Ich bin's, der Mario

  05 Mai 2018    Gelesen: 2549
Ich bin

Kart fahren wie "Super Mario"? In Tokio können sich Videospiel-Fans diesen Traum erfüllen - wenn sie den Großstadtverkehr überstehen.

 

Level 1.

Als Terry den Zündschlüssel umdreht, wird's ernst. Anschnallen, Gang einlegen, Fuß von der Bremse. Und dabei das Atmen nicht vergessen. "Irgendwelche letzten Worte?", fragt Terry, doch sein Lachen ist kaum zu hören - untergegangen in einem Knattern, das lauter dröhnt als ein Rasenmäher. Und Terry? Steht schon an der ersten Kreuzung, umhüllt von einer Abgaswolke.

Terry ist unser Guide, ein junger Australier mit Basecap, Sonnenbrille und rosafarbenem Plüschanzug. Unser Verkehrsmittel: ein Kart mit Zweitaktmotor, Höchstgeschwindigkeit: 60 km/h, Gewicht: 95 Kilo. Willkommen bei MariCar, der Tokioter Stadttour, bei der sich die Teilnehmer wie "Super Mario" fühlen. Im Großstadtverkehr wird das Videospiel von Nintendo zur Realität - wenn man denn die Fahrt übersteht.

Apropos Skepsis: Mit Nintendo hat MariCar nichts zu tun. Der Spielekonzern klagt vor Gericht, weil er seine Markenrechte verletzt sieht. Selbst wenn bei MariCar das O fehlt, ist die Nähe zum Original kaum bestreitbar. Geschadet hat der Streit den Go-Karts bisher aber nicht, im Gegenteil: Das Angebot ist so beliebt, dass pro Tag gleich mehrere Touren durch Tokio führen. Und auch in anderen japanischen Großstädten "Super Mario"-Dubletten über die Straßen flitzen.

Im Spiel bewirft man seine Gegner mit Bananenschalen und Schildkrötenpanzern. Aber: "Im echten Leben gibt es keinen Reset-Knopf", warnt die Firma auf einem Schild. Vielleicht ist der Hinweis aber auch nur ein cleverer Marketing-Trick. Immerhin wurden ganze Generationen von Gamern mit Nintendos "Super Mario Kart" sozialisiert, das 1992 erstmals auf den Markt kam - eine Zielgruppe, die heute zum großen Teil erwachsen ist.

Nun sitzen wir in unseren Karts und warten an der Ampel. Bequem sind die Plastiksitze nicht, vom stinkenden Benzingeruch ganz zu schweigen. Doch die Fahrer - alle gekleidet wie Figuren aus "Super Mario" - sind glücklich. "It's me, Mario!", ruft der Australier Mike, der hinter mir fährt. Vorm Start hat er sich für 200 Yen (circa 1,50 Euro) extra einen Pappschnurrbart gekauft, um seinem Idol näher zu kommen. Jetzt pfeift er und trommelt auf dem Lenkrad.

Plopp - das erste Schlagloch! Oder war es nur ein Gullydeckel? Mein Körper fühlt sich, als wäre er ein Stoßdämpfer. Klack, klack, klack - ein Rüttelstreifen, der zum Langsamfahren ermuntert. Terry hält sich nicht daran. Wir hoppeln in unseren Karts hinterher, wie Flummis, die mit einem Tennisschläger auf den harten Asphalt gepeitscht werden. Frage an den Video-"Super Mario": Tut dir auch immer so der Hintern weh, wenn du über die Rennbahn bretterst?

Level 2.

Der Schwierigkeitsgrad steigt. Um uns herum nichts als Beton und Straßenschilder. Wir nähern uns der "Rainbow Bridge", einer vierspurigen Hängebrücke. Im Rückspiegel sehe ich, wie Mike immer noch trommelt. Nein, jetzt winkt er. Und hupt. Ich habe dafür keinen Nerv. Mit jedem Lkw, der an uns vorbeizieht, klammere ich mich stärker ans Lenkrad. Sehen uns die Fahrer überhaupt? So tief wie wir liegen, könnten wir ein Skateboard sein.

Erst jetzt realisiere ich, dass unser Ausflug ganz schön gefährlich ist. Kein Airbag, kein Helm, kein Sicherheitsgurt. Wer bei "Super Mario" von der Brücke fliegt, wird von einem Kran gerettet, im echten Leben ist unser Kostüm die einzige Schutzschicht. Und was, wenn das Kart im Großstadtdschungel liegen bleibt? "Dann schubse ich euch von der Straße", antwortet Terry. Nicht gerade beruhigend. Auch wenn man weiß, dass es schon Dutzende Unfälle mit den Karts in Japan gab und die Großstädter nicht gerade erfreut über die wilden Fahrer sind.

Endlich, die Innenstadt! Langsam fahren, den Anblick genießen. Wir passieren den Tokio Tower, der wie eine Miniaturversion des Eiffelturms aussieht. Doch dafür haben die Touristen am Straßenrand keine Augen. Jetzt sind wir die Attraktion. Eine ganze Armada von Fußgängern zückt ihre Smartphones. Winken, Lachen, Knipsen: So fühlt sich also "Super Mario", wenn er durchs Ziel fährt.

Level 3.

Plopp! An der Ampel holpert mein Kart plötzlich nach vorne. Ein Erdbeben? Ein technischer Defekt? Oder verwechsle ich Gas und Bremse? Wohl kaum. Im Rückspiegel sehe ich, wie sich Mike schlapp lacht. Der Australier hat sich einen Spaß daraus gemacht, mich anzuschieben - "Luigi" lässt grüßen. Die anderen Mitfahrer kichern. Nur die beiden Frauen in unserer Gruppe schauen skeptisch. Und ich, auch wenn man das unter meiner roten Mario-Mütze nicht erkennt.

Endspiel.


Jetzt kommt das urbane Highlight. Über eine Nebenstraße steuert Terry ein Parkhaus an. Nacheinander durchfahren wir die Schranke und reihen uns auf. Und dann: Gaaaaaaas! Mit quietschenden Reifen saust Terry um die Betonsäule, ein Anblick wie in "The Fast and The Furious". Andere Autos? Gegenverkehr? Alles egal, jetzt zählt nur der Benzinrausch. Ein bisschen schäme ich mich, weil ich so langsam hinterhertuckere. Bei "Mario Kart" erziele ich bessere Zeiten.

Nach knapp zwei Stunden endet die Tour. Die Karts haben durchgehalten, verletzt wurde niemand. Höchstens mein Stolz, denn ich rolle als Letzter auf den Hof und fühle mich wie nach einem Marathonlauf. Das Kostüm ist durchgeschwitzt, mein Hintern vibriert. Als ich mit einem Taschentuch mein Gesicht abwische, verfärbt sich der Stoff schwarz. Schöne Grüße aus der Feinstaubhölle.

spiegel


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