Auf eines war schon in der ersten Großen Koalition unter Angela Merkel Verlass: dass die Sozialdemokraten bei jedem koalitionsinternen Streit ein Machtwort der Kanzlerin forderten. Ein Kanzler müsse irgendwann sagen: "So will ich das haben. So wird das gemacht", sagte der damalige SPD-Fraktionschef Peter Struck 2006. Er meinte natürlich nicht, dass Merkel einen solchen Satz in Richtung SPD sagen sollte. "So funktioniert Politik in einer Koalition nicht." Aber ihre eigenen Leute sollte die Kanzlerin schon bändigen, klar.
Egal, worum es ging: Sobald Unionspolitiker sich massiv gegen die SPD stellten, forderten Sozialdemokraten ein Machtwort von Merkel. Jetzt geht das schon wieder los: Am Wochenende sagte Fraktionschefin Andrea Nahles, die "vornehmste Aufgabe der Kanzlerin" sei es, "das Regierungsgeschäft ans Laufen zu bekommen". Mit anderen Worten: Merkel möge doch bitte ein Machtwort sprechen.
Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil, die rheinland-pfälzische Regierungschefin Malu Dreyer und andere SPD-Politiker - sie alle wollen ein Machtwort hören. Sie alle ärgern sich über Innenminister Horst Seehofer von der CSU und Gesundheitsminister Jens Spahn von der CDU, die mit konservativen Akzenten den Koalitionspartner - und natürlich auch die eigene Kanzlerin - provoziert haben. Doch wie weiland in Merkels erster GroKo gilt auch heute: Debatten müssen geführt, nicht abgewürgt werden. Das gilt übrigens auch für die Hartz-IV-Debatte in der SPD, die der amtierende SPD-Chef Olaf Scholz am liebsten sofort beerdigt hätte.
Wenn die SPD sich so sehr über Seehofers Islam-Äußerungen oder Spahns Recht-und-Ordnung-Vorstoß ärgert, warum steigt sie dann nicht offensiv in die Debatte ein? Schließlich war doch eine Lehre der Bundestagswahl, dass es aus Sicht der Volksparteien eine gute Idee wäre, ihre Unterschiede stärker deutlich zu machen. Natürlich sollte die Bundesregierung bei allen Unterschieden auch ihr zweites Ziel, das gute Regieren, nicht aus den Augen verlieren. Aber all die Phrasen darüber, die Regierung müsse "zügig an die Arbeit gehen" und "als Team auf dem Platz stehen", können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Sozialdemokraten das Diskutieren verlernt haben. Seit Jahren schon sind sie zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um in der politischen Auseinandersetzung mit anderen Parteien eine schlagkräftige Rhetorik zu entwickeln.
Spahn und Seehofer gehen vermutlich einigen Wählern gehörig auf die Nerven. Aber sie greifen Themen auf, die ihrem Publikum wichtig sind. Weiß die SPD überhaupt noch, was ihre Zielgruppen sind und was diese hören wollen? In der derzeit laufenden innerparteilichen Debatte unter dem Schlagwort "SPD erneuern" käme kein Sozialdemokrat auf die Idee, ein "Machtwort" der designierten Parteivorsitzenden zu fordern, zu unangenehm sind die Erinnerungen an Basta-Kanzler Gerhard Schröder. Wenn die jüngste Vergangenheit der SPD eines lehrt, dann dies: Wer Machtworte fordert, macht sich klein und zeigt nur, dass er Angst vor der Diskussion hat. Dieses eine Machtwort sollte Nahles sprechen: Schluss mit der Forderung nach Machtworten.
n-tv
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