Jüdisches Leben am Bosporus
Neben dem Oberrabbiner der Türkei Rav İsak Haleva und dem Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde der Türkei İshak İbrahimzadeh nahmen auch Vertreter anderer religiöser Minderheiten wie der armenisch-katholische Erzbischof von Istanbul Levon Zekiyan und der Vorsitzende der griechisch-orthodoxen Kirche Laki Vingas an der Feier teil. Auch der türkische Staat und muslimische Autoritäten zeigten Präsenz. Neben Staatssekretären aus dem Außenministerium waren Vertreter des Mufti-Amtes von Istanbul auf der Gästeliste.
In vielen Großstädten der Welt werden jedes Jahr öffentliche Feiern zu Chanukkah abgehalten, in Berlin beispielsweise am Brandenburger Tor. Dass die jüdische Gemeinde der Türkei das auf einem der bekanntesten und belebtesten Plätze Istanbuls abhalten kann, ist jedoch alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Bis ins Jahr 1492 datiert sie ihre Existenz in der Türkei zurück, als das Osmanische Reich den spanischen Juden Zuflucht vor der Verfolgung im christlichen Europa gewährte. Seitdem hat sie aber eine sehr wechselhafte Geschichte hinter sich. Heute leben nur noch ungefähr 17.000 Juden in der Türkei, nachdem es um das Jahr 1948 noch über 120.000 waren.
Ein Großteil der türkischen Juden wanderte im Verlauf des 20. Jahrhunderts nach Israel aus, da sie Opfer von Diskriminierung und Pogromen wurden. Zwar hat die AKP seit ihrem Machtantritt viel für die jüdische Gemeinde (und religiöse Minderheiten im Allgemeinen) getan. So unterstützte sie die Restauration der großen Synagoge von Edirne (der drittgrößten Synagoge Europas) mit 2 Millionen Euro. Doch ist in den letzten Jahren der Antisemitismus in der Türkei wieder im Aufwind. Regierungsnahe Zeitungen wie Yeni Akit betreiben unverfroren antisemitische Hetze, ohne dass ihnen Einhalt geboten wird. In sozialen Netzwerken wird auf menschenverachtende Weise Hass gegen Juden geschürt, viele türkische Juden verstecken ihre Religionszugehörigkeit mittlerweile wieder vor der Öffentlichkeit. Spitzenpolitiker wie Recep Tayyip Erdoğan beleidigen Bürger mit Beschimpfungen wie „israelische Brut“ („İsrail dölü“). Das Feindbild Jude hat sich offensichtlich in weiten Kreisen der Gesellschaft wieder etabliert.
Umso bemerkenswerter ist das „Chanukkah-Wunder“, wie Şalom (die Zeitung der jüdischen Gemeinde der Türkei) die Feierlichkeit nannte. Auch İshak İbrahimzadeh bediente sich des Begriffs: „In Edirne haben wir eine Zeitenwende erlebt, hier erleben wir ein Wunder“, sagte er in seiner Rede. „Jahrelang haben wir wehleidig die Bilder der großen und kleinen Chanukkah-Leuchter angeschaut, die jedes Jahr in Städten rund um die Welt angezündet wurden. Warum konnten wir hier in unserem Land, das uns vor Jahrhunderten mit offenen Armen empfangen hat und uns die Möglichkeit gegeben hat, in Freiheit zu leben, diese Freude unseres Lichtes der Brüderlichkeit und Liebe nicht schon früher in gleicher Weise teilen?“