Auf den ersten Blick ist die Nachricht spektakulär: Kim Jong Un ruft "alle Koreaner in ihrer Heimat und im Ausland" zu einem Durchbruch zur Wiedervereinigung von Norden und Süden auf. Alle Widerstände auf dem Weg dahin werde Pjöngjang "zerschmettern", heißt es in bestem nordkoreanischem Propagandaduktus. Und genau als solche müssen die Sätze des Diktators wohl auch klassifiziert werden: als Teil von Nordkoreas Propaganda.
Seit über 70 Jahren ist die Halbinsel geteilt. Und ebenso lange verfolgen beide Seiten offiziell das Ziel einer gemeinsamen Zukunft. In regelmäßigen Abständen riefen auch Kim Jong Uns Vorgänger dazu auf. Nach dem Krieg 1953 dauerte es eine Weile, bis halbwegs ernsthafte Gespräche darüber geführt wurden. Seither gab es mehrere Anläufe. Jedes Mal näherten sich die beiden Seiten an, die Einheit blieb jedoch stets in weiter Ferne. Und auch Rückschläge gab es immer wieder. Dass es dieses Mal den großen Wurf geben wird, ist unwahrscheinlich - aus mehreren Gründen.
Kim-Herrschaft über Seoul?
Beide Seiten haben vollkommen unterschiedliche Vorstellungen davon, wie ein geeintes Korea aussehen soll. Nordkoreanische Staatsdoktrin ist die immer wieder propagierte Überlegenheit des eigenen Systems. Wenn Kim von Einheit spricht, meint er nicht einen Übergang des Nordens in eine westlich-kapitalistische Gesellschaft.
Offizielle Vorstellung ist ein großes Korea - sozialistisch und unter Führung der Kim-Dynastie. Im Süden will das freilich keiner. Dort ist eine Einheit nur mit einem Wandel des Nordens nach einer Abdankung der Kims vorstellbar. Letzteres darf man getrost ausschließen.
Wer soll das bezahlen?
Bis die Lebensverhältnisse im vollkommen rückständigen Norden halbwegs denen des Südens angeglichen wären, müssten Milliarden fließen. Der Vergleich mit Deutschland wird oft bemüht. Doch er führt in die Irre: Die Unterschiede zwischen den beiden Koreas sind sehr viel größer als die zwischen den beiden Deutschlands Ende der 80er Jahre. Die Wirtschaftskraft des Südens ist etwa 40 Mal so groß wie die des Nordens. Westdeutschland war damals nur zehn Mal so stark wie die DDR.
Wie hoch die Einheitskosten konkret wären, vermag angesichts des stark abgeschotteten Nordens kaum jemand seriös zu taxieren. Experten kommen auf Summen von mindestens 500 Milliarden Dollar. Wahrscheinlicher ist, dass die Einheit weit über eine Billion kostet. Das zu schultern, wäre für die Südkoreaner eine Jahrhundertaufgabe.
Teure Einheit - muss nicht unbedingt sein
Korea ist so lange geteilt, dass die Zahl derer, die sich an ein geeintes Korea erinnern können, immer kleiner wird. Man muss schon um die 80 Jahre alt sein, um davon noch eine konkrete Vorstellung zu haben. Für Familien, die durch die Grenze seit Jahrzehnten getrennt sind, ist das Thema Wiedervereinigung noch hoch emotional. Doch nach einer so langen Zeit hat es eher folkloristischen Charakter.
Zwar geben in Umfragen 80 Prozent an, eine Wiedervereinigung zu wollen. Gerade für jüngere Menschen hat diese aber keinen besonders hohen Stellenwert. Wenn dafür dann schmerzhafte Einschnitte nötig werden, dürfte die Akzeptanz nicht besonders groß sein. Eine ausgehandelte Einheit ist daher für südkoreanische Politiker nicht opportun. Anders läge der Fall, wenn sie durch einen Staatskollaps im Norden zustande käme.
Impulse von außen fehlen
Ein Zusammenbruch Nordkoreas ist nicht unmittelbar zu erwarten. Das liegt auch daran, dass China als Nachbar das Regime protegiert – allen offiziellen Ermahnungen aus Peking zum Trotz. Das hat einen einfachen Grund: Das mächtige Reich will keine Grenze mit einem westlichen Land haben. Nordkorea dient China als Puffer zum Süden, in dem unter anderem auch US-Truppen stationiert sind.
Die USA wiederum werden derzeit von einem Mann regiert, der ,gelinde gesagt, nicht zu den diplomatischsten Vertretern seiner Zunft zählt. Eine Wiedervereinigung bedürfte aber eines feinfühligen Prozesses der Annäherung, vor allem bei der von Pjöngjang als Provokation angesehenen militärischen Präsenz der USA in der Region.
Kim fühlt sich so stark wie nie
Das Handeln des nordkoreanischen Regimes ist, befreit von allem ideologischen Blendwerk, ausschließlich auf den eigenen Machterhalt ausgelegt. Der Norden hat gerade den Durchbruch bei seinem Atomprogramm geschafft. Und die Rakete ist so etwas wie die "Lebensversicherung" Kims. Warum sollte er diese aus seiner Sicht bequeme Position ernsthaft freiwillig aufgeben?
Zumal: Teil der nordkoreanischen Elite zu sein, bringt Annehmlichkeiten mit sich. Die Prassereien im engeren Führungszirkel Pjöngjangs sind legendär. Die Sanktionen der letzten Jahre haben daran nichts Grundlegendes geändert.
Was soll das Ganze dann?
Die internationalen Strafmaßnahmen spielen aber dennoch eine Rolle. Kim will zwar wohl keine Einheit, lockerere Sanktionen aber mit Sicherheit. In Zeiten der Annäherung nützt es ihm, viel in Aussicht zu stellen, um in Gesprächen möglichst viel zu erreichen.
Dann den Kurs wieder zu verlassen, ist für ihn unproblematisch. Seine Glaubwürdigkeit im Westen ist ihm egal. Und für das eigene Volk wird die Staatspropaganda das schon zurechtbiegen. Jetzt ist schon klar, wer dann schuld ist: die anderen.
Quelle: n-tv.de
Tags: