Prozess um Mord im Tiergarten

  29 März 2018    Gelesen: 992
Prozess um Mord im Tiergarten

Susanne F. wird auf ihrem Heimweg von einem Biergartenbesuch im Berliner Tiergarten überfallen und getötet. Während der mutmaßliche Mörder zum Prozessauftakt schweigt, berichten Freundinnen vom letzten gemeinsamen Abend, der ein so bitteres Ende nahm.

 

Sogar einen Tisch draußen haben sie noch bekommen. Es muss ein wirklich schöner Spätsommerabend gewesen sein, den Susanne F. mit drei Freundinnen aus längst vergangenen Studienzeiten im gut gefüllten Berliner Biergarten "Schleusenkrug" verbracht hatte. Das jedenfalls schildern die als Zeuginnen geladenen Frauen vor dem Landgericht Berlin, als es um den gewaltsamen Tod von Susanne F. geht. Sie starb noch am selben Abend, mutmaßlich nur wenige Minuten nachdem die Frauen auseinander gingen.

Etwas mehr als ein halbes Jahr ist jener 5. September her, der die Freundin, Ehefrau, Mutter, Großmutter und Kollegin aus dem Leben ihrer Angehörigen riss. Plötzlich und brutal: Die 60-jährige Susanne F. wurde zu Tode gewürgt und ihr Leichnam in einem Gebüsch versteckt, wo sie drei Tage lang unentdeckt blieb. Alles für ein Handy und ein paar Euro, die der Angeklagte Ilyas A. ihr entwendet haben soll.

Die schlanke, ganz ins schwarz gekleidete Kunsthistorikerin mit dem schulterlangen Haar hatte alleine einen schwach beleuchteten Verbindungsweg eingeschlagen. Sie wollte zum Bus, ihre Freundinnen wollten mit Auto oder Fahrrad heim. Rund drei Stunden hatten die Frauen zusammen gesessen, ehe sie sich kurz nach 22.00 Uhr verabschiedeten. "Wir haben uns die Stunden an einem Glas festgehalten", erinnert sich die 68-jährige Olga P. Jede Frau ein Glas Hefeweizen, zwei oder drei Laugenbrezeln haben sie sich geteilt.

Es habe viel zu reden gegeben, berichten die Freundinnen einmütig. Vier oder fünf Mal im Jahr kam die Runde zusammen, einmal davon immer um Weihnachten. Eben jenen Termin galt es zu besprechen, als die Frauen schon vor dem Biergarten standen und im Gehen begriffen waren. Es waren die letzten Minuten, in denen Susanne F. gesehen wurde. Christine H. erinnert sich: "Dann hat sie nochmal gelacht und ist gegangen."

Witwer wirft Behörden fahrlässiges Handeln vor


Staatsanwalt Reiner Pützhoven schildert bei der Verlesung der Anklage, was danach passiert sein soll: Der vorbestrafte und obdachlose Ilyas A. soll F. überfallen haben. Er soll die arglose und wehrlose Frau gewürgt haben, bis die Blut- und Sauerstoffzufuhr unterbrochen waren. Er soll sie getötet haben, um den Raub zu verschleiern.

Heimtücke, Habgier und Verdeckung einer Straftat sind Mordmerkmale. Ilyas A. müsste hierfür bis zu zehn Jahre in Haft, wenn er als Heranwachsender verurteilt wird. Ob der Angeklagte wie angegeben tatsächlich erst 18 Jahre alt ist, wird noch Thema des bis Ende Juni terminierten Prozesses sein.

Der Mann mit dem schwarzen, an der Seite kurz rasierten Haar verfolgt die Anklageverlesung genauso wie die Zeugenaussagen ohne erkennbare Emotionen. So nimmt es auch Susanne F.s Ehemann wahr: "Ich versuche Regungen zu finden, die finde ich aber nicht", sagt Klaus R. Er hofft, dass der Prozess ihm am Ende so etwas wie Gewissheit verschafft, was genau mit seiner Frau geschehen ist.

Der Witwer wirft den Behörden vor, "völlig fahrlässig" gehandelt zu haben. Der russische Staatsbürger A. sollte nach Verbüßung einer 18-monatigen Haftstrafe wegen Raubes eigentlich abgeschoben werden. Stattdessen lief er frei herum, auch weil es in Berlin kein Abschiebegefängnis gibt. Klaus R. kann das ebenso wenig nachvollziehen, wie die Tatsache, dass sich abgesehen vom Grünen Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel und dem CDU-Innenpolitiker Burkhard Dregger kein politisch Verantwortlicher bei ihm gemeldet habe.

Hat wirklich niemand etwas gesehen?


"Ich schlafe zur Zeit kaum", sagt der Mann mit dem grauen Haar und Schnauzbart. "Ich sehe immer diesen Weg vor mir, den sie da lang geht, nachdem sie sich von ihren Freundinnen verabschiedet hat. Dann reißt der Film ab." A. könnte vielleicht das Ende des Films erzählen, doch er schweigt vor Gericht.

Einer Anfang März bei einem Haftprüfungstermin abgegeben Erklärung zufolge will A. mit dem Tod von Susanne F. auch gar nichts zu tun haben. Er hatte erklärt, er habe den Leichnam am Ende einer durchsoffenen Nacht erst im Morgengrauen beim Urinieren entdeckt und die Wertsachen an sich genommen. "Ich bekam zwar Panik, das hinderte mich aber nicht, die Person zu durchsuchen", liest der Vorsitzende Richter Ralf Vogl aus der Erklärung vor.

Die Freundinnen können es immer noch nicht fassen, dass entlang des sonst viel genutzten Verbindungsweges niemand etwas mitbekommen haben soll. "Dieser Weg ist eigentlich immer voll", wundert sich Olga P. "Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass niemand was gesehen hat", sagt auch Christine H.

Beide beschreiben eine lebensfrohe und toughe Frau, die sich bei einem Überfall "auf jeden Fall gewehrt" hätte. Draußen vor dem Gerichtssaal können sich die Frauen, die zuvor noch tapfer dem Gericht Rede und Antwort gestanden haben, nicht mehr wehren gegen die Tränen: Die beiden liegen sich in den Armen, durch die weite Haupthalle des alten Gerichtsgebäudes hallt ihr Schluchzen.

Quelle: n-tv.de


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