Eine Phobie, bei der kein Psychologe helfen kann: Die Reichweitenangst ist der entscheidende Grund, dass Neuwagenkäufer statt eines Elektroautos weiter auf den vertrauten Antrieb mit Benzin oder Diesel setzen. Als Argument gegen den Kauf liegt der vermeintlich geringe Radius des E-Mobils laut Umfrage noch vor dem hohen Preis und der langen Ladezeit. Bosch will der Furcht mit einer Art Therapiecouch übers Internet zu Leibe rücken.
"System!e" nennt der Stuttgarter Zulieferer ein Programm, das mit einer Bosch-eigenen Cloud zusammenarbeitet und speziell auf Elektrofahrzeuge zugeschnitten ist. "Damit weiß das E-Auto künftig ganz genau, wann ihm der Strom ausgeht, aber auch, wo neuer Strom zu holen ist", beschreibt Rainer Kallenbach die augenscheinlich nicht ganz neue Innovation. Er ist Chef der gerade erst in Leben gerufenen Bosch-Abteilung, die sich um vernetzte Mobilitätslösungen kümmert. Außerdem kann das Auto damit in das Stromnetz des eigenen Hauses integriert werden.
Reichweitenanzeige und Lade-Assistent
Herzstück des Programms ist der Zugang in eine Cloud mittels Smartphone oder Infotainment-System. Wenn der E-Auto-Nutzer sein Fahrziel eingibt, wird eine Reichweitenprognose erstellt, die Daten aus der Umgebung ebenso einbezieht wie die des eigenen Fahrzeugs. Fakten über die Verkehrslage wie Staus oder Baustellen, aber auch das Wetter entlang der Route kommen in Echtzeit aus der Cloud. Das Diagnosesystem des Autos liefert Ladezustand, Verbrauch durch Heizung oder Klimaanlage und Reifendruck. "In die Prognose fließt aber auch der eigene Fahrstil ein, der in der Vergangenheit ermittelt wurde", ergänzt Kallenbach. "Dies alles wird verknüpft zu einer genauen und verlässlichen Vorausschau der noch verfügbaren Reichweite".
Dann kommt der "Lade-Assistent" ins Spiel, der eine neue Art der Routenführung nutzt. Sie basiert auf der zuvor errechneten Prognose und macht Vorschläge für nötige Ladepausen auf Basis der zuvor errechneten Streckenvorschläge. Infos über Restaurants, Cafés oder Supermärkte kommen hinzu, so dass die Zeit an der Stromzapfstelle besser überbrückt werden kann. Da die Ladesäulen – in der Idee von Bosch - vernetzt sind, wird auch übers Internet bezahlt. Rainer Kallenbach: "Unser Ziel ist, dass in einem Elektroauto auch Langstreckenfahrten völlig entspannt sein können".
System ist ein "Baukasten"
Da Bosch auch Technik für die eigenen vier Wände bietet, kann das Auto mit den Programmen für das sogenannte "Smart Home" zusammenarbeiten. Weniger natürlich für die Online-Steuerung von Kühlschrank, Lichtquellen oder der Heizung. Hier geht es laut Kallenbach um die Energiesteuerung des Hauses und des Autos. Die leistungsstarke Fahrzeug-Batterie kann den stationären Stromspeicher für die Photovoltaik-Anlage ergänzen, wenn die Sonne nicht wie gewünscht strahlt. Sie kann aber auch tagsüber den überschüssigen Sonnenstrom aufnehmen und ihn nachts wieder zurückspeisen, um etwa eine Wärmepumpe zu betreiben. Natürlich achtet die "system!e"-App darauf, dass am nächsten Morgen genug Strom in der Autobatterie verbleibt, um ein zuvor eingegebenes Ziel sicher zu erreichen.
Kallenbach nennt das Bosch-System einen "Baukasten", der ständig erweitert werden kann. "Wir werden daraus Lösungen für die Fahrzeughersteller und Start-Up-Unternehmen entwickeln, die dann in kurzer Zeit marktreif gemacht werden können". Vielleicht kann sich dann ja doch bald der heimische Kühlschrank per Internet mit dem Auto verbinden, die Warnung "Butter ist alle" senden und einen Zwischenstopp beim nächsten Supermarkt einfordern. Irgendein Start-up wird schon auf die Idee kommen. Was das System aber nach wie vor nicht kann ist die Reichweite der Akkumulatoren verlängern oder die Wartezeiten an den Ladestopps verkürzen. Insofern ist die Bosch-Psycho-Couch mehr Hypnose als Therapie in Bezug auf die Elektromobilität.
Quelle: n-tv.de
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