Deutschen Bauern droht EU-Geld-Kürzung

  22 April 2018    Gelesen: 1079
Deutschen Bauern droht EU-Geld-Kürzung

Das EU-Budget wird wegen des Brexits deutlich schrumpfen. In den kommenden Jahren könnten Milliarden aus Brüssel wegfallen. Auf dem Land hätte das schwere Folgen - denn vor allem in benachteiligten Regionen soll gekürzt werden.

 

Was haben britische Wähler mit der Finanzlage deutscher Bauern zu tun? Mehr als man vielleicht denkt. Denn wenn Großbritannien demnächst die Europäische Union verlässt - wie beim Referendum 2016 gefordert -, dann reißt das Land eine Lücke im EU-Haushalt. Die anderen 27 Mitgliedsländer müssen ohne die finanzstarken Briten planen, Ausgaben kürzen - und es dürfte auch die Bauern treffen. Das könnte an die Existenz gehen, sagen Betroffene. Denn praktisch jeder Landwirtschaftsbetrieb in Deutschland hat Anspruch auf Geld aus Brüssel.

Einbußen zwischen fünf und zehn Prozent sollen auf die Bauern in Europa zukommen, wenn es nach dem deutschen EU-Haushaltskommissar der CDU, Günther Oettinger, geht. Auch bei Geldern für benachteiligte Regionen will er kürzen. Derzeit tüftelt Oettinger an Vorschlägen für die nächste mehrjährige Finanzperiode für die Zeit nach 2020. Für Landwirt Ulrich Löhr aus Niedersachsen wären Kürzungen schmerzhaft. Er bewirtschaftet in der Wolfsburger Region einen großen Ackerbaubetrieb von 280 Hektar, 2,8 Quadratkilometer. Nebenbei ist Löhr Vizepräsident beim Bauernverband Landvolk Niedersachsen.

Bei Ackerbauern wie ihm machten die ganz überwiegend aus EU-Geld bestehenden Transferzahlungen etwa 60 Prozent des Betriebseinkommens aus, sagt Löhr. Weniger stark abhängig sind Tierhalter, "Veredelungsbetriebe", wie die Landwirte sagen, also zum Beispiel Schweine- oder Hähnchenmäster. Dafür zahlt die EU erst einmal nichts. Doch auch diese Betriebe bewirtschaften Böden - und dafür gibt es Geld. "Es gibt eigentlich keinen Landwirt, der nicht auch Betriebsflächen bewirtschaftet, sonst wären es keine Landwirte, sondern gewerbliche Betriebe", erklärt Löhr. Und so sei am Ende jeder Betrieb von EU Direktzahlungen abhängig, sie seien ein wichtiger Teil des Einkommens.

9,5 Milliarden für ländliche Entwicklung geplant


Diese "Direktzahlungen" erhalten alle Bauern, die sie beantragen, aus dem EU-Haushalt. Sie hängen vor allem von der Größe der bewirtschafteten Fläche ab. Bei Fördermitteln etwa für den ländlichen Raum, die teilweise ebenfalls den Landwirten zugutekommen, haben die nationalen Regierungen hingegen mehr Spielraum bei der konkreten Ausgestaltung und Zielsetzung. Deutschland profitiert dabei erheblich. Zwischen 2014 und 2020 sind rund 34,7 Milliarden Euro an Direktzahlungen vorgesehen. Rund 9,5 Milliarden Euro sind für die Entwicklung des ländlichen Raums eingeplant.

Haushaltskommissar Oettinger - und später die EU-Staaten bei ihren Haushaltsverhandlungen - wird am europäischen Agrarbudget wohl zwangsläufig den Rotstift ansetzen. Schließlich macht es mit rund 40 Prozent beziehungsweise 58 Milliarden Euro pro Jahr den größten Posten im EU-Haushalt aus. Die sogenannte Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) ist einer der wenigen Bereiche, die hauptsächlich von der EU finanziert werden. In den meisten anderen Politikfeldern haben die einzelnen Staaten hingegen die Finanzhoheit - ihr Anteil am EU-Budget ist schon deshalb geringer.

Seit den 1980er Jahren ist die relative Bedeutung des Agrarbudgets aber schon geschrumpft. Damals machte es noch fast drei Viertel des gemeinsamen EU-Haushalts aus. Doch warum sollte ein ganzer Wirtschaftszweig eigentlich mit Steuermitteln gestützt werden? Müsste dieses Geld nicht stärker an Naturschutzmaßnahmen gekoppelt werden, wie es etwa die Grünen fordern? "Öffentliches Geld für öffentliche Leistungen" wird das gern genannt. Nein, meint Löhr. Für deutsche Landwirte gälten ohnehin schon recht viele Vorschriften. "Als Ackerbauer konkurriere ich mit Anbietern aus Kasachstan, der Ukraine oder Argentinien - und die haben weniger Auflagen zu beachten als wir in Deutschland."

Direktzahlungen als Grundeinkommen


Hermann Wesseler aus Bissendorf im Osnabrücker Land sieht das genauso. Der Landwirt betreibt dort einen 140 Hektar großen Hof mit hauptsächlich Sauenhaltung und Schweinemast, aber auch ein bisschen Getreide, Zuckerrüben und Raps. Solche großen Betriebe mit mehr als 100 Hektar sind in Deutschland weit präsenter als im EU-Durchschnitt - vor allem nördlich von Frankfurt am Main. Im Süden, etwa in Bayern, gibt es hingegen viele kleinere Familienbetriebe. Die EU-Direktzahlungen seien "ein Ausgleich für unsere schwächere Stellung auf dem Weltmarkt", sagt der 63-jährige Wesseler.

Diese als "Subventionen" zu bezeichnen, ärgert ihn: Wenn die Marktpreise für die Ackerfrüchte besser wären, würde man die Direktzahlungen nicht benötigen. "Ein Großteil der Betriebe braucht diese Zahlungen, um sich ein Grundeinkommen zu sichern" - auch in Zukunft. Und die Anforderungen sind ja schon gewachsen. Neben der reinen Lebensmittelversorgung spielen mittlerweile Klima- und Umweltauswirkungen der Landwirtschaft eine wesentlich größere Rolle. Seit der jüngsten Agrarreform 2013 gibt es mehr Vorgaben für umweltverträglicheren Ackerbau. Rund 30 Prozent der Zahlungen aus EU-Töpfen wurden an die Einhaltung entsprechender Auflagen geknüpft.

Dafür müssen die Bauern etwa einen Teil ihrer Felder mehr der Natur überlassen und Monokulturen vermeiden. Zahlungen an bestimmte Auflagen, zum Beispiel im Umwelt- oder Naturschutz, zu koppeln, ist aus seiner Sicht ein zweischneidiges Schwert. Welche Maßnahme man da als Landwirt wählen könne, hänge von der individuellen Situation des Hofes ab. Nicht selten müssten die Betriebe erst investieren, um in den Genuss von an Umweltauflagen gebundenen Zahlungen zu kommen - ob sich das lohne, müsse jeder Landwirt für sich durchrechnen.

"Obergrenze bei 500 Hektar"


"Wenn man umverteilen will, um umweltrelevante Maßnahmen zu honorieren, dann wächst wieder der Kontrollaufwand", sagt Eduard Luitjens, Milchbauer aus dem ostfriesischen Westoverledingen. Er ist Mitglied der stärker ökologisch orientierten Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL). Aktuell hat er 120 Kühe und bewirtschaftet 100 Hektar. Mehr Auflagen bräuchten mehr Bürokratie, meint er. Vor allem kleinere Betriebe würden sich dann überlegen, aufzugeben.

Einsparpotenzial sieht Luitjens bei den Direktzahlungen. "Man sollte eine Obergrenze ziehen - bei 500 Hektar ist Schluss", sagt er. Außerdem sollte bei den Zahlungen auch berücksichtigt werden, wie viele Menschen auf einem Hof beschäftigt werden. Hintergrund ist, dass unterm Strich ein Großteil aller EU-Gelder wegen der Kopplung an die bewirtschaftete Fläche an große Betriebe fließt. Im Gespräch ist daher, etwa für die ersten Hektar mehr zu zahlen, um somit vor allem kleineren Betrieben zu helfen, und dann bei zunehmender Fläche die Summe pro Hektar zu senken.

Die meisten Agrar-Direktzahlungen erhalten dabei in Deutschland übrigens bayerische Bauern. Mit größerem Abstand folgen nach Zahlen des Bundeslandwirtschaftsministeriums für 2016 dann Niedersachsen mit Bremen, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen. Angesichts all dessen - welche Folgen hätte es dann, wenn die EU-Staaten sich tatsächlich am Ende dazu entscheiden, die Zuwendungen um zehn Prozent zu kürzen? AbL-Mitglied Luitjens und der Landvolk-Vizepräsident Löhr sind sich einig: Viele Betriebe würden aufgeben. "Die Weltmarkteuphorie ist ein Problem: Wir können in Deutschland mit unseren Auflagen zu Weltmarktkonditionen schwer produzieren", sagt Luitjens.

Wichtiger Absatzmarkt ist weggefallen


Die rund 22 Millionen Beschäftigten im Landwirtschaftsbereich in Europa waren in den vergangenen Jahren bereits mit zunehmenden Widrigkeiten konfrontiert. Nach dem russischen Importverbot für europäische Agrarprodukte im Zuge des Ukraine-Konflikts 2014 fiel ein wichtiger Absatzmarkt weg. Zudem sackten zeitweise die Preise etwa für Milchprodukte ab. Etliche Betriebe machten daher bereits dicht. Der irische EU-Agrarkommissar Phil Hogan hat deshalb Verständnis für die Sorgen der Landwirte - und am liebsten würde er Kürzungen vermeiden.

Aber der Agrarsektor müsse wegen des Brexits "seinen Part übernehmen", sagt er. "Es wird Einschnitte geben." Wie hoch die ausfallen, sei aber noch offen. Hinter den Kulissen laufen derzeit schon die Gespräche, die Beteiligten halten sich aber noch bedeckt - so auch CDU-Bundesagrarministerin Julia Klöckner. "Wenn es die gemeinsame Europäische Agrarpolitik nicht gäbe, müssten wir sie jetzt erfinden", sagt sie. Denn sie spiele eine zentrale Rolle für die ländlichen Räume. "Mein Ziel ist eine solide Finanzierung der gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik." Wie diese aussehen kann, ist allerdings offener denn je.

Quelle: n-tv.de


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