"Er betritt einen Raum, sieht einen Stuhl und versucht, ihn zu verführen." So beschreibt die "Washington Post" den französischen Präsidenten. Emmanuel Macrons politische Verführungskünste sind legendär, er umgarnt sogar seinen hotzplotzigen Amtskollegen Donald Trump derart, dass zwischen Washington und Paris ungewohnte Vertrautheiten keimen. Während Angela Merkel im Weißen Haus wie eine graue Schraubenhändlerin der Macht nur zum Arbeitsbesuch geladen wird, rollt man Macron den ganz großen roten Teppich aus. Macron wickelt Trump mit Eitelkeiten um den Finger, lädt ihn zur pompösen Militärparade am Nationalfeiertag ein, zaubert französische Glamour-Kulissen um ihn und behauptet psychologisch geschickt, er und Trump hätten eine "sehr spezielle Beziehung, weil beide von uns wahrscheinlich die Außenseiter in unserem jeweiligen System sind".
Macron mag den amtierenden US-Präsidenten wahrscheinlich so wenig wie der Rest der Europäer Trump mag, aber er erdrückt ihn kurzerhand in Umarmung. Sein politisches Ziel: Amerika soll Europa beim Handelskrieg in Ruhe lassen. Geschickt erzählt er Fox News, Trumps Lieblingssender, in Trump-Syntax seine eingängige Botschaft: "Es ist zu kompliziert, mit jedem Krieg anzufangen. Du führst einen Handelskrieg mit China, einen Handelskrieg mit Europa. Krieg in Syrien. Krieg gegen Iran. Komm schon, das funktioniert doch nicht. Du brauchst Alliierte. Und wir sind die Alliierten." Als Gastgeschenk brachte Macron eine junge Eiche von einem Gefechtsschauplatz aus dem Ersten Weltkrieg mit. So etwas gefällt Trump.
In Berlin beobachtet man die Verführungstechnik Macrons ganz genau. Denn im Bundestag warnen immer mehr Stimmen davor, dass Macron auch Deutschland in geschickter Umarmung erdrückt, um mit großer Euro-Kulisse und blumigen Worten ein sehr konkretes Ziel zu erreichen - deutsches Geld. EU-Finanzministerium, EU-Steuern, EU-Bankenunion, EU-Währungsfonds, EU-Einlagensicherung, EU-Arbeitslosenversicherung - was immer Macron vorschlägt, es läuft darauf hinaus, dass Deutschland sehr viel mehr zahlen müsste und die EU als Transferunion verfestigt würde.
Die Reformvorschläge aus Paris werden im pro-europäischen Gestus zwar weithin begrüßt, in der Substanz aber zusehends abgelehnt. Vizekanzler Olaf Scholz von der SPD lässt immer öfter seinen neuen Lieblingssatz fallen, um opulente Finanzforderungen aus Paris abzuwehren: "Ein deutscher Finanzminister ist ein deutscher Finanzminister." CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt wird noch deutlicher: "Ich habe überhaupt keine Veranlassung, Macrons persönliche Glücksgefühle zu meinem politischen Programm zu machen." Die "Refondation" Europas? Der wolle doch nur unser Geld, raunt es auch bei der FDP. Sollte Macron mit seinem Programm durchkommen, würde die AfD neuen Zulauf bekommen, warnen mehrere CDU-Politiker.
"Wir sind nur in der Defensive"
Der Blick auf Macron ist binnen weniger Monate jedenfalls bemerkenswert kritisch geworden - auch in den Niederlanden, in Finnland oder Österreich, auch die dortigen Regierungen fürchten, dass Macrons Euro-Charme sie teuer zu stehen komme. Selbst das böse Wort vom "Heiratsschwindler" macht inzwischen die Runde.
Noch im Herbst changierte sein Status in Berlin zwischen Papst und Popstar des Politischen. Die einen sahen ihn als Retter Europas, andere als tatkräftigen Reformer. Als liberaler Modernisierer wurde er gewürdigt und als wortgewaltiger Visionär. Hatte er doch just im Moment der EU-Existenzkrise nichts weniger als eine "Wiedergeburt" verkündet, pathetisch und fahnenumflattert. "Ich möchte nicht einer Generation von Schlafwandlern angehören", verkündete er jüngst im Europaparlament in Anspielung auf 1914, als Europa wie schlafwandelnd in den Ersten Weltkrieg geschlittert war.
Berlin mochte diesen Macron auch deswegen so sehr, weil Berlin selber schlafwandelte. Die quälende Regierungsbildung, der Zerfall von Merkels Macht, der Niedergang der Volksparteien und die Implosion der großen Ideen des politischen Deutschlands - da war Macron das Gegenbild mit einem Programm, auf das Berlin bis heute keine Antwort hat.
Tatsächlich offenbart die Sprach- und Ideenlosigkeit der Bundesregierung auf Macrons visionäre Vorschläge eine eklatante Führungsschwäche. Denn die wachsende Nörgelei und Ablehnung der Einzelvorschläge ergibt noch keine politische Linie. Die Berliner Ministerien sind mit kleinteiligen Abwehraktionen beschäftigt, um die deutschen Zugeständnisse auf ein Minimum zu reduzieren: etwas Geld für die Sanierung der südeuropäischen Banken, Parlaments-Vorbehalts-Geld für den EU-Währungsfonds, ein paar Milliarden mehr öffentliche Investitionen da, aber möglichst kein radikaler Umbau des europäischen Hauses.
Dabei wäre die Chance, mit Macron echte EU-Reformen voranzutreiben, riesengroß. Deutschland könnte ein subsidiäres Europa neu konzipieren, es könnte eine schlankere, moderne Organisation einfordern, eine entbürokratisiertere Kultur und mehr Transparenz etablieren, es könnte eine neue, digitale Industriepolitik nach dem Airbus-Modell vorantreiben, es könnte eine echte Verteidigungs-und Sicherheitsunion schaffen und an dieser Stelle einmal Frankreichs Beweglichkeit testen. "Doch wir sind bloß in der Defensive und fummeln nun Macrons Pläne klein", klagt ein Staatssekretär.
Und so wächst Frankreichs Rolle nicht nur in Washington und in der Weltpolitik durch die strategisch durchdachten Verführungsküste Macrons. Auch in Europa ist er nun der Taktgeber. Der Verführer mag als Heiratsschwindler gebrandmarkt werden, doch er befindet sich in Hoch-Zeit. Seine Agenda ist gesetzt. Von Berlin kommt erst gar keine.
n-tv
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