Was ARD, ZDF und AfD von der Schweiz lernen können

  07 März 2018    Gelesen: 736
Was ARD, ZDF und AfD von der Schweiz lernen können

Überraschend leidenschaftlich stritten die Schweizer um ihren öffentlich finanzierten Rundfunk - und entschieden sich mit überwältigender Mehrheit dafür. In Deutschland sollte man daraus Lehren ziehen.

 

Was am vergangenen Sonntag in der Schweiz geschah, war ein kleines Wunder, das auch für Deutschland Signalwirkung haben könnte: Eine überwältigende Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger lehnte die Volksinitiative "NoBillag" ab, die den öffentlich finanzierten Rundfunk abschaffen wollte. Fast 72 Prozent stimmten mit Nein.

Lange hatte es in Umfragen so ausgesehen, als könnten die Schweizer die öffentlich finanzierten Medien im Land beerdigen. Stattdessen: ein bemerkenswertes Ergebnis, das man eigentlich nur als Plebiszit für den öffentlichen Rundfunk, für die gebührenfinanzierten Medien lesen kann.

Es ging in der Schweiz um einen Konflikt, der in ganz Europa aufgeflammt ist: In vielen Ländern attackieren rechte Politiker die gebührenfinanzierten Medien. In Deutschland starrten vor dieser Abstimmung deshalb Gegner wie Befürworter der Öffentlich-Rechtlichen auf die Schweiz - als ob das südliche Nachbarland eine Art Vorentscheid fälle über das, was auf Deutschland noch zukommt: die große Debatte über den gebührenfinanzierten Rundfunk.

Diese Debatte ist auch in der Schweiz nach diesem Sonntag nicht zu Ende, aber sie ist schon ein ganzes Stück weiter. Was kann Deutschland aus den Erfahrungen des Schweizer Abstimmungskampfes lernen?

Erstens: Es ist besser, den Ärger vieler Bürger über gebührenfinanzierte Medien zu thematisieren, als ihn totzuschweigen.


Die Debatte in der Schweiz um "NoBillag" war einer der leidenschaftlichsten Abstimmungskämpfe seit Jahren. Das kam überraschend. Die Initiative hatte als "Bieridee" einer Handvoll libertärer Jungpolitiker begonnen, als ideologisches Projekt, dem zu Beginn kaum jemand eine Chance gab - doch es traf einen Nerv. In den sozialen Netzwerken manifestierte sich ein bisher ungeahnter Hass gegen die gebührenfinanzierte Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG). Im Dezember zeigten Umfragen eine Mehrheit für die Abschaffung.

Politiker sahen in der Initiative eine Gelegenheit, Druck auf die ungeliebte Rundfunkanstalt auszuüben. Den privaten Verlegern, die mit der SRG wegen deren Onlineangeboten im Konflikt liegen, gefiel erkennbar die Vorstellung, dass die Debatte zu einer Verkleinerung des öffentlichen Rundfunks führen könnte - auch wenn sie die Initiative offiziell ablehnten.

Die Debatte verlief nicht besonders angenehm, sie war für schweizerische Verhältnisse laut und aggressiv. Aber sie war offenbar notwendig. Sie spülte den Unmut an die Oberfläche, den es über die gebührenfinanzierten Programme gibt - von einzelnen Sendungen hin zur politischen Ausrichtung, von der Höhe des Rundfunkbeitrags bis zur mangelnden Anpassung an die Digitalisierung. Die Abstimmungsdebatte wurde zu einer Art nationalen Sendekritik, die etwas Heilsames hatte.

Zweitens: Die Bevölkerung kann von der Notwendigkeit gebührenfinanzierter Medien überzeugt werden.


Zu Jahresbeginn nahmen die Gegner der Initiative den Kampf auf und sie wählten eine riskante Strategie: Sie appellierten an die staatspolitische Verantwortung der Wähler.

Sie machten klar: Die gebührenfinanzierten Medien stehen für eine notwendige Grundversorgung mit Informationen, die wichtig ist für das Funktionieren der Demokratie. "NoBillag" war ein Anschlag auf unabhängige Medien, und die gebührenfinanzierte SRG wird in der Schweiz nicht zuletzt deshalb gebraucht, weil die meisten privaten Medien ihre Redaktionen seit Jahren immer weiter zusammenschrumpfen. Der Einzige, der im Land, der seit Jahren noch kräftig in Medien investiert, ist Christoph Blocher, der Milliardär und spirituelle Anführer der rechtskonservativen SVP.

Der öffentlich finanzierte Rundfunk spielt in der Schweiz eine besonders wichtige Rolle für den nationalen Zusammenhalt. Die SRG betreibt sieben TV- und 17 Radioprogramme in den vier Landessprachen Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. Sie ist eine der wenigen nationalen Institutionen, die in dem mehrsprachigen Land eine gemeinsame Öffentlichkeit herstellen. Diese Argumente wirkten offenbar bei vielen Bürgern - und sie verstanden auch, dass die "NoBillag"-Befürworter die Unwahrheit sagten, wenn sie immer wieder behaupteten, die teuren Informationsangebote und Sportübertragungen der SRG ließen sich auch privat finanzieren. Allen war klar: Wäre die Initiative angenommen worden, wäre die SRG faktisch pleite gewesen. Und das wollten die meisten Bürger dann doch nicht.

Drittens: Die Öffentlich-Rechtlichen müssen sich reformieren und sie müssen besser erklären, wie sie arbeiten und warum es sie braucht.

Die Ablehnung der "NoBillag"-Initiative wäre kaum so deutlich ausgefallen, wenn sich die Verantwortlichen der Rundfunkgesellschaft SRG nicht der Kritik gestellt und Reformen angekündigt hätten. Ihre Botschaft war: Die öffentlich finanzierten Medien sind unverzichtbar, aber es sind Fehler gemacht worden, es kann gespart werden, und wir müssen uns ändern. Das war für die Ablehnung von "NoBillag" ähnlich wichtig wie die Appelle an die Verantwortung der Bürger.

Alle Journalisten sind ihren Lesern, Hörern und Zuschauern heute mehr Rechenschaft schuldig als in den Zeiten vor dem Internet - und das gilt verstärkt noch für die öffentlich finanzierten Anstalten. Ihre Mitarbeiter müssen den Gebührenzahlern immer wieder erklären, wie sie arbeiten, was ihre Rolle ist und dabei auch unfaire Kritik entkräften: Die Öffentlich-Rechtlichen in der Schweiz, in Deutschland oder in Österreich sind eben gerade kein "Staatsfunk". Sie werden von der Öffentlichkeit finanziert, nicht vom Staat, und anders als in autoritären Staaten wie Russland oder China, sind sie journalistisch unabhängig.

Nachdem das Resultat der Schweizer Abstimmung bekannt war, ließen sich die ARD- und ZDF-Intendanten im eigenen Programm interviewen und verkündeten, wie erleichtert man sei. Wenn sie aus dem Schweizer Ergebnis aber den Schluss ableiten sollten, dass sich das Thema erledigt hat, wäre das genau die falsche Reaktion. Richtig wäre es, die Debatte selbst zu führen und jene Fehler einzugestehen, die ohnehin jeder sehen kann: Wie will man ernsthaft die byzantinischen föderalen Strukturen der ARD verteidigen?

In der Schweiz hat SRG-Generaldirektor Gilles Marchand am Tag der Abstimmung nicht frohlockend auf das Ergebnis reagiert, sondern demütig: Er kündigte ein Sparprogramm an, eine erste Reduktion des Budgets um 100 Millionen Franken (rund 6 Prozent), verbunden mit einem Stellenabbau und der Zusicherung, die Information und die digitalen Angebote auszubauen - dabei aber nicht mit der Presse konkurrieren zu wollen.

Am Ende dieser Debatte haben die Initiatoren mit ihrem radikalen Volksbegehren das Gegenteil dessen erreicht, was sie sich gewünscht hatten: Der öffentlich finanzierte Rundfunk in der Schweiz geht gestärkt aus ihr hervor. Die Bürger wollen die gebührenfinanzierten Medien nicht abschaffen, sie wollen sie behalten - nur besser, kostengünstiger und stärker auf den digitalen Wandel ausgerichtet sollen sie werden.


Hier zeigt sich einer der Vorteile der in Deutschland oft misstrauisch beäugten direkten Schweizer Demokratie: Sie ist für die Beteiligten anstrengend, hat aber den Vorteil, dass polarisierende und komplexe Themen wochenlang intensiv debattiert werden - und am Ende bilden sich die Bürger eine Meinung und fällen eine Entscheidung, die dann auch gilt. Das Votum war nun so eindeutig, dass eine angekündigte Initiative zur Halbierung der Gebühren vorerst zurückgezogen wurde. Für die nächsten Jahre werden es grundsätzliche Angriffe auf die gebührenfinanzierten Medien in der Schweiz schwer haben.

Das ist nicht nur eine Enttäuschung für die Gebührengegner in der Schweiz, sondern auch für jene in Deutschland. Die Anhänger der AfD hatten dem Ereignis in den sozialen Netzwerken besonders euphorisch entgegengefiebert. Sie erhofften sich bei der "NoBillag"-Abstimmung ein Resultat, das sich in Deutschland in eine politische Waffe verwandeln lässt. Seit das Schweizer Ergebnis bekannt ist, hat man von der AfD zu "NoBillag" nichts mehr gehört. Vielleicht versteht diese Partei irgendwann, dass es extreme Anliegen in Schweizer Volksabstimmungen trotz einiger prominenter Gegenbeispiele meist schwer haben - und dass direkte Demokratie glücklicherweise nicht bedeutet, dass die Bürger immer so entscheiden, wie es sich jene Populisten wünschen, die vermeintlich im Namen des Volkes sprechen.

Quelle : spiegel.de


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