Da bemüht man sich hier seit Wochen Tag für Tag, den Lesern ein möglichst authentisches Russlandbild zu verschaffen und ihnen zu erklären, wie sie während der WM hier im Lande mehr erleben als ein bloßer Otto Normaltourist - und jetzt das: Die Stadt Moskau sabotiert diese Bestrebungen, indem sie eines der prägenden Ereignisse jedes Hauptstadtsommers einfach verlegt, sodass es sich nicht mit der Weltmeisterschaft überschneidet.
Die Rede ist, natürlich, von der alljährlichen Warmwasserabschaltung. In Moskau wird das Wasser nämlich zentral warm gemacht und dann ins Haus geleitet - kein Boiler im Bad, einfach nur den Hahn aufdrehen reicht. Das ist etwa 355 Tage im Jahr praktisch und angenehm - und dann kommt der Frühsommer. Irgendwann Mitte, Ende Mai geht es los: Die Warmwasserzufuhr wird stadtteilweise abgeschaltet, um die Rohre zu säubern, die Pumpen zu warten, die Ventile zu polieren - was weiß ich, der Grund ist nicht wichtig, entscheidend ist: zehn Tage kalt duschen. Oder acht, wenn man Glück hat und die Arbeiter ein wenig früher fertig werden.
"Weißt du schon, wann bei dir abgeschaltet wird?" - das ist ab Anfang Mai ein beliebter Gesprächsbeginn, ein landestypisches Ritual. Wenn die Abschalterei dann losgeht, sortiert sich das Leben drumherum: Wasser für Haar- und sonstige Katzenwäsche wird auf dem Herd erhitzt. Bei Pärchen entscheidet sich die abendliche Frage "Zu dir oder zu mir?" danach, wer in einem Warmwasserstadtteil wohnt. Freunde, die bei der Arbeit duschen können, grinsen still in sich hinein. Und die wenigen, die sich vorauseilend den Luxus gegönnt haben, für jährliche zehn Tage einen Boiler im Bad anbringen zu lassen, lassen ihn voll- und wieder leerlaufen, bis sich der leicht schwefelige Geruch von Wasser, das seit vergangenem Sommer darin steht, verflüchtigt.
All das hätten WM-Reisende erleben können, sich darüber moppernd mit den Einheimischen verbrüdern können und zurück in Deutschland erzählen, was sie doch für harte, russlandtaugliche Leute sind. Allein, es hat nicht sollen sein. Während sonst bis weit in den Juni hinein Moskauer ohne eine warme Dusche auskommen mussten, hat die zuständige Behördediesmal an der Uhr gedreht und ihre Wartungsarbeiten so geplant, "dass sie den Einwohnern, Besuchern der Hauptstadt und Teilnehmern des Turniers maximalen Komfort bieten." Zwischen dem 14. Juni und dem 15. Juli, dem Eröffnungsspiel und dem Finale, wird Moskau also eine Stadt der sorglosen Warmduscher sein.
Wer wissen will, was ihm da an landeskundlich authentischem Erlebnis verwehrt bleibt, kann ja mal Folgendes ausprobieren: Straße und Hausnummer der Moskauer Unterkunft (auf Russisch) raussuchen und in den Suchschlitz auf dieser Seite hier eingeben. Dann wird angezeigt, wann dort nur kalt geduscht werden kann. Es sei denn, die Unterkunft der Wahl hält etwas auf sich - und hat ebenfalls rechtzeitig den ein oder anderen Boiler einbauen lassen.
Quelle: n-tv.de
Tags: