Vielen der insgesamt 11,6 Millionen Familien mit Kindern und besonders Alleinerziehenden in der Bundesrepublik geht es schlechter als bisher angenommen. Das zeigt eine am Mittwoch veröffentlichte Studie im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung. „Die Einkommenssituation von vielen Familien und insbesondere Alleinerziehenden ist schlechter als bislang gedacht“, heißt es darin.
Wissenschaftler der Ruhr-Universität Bochum haben für die Bertelsmann-Stiftung erstmals ermittelt, welche zusätzlichen Kosten durch Kinder je nach Familientyp und Einkommensniveau entstehen. Dabei wird laut der Stiftung klar: „Je geringer das Familieneinkommen ist, desto schwerer wiegt die finanzielle Belastung durch jedes weitere Haushaltsmitglied.“
Zudem seien Familien mit geringem Einkommen in den letzten 25 Jahren weiter abgehängt worden, so die Studie. „Die Untersuchung zeigt ebenfalls, dass von 1992 bis 2015 Paare mit Kindern oder Alleinerziehende im Durchschnitt finanziell stets schlechter gestellt waren als kinderlose Paare.“ Stiftungsvorstand Jörg Dräger erklärte dazu: „Kinder sind leider ein Armutsrisiko in Deutschland.“
Zudem sei die Einkommensschere zwischen wohlhabenden und armen Familien in diesem Zeitraum weiter aufgegangen. Seit den 1990er Jahren hätten nur jene Familien ihr Einkommen halten oder verbessern können, bei denen die Mütter ihre Erwerbstätigkeit ausbauen konnten. Entscheidend hierfür sei der Ausbau der Kindertagesbetreuung. Kindergelderhöhungen hingegen hätten die Einkommenssituation von Familien mit Kindern nicht nachhaltig verbessert.
Frühere Berechnungsmethoden sind veraltet
Die Studie kritisiert die bisherigen Berechnungsmethoden nach Kriterien der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Die OECD-Skala habe bisher die Einkommen armer Haushalte systematisch über- und jene reicher Haushalte unterschätzt. Die neuen Berechnungen zeigen, dass die Armutsrisikoquote von Paarfamilien mit Kindern um drei Prozent höher liegt. Danach sind derzeit 13 Prozent der Paare mit einem Kind armutsgefährdet, 16 Prozent jener mit zwei und 18 Prozent solcher mit drei Kindern.
Als armutsgefährdet gelten Personen in Haushalten, deren Einkommen unterhalb einer vorgegebenen Schwelle liegt, die bei 60 Prozent des mittleren Einkommens aller Haushalte liegt. Diese Grenze liegt aktuell bei 917 Euro netto für eine Person im Monat, für eine Paarfamilie mit zwei Kindern bei 2234 Euro.
Zwei Drittel der Alleinerziehenden von Armut bedroht
Besonders drastisch ist laut der Stiftung die Situation für die etwa 2,6 Millionen Alleinerziehenden: „Lag deren Armutsrisikoquote nach früheren Berechnungen bei 46 Prozent – und damit schon sehr hoch –, sind es auf Basis der neuen Methode 68 Prozent.“ Bei niedrigeren Einkommen fielen die speziellen Ausgaben, die für Kinder erforderlich sind – etwa für Windeln, Schulsachen oder neue und passende Kleidung –, besonders ins Gewicht. Gleichzeitig sei es für Alleinerziehende aufgrund der aufwändigeren Betreuung und Fürsorge für die Kinder besonders schwer, ihre Erwerbstätigkeit auszubauen.
Barbara Eschen, Sprecherin der Nationalen Armutskonferenz (NAK), begrüßt, dass mit der Studie „der Finger in die Wunde gelegt werden kann“. Es werde „viel zu wenig hingeguckt, wie es Menschen, die von Armut betroffen sind, wirklich geht“, sagte sie gegenüber Sputnik. So sei weitgehend unbekannt, dass das Kindergeld auf die Hartz-IV-Leistungen angerechnet wird. Eschen befürchtet, „dass Menschen, die arm sind, oft abgeschrieben werden oder sich auch abgeschrieben fühlen“.
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