die Gründung des Islamischen Staats basiere nicht auf waffentragenden Mudschahidin oder der Missionierung in Moscheen und auf der Straße, sondern auf einem umfassenden Staatswesen, das die islamischen Führer aufbauen müssten.
Auf den 24 folgenden, jeweils mit einem Schwert dekorierten Seiten werden detailliert Schritte beschrieben, um eine Regierung samt Steuerwesen und Verwaltung zu etablieren. Zudem beschreibt es ein wirtschaftliches Programm der Autarkie. Dazu soll die Kontrolle über Öl, Gas und andere wichtige Wirtschaftszweige zentralisiert werden. Der Autor, der Kalif al-Bagdadi nahe stehen soll, macht sich Gedanken über alle Bereiche einer Gesellschaft: ein Gesundheitswesen, Bildung, Handel, Kommunikationsstrukturen und den Arbeitsmarkt.
Sehr detailliert beschreibt eines der zehn Kapitel den Aufbau militärischer Strukturen. So soll es ein enges Netz von Trainingscamps geben, das zwischen regulären Truppen und Veteranen unterscheidet. Altgediente Reservisten sollen regelmäßig in die Camps gerufen werden, um Einführungen in den neusten Stand militärischer Technik und der Strategien des IS zu bekommen. Eine komplexe Verwaltung soll die Kämpfer organisieren.
Besonders spannend sind die Passagen, die den Einsatz von Kindersoldaten beschreiben. Kinder sollen in Bildungseinrichtungen gedrillt und indoktriniert werden. Zudem sollen sie darin geschult werden, leichte Waffen zu tragen und zu nutzen. "Ausgewählte Individuen" unter den Kindern sollen dazu auserwählt werden, um militärische Funktionen zu übernehmen. Sie sollen etwa an Checkpoints postiert werden oder an Patrouillen teilnehmen.
Verfasser des Handbuchs ist Abu Abdullah al Masri. Seine Identität ist nicht zweifelsfrei geklärt, es soll sich jedoch um den späteren Chef des Elektrizitätsnetzes auf dem Gebiet des IS handeln. Der "Guardian" gibt an, das Handbuch sei von einem Geschäftsmann, der innerhalb des IS tätig war, in den Westen geschmuggelt worden. Dieser habe es an den Wissenschaftler Aymenn al-Tamimi weitergegeben; der wiederum überließ es der Zeitung zur Publikation. Der Mann, der die Dokumente geleakt hat, wird vom "Guardian" aus Sicherheitsgründen nicht näher beschrieben. Er soll jedoch etwa 30 weitere Dokumente aus dem inneren Zirkel des IS geschleust haben.
Für US-General Stanley McChrystal, der als Kommandeur des Joint Special Operations Command bis 2008 Vorgängerstrukturen des IS bekämpft hatte, sind die Papiere von unschätzbarem Wert: "Sollten sie tatsächlich authentisch sein, sind sie faszinierend und sollten vor allem von Politikern im Westen gelesen werden", sagte er dem "Guardian". Sie räumten mit der Mär auf, dass es sich beim IS um "psychopathische Killer" handele. Damit unterschätze man die Gefahr des IS.
US-Forscher Charlie Winter schließt sich dem Urteil an: "Der IS ist weit mehr als eine Armee irrationaler und blutrünstiger Fanatiker." Vielmehr habe die Terrormiliz eine berechnende politische Organisation mit einer extrem komplexen Infrastruktur errichtet.