Es geht noch immer ein Gespenst um

  28 April 2018    Gelesen: 1418
Es geht noch immer ein Gespenst um

Karl Marx ist eine Ikone der Kapitalismuskritik. Ob er aber die Probleme der heutigen Wirtschaftswelt tatsächlich so treffend beschreibt, wie viele seiner Anhänger behaupten, ist zweifelhaft.

Der 200. Geburtstag von Karl Marx lädt dazu ein, diesen großen Denker und Autor zu würdigen. Viele haben das in den vergangenen Wochen und Monaten bereits getan - oft voll Hochachtung und Anerkennung für sein Werk. Für Wirtschaftswissenschaftler gewinnt Karl Marx seine heutige Bedeutung vor allem durch den Mut, eine umfassende Interpretation für die kapitalistische Marktwirtschaft zu entwerfen. Marx ist in vielen Aspekten ein Klassiker, das zeigen die Bezugnahmen auf Adam Smith und David Ricardo, wie es Friedrich Engels im Vorwort zum zweiten Band des "Kapital" erläuterte und einordnete.


Ich konzentriere mich auf drei zentrale ökonomische Konzepte von Marx: die "Entfremdung", den "Mehrwert" und die "Krise". Alle drei sind heute noch in der Diskussion, mehr als 135 Jahre nach Marx‘ Tod. Ob sie aber die Probleme der heutigen Wirtschaftswelt tatsächlich so treffend beschreiben, wie viele seiner Fans behaupten, ist zweifelhaft.

Beginnen wir mit dem Begriff der Entfremdung, der zusammen mit dem der Selbstverwirklichung das Marxsche Menschenbild bestimmt. Die These: Durch die Arbeitsteilung kommt es zur Entfremdung des Arbeiters vom Produkt und Prozess seiner Arbeit, was zu einer Selbst-Entfremdung des Menschen und schließlich zur Entfremdung im Verhältnis zwischen den Menschen führt.

Die Vorstellung, dass die fortschreitende Arbeitsteilung und damit die Chance auf nachhaltige Steigerung der Produktivität zwingend diese Formen der Entfremdung produzieren, wurde jedoch spätestens 1918 durch die Entstehung der Sozialpartnerschaft mit dem Stinnes-Legien-Abkommen als Irrtum enttarnt: Löhne und Arbeitsbedingungen wurden fortan auf Augenhöhe zwischen Arbeitern und Kapitaleigentürmern verhandelt. Die Relativierung der unternehmerischen Macht wurde also - anders als von Marx eingeschätzt - auch ohne Revolution und Veränderung der Eigentumsverhältnisse erreicht. Die Etablierung der betrieblichen Ausbildung als duales System, ausgehend von den Gewerbegesetzen 1897 und befördert durch die Weimarer Verfassung, eröffnete darüber hinaus eine nachhaltige Perspektive auf eine Sozialisation durch Arbeit.

Gerade diese Sozialisation, also die gesellschaftliche Teilhabe von Arbeitern, wird laut Marx durch die Entfremdung im Kapitalismus verhindert. Das Gegenteil ist eingetreten: Aus der Steigerung der Arbeitsproduktivität haben sich gewaltige Zeitgewinne für die Menschen ergeben. Die gewonnene Zeit konnten sie verschieden einsetzen, unter anderem für das Reden und Handeln im öffentlichen Raum - kurz: für Politik. Auf diese Weise haben Arbeiter die Gesellschaft zunehmend mitgestaltet.

n-tv


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