Es gibt keinen besseren Klassiker als den Mercedes W124

  18 April 2018    Gelesen: 3573
Es gibt keinen besseren Klassiker als den Mercedes W124

Der Mercedes W124 gilt als letzter „echter“ Benz. Aber er überragt auch Klassiker anderer Hersteller. Ist der E-Klasse-Urvater das beste alte Auto auf dem Markt? Unser Autor ist fest davon überzeugt.

 

So ein altes Auto kann einen schon mal an den Rand der Verzweiflung bringen. „Wir brauchen noch einen Tag länger. Die Sache ist kompliziert“, antwortete meine Werkstatt neulich auf die Frage, warum mein Auto immer noch nicht fertig repariert sei.

Bei meinem silbernen Mercedes T-Modell, Baujahr 1995, mussten die Hinterachsaufnahmen instandgesetzt werden – eine zeitaufwendige und leider typische Baustelle bei Daimlers Baureihe W124, der Begründerin der E-Klasse.

Wenn es dort rostet – und das tut es beim 124er häufig – muss die komplette Hinterachse ausgebaut werden, um an die Wurzel des Übels heranzukommen und Reparaturbleche einzuschweißen. Unter 2000 Euro macht das keine Werkstatt, jedenfalls keine vernünftige.

Ein Totalschaden für ein 23 Jahre altes Auto? Andere hätten jedenfalls längst aufgegeben, ihre marode Karre in Zahlung gegeben und gegen ein moderneres Auto eingetauscht. Ich halte jedoch an meinem betagten T-Modell fest, wie schon so oft in den vergangenen Jahren.

Zwar mit Zähneknirschen, wenn mal wieder eine teurere Reparatur anstand. Aber letztlich doch mit Überzeugung. Warum? Weil der 124er das beste Auto der Welt ist. Jedenfalls das beste alte Auto der Welt. Zugegeben eine steile These. Aber ich habe Argumente.

Solidität


Als „letzter echter Benz“ gilt der Mercedes W124 (zwischen 1984 und 1996 wurden mehr als 2,5 Millionen Exemplare produziert) unter Fans und Kennern. Der Grund sind die herausragende Verarbeitungsqualität sowie eine extreme Langlebigkeit von Motoren und Technik.

Laufleistungen von einer halben Million Kilometern sind keine Seltenheit, auch nicht bei den Benzinern. Auch beim Fahrkomfort setzte der 124 Maßstäbe, die damals neu eingeführte Raumlenkerachse war ihrer Zeit weit voraus.

Insider sagen, dass der W124 der letzte Mercedes gewesen sei, bei dem noch die Ingenieure das Sagen hatten und nicht die Controlling- und Marketingabteilung. Ein Beispiel: Bis zum 124er leistete sich der Hersteller noch den Luxus einer Öldruckanzeige im Cockpit, beim Nachfolger W210 (kein Mercedes hat einen schlimmeren Ruf) wurde dieses Bauteil eingespart.

Tatsächlich ist der W124 aber nicht nur der vielleicht beste Mercedes, der je gebaut wurde. Er ist heute auch der beste Klassiker, den man sich kaufen kann – denn es gibt kein anderes Modell eines anderen Herstellers, das es mit ihm aufnehmen könnte, jedenfalls nicht in der Gesamtsumme der Vorzüge.

Verfügbarkeit


Anderes als bei anderen Klassikern können W124-Fans noch aus dem Vollen schöpfen. Dank hohen Stückzahlen und der guten Verarbeitungsqualität ist der Benz auch über 20 Jahre nach Produktionsende noch massenhaft im Straßenbild vorhanden. Und jeder zweite Autohändler hat einen auf dem Kiesplatz stehen.


Die Einstiegspreise beginnen bei etwa 1500 Euro. Über welches andere Auto aus den 80er- und frühen 90er-Jahren könnte man das schon sagen? Vom einstigen Konkurrenten BMW 5er (E28 und E34) haben vergleichsweise wenige überlebt. Andere Zeitgenossen wie Audi 200, Opel Omega oder Ford Scorpio sind heute Exoten, für die es teils kaum noch Ersatzteile gibt. Die 700er-Baureihe von Volvo fiele mir noch ein, aber dazu später mehr.

Ersatzteillage


Für den Mercedes W124 gibt es noch Ersatzteile in Hülle und Fülle. Die erste E-Klasse war früher als Taxi unterwegs, gängige Verschleißteile gibt es bis heute für vergleichsweise wenig Geld. Einen neuen Satz Bremsscheiben bekommt man für unter 100 Euro.

Bei Blechteilen wie Kotflügel oder Motorhaube kann man sich entscheiden, ob man ihn neu am Mercedes-Tresen abholt oder sich einen gebrauchten im Internet ersteigert. Kein Klassiker einer anderen Marke bietet eine solch üppige Auswahl an Ersatzteilen – vielleicht mal abgesehen von US-Cars.

Bei europäischen Klassikern können allenfalls andere Mercedes-Modelle wie der Mercedes 190 E mithalten. Für die S-Klasse W126 sind längst nicht mehr alle Teile lieferbar (betrifft insbesondere die erste Modellgeneration), zudem ist das Preisniveau höher.

Reparaturfreundlichkeit


Natürlich hat auch der W124 seine Macken, er ist schließlich kein Wunderauto. Neben den Hinterachsaufnahmen gammeln wegen einem Konstruktionsfehler fast immer die vorderen Kotflügel. Aber die kann man zur Not austauschen.

Bei den Sechszylinder-Benzinern ist die Zylinderkopfdichtung anfällig, die Erneuerung kostet in einer guten freien Werkstatt etwa 2000 Euro. Bei den Autos nach der zweiten Modellpflege (Mopf 2) wird der Motorkabelbaum im Alter brüchig, der Neupreis für das Ersatzteil liegt ohne Einbau bei 800 Euro. Das ist nicht wenig Geld, dafür kommen kapitale Motorschäden selten vor.

Größter Pluspunkt ist die noch relativ übersichtliche Elektronik im Auto. Im Vergleich zu modernen Autos sind relativ wenig Steuergeräte verbaut, die im Alter kaputt gehen können. Bei anderen Herstellern gibt es das gleiche Problem, weshalb BMW-Fans statt auf den 5er E39 lieber auf den weniger luxuriösen, aber einfach konstruierten E34 zurückgreifen. Aber wie schon gesagt: Gute E34 sind selten geworden.

Alltagstauglichkeit
Mit dem W124 kann man auch heute noch locker im Verkehr mit schwimmen. Mein E 220 T etwa bietet 150 PS bei etwa zehn Litern Verbrauch. Zugegeben, das ist nicht wenig. Moderne Benziner sind sparsamer, aber ich muss zumindest nicht monatlich Raten für einen finanzierten Neuwagen abstottern.

Die Sechszylinder-Aggregate des W124 sind nicht so wirtschaftlich, bieten dafür aber mehr Fahrspaß. Was die Praktikabilität betrifft, sind die T-Modelle praktisch unschlagbar. Anders als die heutigen Lifestyle-Kombis ist der 124 T noch ein echter Kombinationswagen.

Mit der riesigen Ladefläche kann man auch mal einen Wohnungsumzug meistern. Hier können nur die klassischen Kombis von Volvo mithalten. Der Volvo 740 etwa ist, was die Platzverhältnisse betrifft, eine echte Alternative zum Mercedes 124. Aber in puncto Fahrkomfort kann der alte Schwede nicht mithalten.

Glamour-Faktor


Wer Aufmerksamkeit erregen will, fährt wohl besser Porsche oder einen US-Straßenkreuzer. Der Glamour-Faktor hält sich bislang in Grenzen. Selbst der Mercedes 500 E, das 326 PS starke 124er-Topmodell wurde einst bei Porsche endgefertigt, ist trotz ausgestellter Radläufe eine eher unauffällige Limousine.

Nein, es sind die inneren Werte, die beim Mercedes W124 zählen. Die aber können nachhaltig begeistern: Viele W124-Fahrer grüßen sich, wenn sie sich auf der Straße begegnen.

Preisprognose


Wertstabil sind die meisten Klassiker, der Mercedes W124 erfreut obendrein mit teils saftiger Rendite. Insbesondere bei den praktischen T-Modellen sind die Marktpreise in den vergangenen Jahren geradezu in die Höhe geschossen. Einen 230 TE (Mops 1, 1989 bis 1992) im Zustand 2 notiert Classic Data inzwischen bei 13.000 Euro.

Damit hat er fast zu seinem Vorgänger der barocken Vorgänger-Baureihe 123 – dort liegt der 230 TE bei 13.700 Euro – aufgeschlossen. Aber auch die Limousinen und Coupés steigen stetig im Wert, gute Cabriolets kosten längst über 20.000 Euro.

Tendenz: Weiter steigend. Zum Vergleich: Ein BMW 520 (E34) wird aktuell mit 5300 Euro gehandelt, ein Volvo 740 Kombi mit 6200 Euro. Noch Fragen?

Und mein betagtes T-Modell in Leasingsilber? Fährt mittlerweile wieder auf der Straße. Ein Museumsstück wird der alte Benz wohl nicht mehr werden. Aber er ist und bleibt das perfekte Familienauto mit Stil.

Demnächst steht ein runder Geburtstag an, dann wird der Tachozähler (natürlich analog) auf 300.000 Kilometer drehen. Zur Feier des Tages bekommt der Motor frisches Öl.

Quelle : welt.de


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