Rund 1000 Gäste hatte Volkswagen geladen, um mit ihnen gemeinsam die feierliche Enthüllung des neuen VW Touareg zu zelebrieren. Nicht nach Wolfsburg, auch nicht nach Berlin, New York oder Los Angeles – nein, in der chinesischen Hauptstadt Peking durfte sich der Gelände-Phaeton zum ersten Mal der Öffentlichkeit präsentieren. Den Ort hat der Autobauer freilich nicht nur gewählt, weil die Peking-Ente in ihrer Heimat so besonders lecker schmeckt. Dahinter steckt viel mehr Politik: China ist inzwischen zum größten und wichtigsten Markt der Niedersachsen geworden. 6,2 Millionen Autos hat VW 2017 verkauft, 3,2 Millionen davon gingen nach China – also über 50 Prozent. Zum Vergleich: In Deutschland haben alle Marken zusammen vergangenes Jahr vier Millionen Autos abgesetzt. Und: In noch keinem Jahr zuvor hat je eine Marke in einem einzigen Land mehr Autos unters Volk gebracht als VW in China. Und es sollen zukünftig noch mehr werden!
Brand-Day statt Premiere
Da kann es also nicht schaden, im Reich der Mitte für weiterhin gute Stimmung zu sorgen. Keine Frage: Eine Premiere dieser Größenordnung, zu der extra ein Touareg aus Bratislava den 16.500 Kilometer langen Gewaltmarsch auf eigener Achse auf sich genommen hat, huldigt dem chinesischen Markt und das breite Medienecho bauchpinselt zukünftig Käufer. Und die dürfen sich nicht nur auf den Touareg freuen: VW hat das mit der chinesischen Eros-Ramazotti-Ausgabe Wang Feng musikalisch vielleicht nicht bereicherte, aber zumindest untermalte Event gleich zum SUV-Brand-Day hochstilisiert.
Heißt konkret: Neben dem neuen Markenflaggschiff aus Europa feierte auch der im Reich der Mitte zusammen mit dem Partner FAW gebaute T-Roc seine China-Premiere und auch der Tiguan trat erstmals als Plug-In-Modell auf, das es wohl auch bei uns demnächst geben wird. Doch damit nicht genug: Auch zwei weitere, eigens für den chinesischen Markt kreierte SUV gaben an jenem Abend ihr viel beklatschtes Debüt.
Familien-SUV und Midsize-Hochbeiner
Optisch sind die beiden noch namenlosen Hochbeiner keine große Überraschung, hier wie da findet sich ein Stilmix verschiedener VW-Modelle wieder. Das ebenfalls von FAW gebaute, senfgelbe Advanced Mid-Size SUV erinnert vor allem von hinten ein wenig an den alten Audi Q5 und wer genau hinschaut, soll sogar einen Hauch Coupé erkennen können. Wie der Name verrät, sortiert sich das SUV in der oberen Mittelklasse ein, weiter aufwerten sollen es Assistenten aus der Oberklasse – die wahrscheinlich auch einen höheren Preis rechtfertigen.
Während das Advanced Mid-Size SUV recht lifestylig daher kommt, soll das Powerful Family SUV – richtig – Familien ansprechen. Und zwar alle, die sich den Terramont nicht leisten können. Letzterer ist der chinesische Ableger des US-amerikanischen Groß-SUV Atlas und bekommt mit dem jetzt vorgestellten Modell einen kleinen Bruder zur Seite gestellt: ein paar Zentimeter kürzer und ohne dritte Sitzreihe. Um für ausgleichende Gerechtigkeit zu Sorgen, wird der "kleine Terramont" zusammen mit dem zweiten VW-Partner, SAIC, gebaut.
Plug-In-Hybrid statt Diesel
Den Innenraum hat VW bei der Premiere bei beiden Modellen noch unter Verschluss gehalten, doch selbst durch die stark abgedunkelten Seitenscheiben konnte man erkennen: Es geht bodenständig zu. Von der Hightech-Welt des neuen Touareg sind die beiden China-SUV weit entfernt, die Cockpits wirken klassisch, mit richtigen Tasten und echten Instrumenten. Auch zu den Motoren gibt es noch keine Infos, allerdings dürfte das Portfolio wenig Überraschungen bereithalten: Benziner und Plug-In-Hybride. Letztere sind in China umso wichtiger, als dass der Selbstzünder im fernen Osten überhaupt keine Rolle spielt – übrigens auch schon vor der Diesel-Krise.
Das sieht man auch beim Touareg. Während das Nobel-SUV bei uns zunächst nur mit TDI-Motoren startet, hat VW für die chinesischen Modelle schon die Hybrid-Version bestätigt: ein Vierzylinder-Benziner mit Elektro-Unterstützung. In Europa wird dagegen noch diskutiert: Entweder wir bekommen die gleiche Antriebseinheit oder aber einen Hybrid auf Sechszylinder-Basis, dem Entwicklungs-Vorstand Frank Welsch eindeutig den Vorzug geben würde. Ist die Batterie leer und kein Strom mehr zum boosten da, dürfe dem SUV schließlich auf keinen Fall die Puste ausgehen. Am Ende hängt die Entscheidung, die in den nächsten Monaten fallen soll, aber natürlich von den Marktaussichten ab und die könnten in Deutschland durchaus auch für die Vierzylinder-E-Version sprechen.
SUV-Offensive im Reich der Mitte
Die jetzt vorgestellten Modelle sind allerdings nur der Anfang einer groß angelegten SUV-Offensive. Aktuell gibt es in China Tiguan, Touareg und Terramont, doch bis 2020 will VW rund ein Dutzend weitere Hochbeiner ins Reich der Mitte bringen. Eine stolze Zahl, mit der der Konzern in Windeseile an seine Wettbewerber aufschließen will. Denn: Wie so oft, hat VW auch in China die Entwicklung des Marktes zunächst ausführlich beobachtet, um nun mit geballter Kraft zuzuschlagen. Die ist auch nötig, denn mehr noch als bei uns liegen SUV in China im Trend. Experten gehen davon aus, dass schon bald jeder zweite verkaufte Neuwagen in dieses Segment fällt. Dazu kommt, dass chinesische Kunden im Schnitt deutlich jünger sind als bei uns: Mitte 30 statt Mitte 50. Dementsprechend wollen die Wolfsburger ihrer Kundschaft natürlich innerhalb der Marke auch viele Aufstiegsmöglichkeiten bieten.
Mehr einheimische Konkurrenz
Der starke Ausbau des Angebots dient auch der Rüstung gegenüber einheimischen Marken: Mussten sich die Wolfsburger 2012 noch mit rund 30 chinesischen Marken messen, sind es inzwischen über 60 lokale Marken, die um die Gunst und das Geld der Kundschaft buhlen. Will VW weiterhin ganz oben in der Beliebtheitsskala stehen, müssen sie die Wünsche der Kundschaft ernst nehmen; neben der SUV-Offensive werden in den nächsten drei Jahren noch gut 25 weitere neue Modelle auf den Markt geworfen und quasi alle Baureihen aufgefrischt.
Auf die chinesische Kundschaft zu hören heißt auch, dass VW seine Elektro-Strategie schnell aus dem Studien-Stadium auf die Straße übertragen muss. Neben dem SUV-Trend rollt die Elektro-Welle mit aller Macht über China hinweg, der Großteil aller verkauften E-Autos stromert in Peking, Schanghai und den vielen weiteren Millionenstädten über die Straßen. Kein Wunder: Um des Smogs Herr zu werden, geben viele Städte nur noch eine begrenzte Anzahl an Kennzeichen für neue Verbrenner aus, in der Hauptstadt Peking beträgt die durchschnittliche Wartezeit gut vier Jahre. Ein Nummernschild für ein Elektro-Auto dagegen kann man sofort mitnehmen.
Zehn E-Autos bis 2020
Dass die I.D.-Familie, wenn sie denn 2020 – so der Plan – fertig ist, ihren Weg auch nach China findet, ist also gesetzt; insgesamt zehn Modelle sollen dann kommen. Aber schon zuvor will VW weitere zehn Stromer – Plug-In-Hybride und Batterie-elektrische Autos – auf den Markt bringen. Der soeben vorgestellten Tiguan PHEV ist einer davon, der ebenfalls noch dieses Jahr startende, vollelektrische Bora (ein Golf mit Stufenheck) ein weiterer.
Gelingt es den Wolfsburgern, ihre großen Pläne in die Tat umzusetzen, dürfte ihnen eine weiterhin rosige Zukunft bevorstehen und die Erfolgsgeschichte könnte fortgeschrieben werden. Bislang liest sich das China-Engagement des Konzerns nämlich wie ein Märchen: Vor mehr als 30 Jahren hat VW den Markt für sich entdeckt und schon 1985 lief in Schanghai der erste nur für China gebaute Santana vom Band. Zusammen mit den beiden Partner FAW und SAIC betreibt VW 19 Werke im Reich der Mitte und hat inzwischen mehr als 27 Millionen Fahrzeuge in China verkauft – und dank Touareg und Co. dürfte noch in diesem Jahr die 30-Millionen-Marke fallen.
Quelle: n-tv.de
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