"Eis am Stiel"? Das war doch diese leicht anrüchige Siebziger- und Achtzigerjahre-Softsex-Reihe, mit dem Dicken im Hawaiihemd, dem immer übel mitgespielt wurde. Das ist bei vielen Menschen - stichprobenartig ermittelt - die Spontanreaktion auf die Nennung des Filmtitels.
Man sollte meinen, mehr gibt es zu dem belanglosen Pubertätsklamauk nicht zu sagen. Weit gefehlt. Immerhin hat sich jetzt der mit dem Grimmepreis ausgezeichnete NDR-Dokumentarfilmer Eric Friedler des Stoffes angenommen.
"Eskimo Limon", wie seine Doku in Übernahme des israelischen Originaltitels der Reihe heißt, überrascht gleich in mehrfacher Hinsicht - und das dramaturgisch ziemlich raffiniert. Zu Beginn gelingt es Friedler, den ersten "Eis am Stiel"-Film in ein neues, wohlwollendes Licht zu tauchen: Er zeigt, wie der Auftakt der später bis auf acht Folgen angewachsenen Reihe 1978 sogar auf die Berlinale eingeladen wurde und dort zum Publikumsliebling avancierte.
Er arbeitet heraus, wie ungewöhnlich die frivole Low-Budget-Produktion aus dem kleinen Filmland Israel damals war. Und er lässt Regisseur Boaz Davidson erzählen, dass die Story vom schüchternen Benny (Yftach Katzur), dem dicken Johnny (Zachi Noy) und dem schönen Momo (Jonathan Sagall), der Benny das Mädchen seiner Träume (Anat Atzmon) ausspannt, autobiografisch inspiriert ist.
Man steht kurz davor, den Film zur liebevollen Initiationsgeschichte mit Rockabilly-Touch umzudeuten. Dann aber folgt die Desillusionierung.
Je länger Friedler den Regisseur und andere Mitwirkende befragt - zu Wort kommen Schauspieler, der Drehbuchautor, der Kameramann, der Cutter, die Kostümbildnerin -, desto deutlicher wird: Nicht nur die Geschichte von Zachi Noy, der mit über 60 Jahren noch immer durch TV-Produktionen wie "Promi Big Brother" tingelt, hat tragische Züge. Nein, an dieser Produktion war vieles gar nicht komisch.
Das Karriereende
Noy und weitere Darstellerinnen und Darsteller wurden zu expliziten Nacktszenen genötigt, mussten Demütigungen über sich ergehen lassen. Für die Schauspielerin Ophelia Shtruhl, die einen Auftritt als Nymphomanin hat, bedeutete der Film das Karriereende.
Jonathan Sagall, der Darsteller des Momo, kämpfte damit, seine Homosexualität zu verbergen. Relativ bekannt, aber deshalb nicht weniger erschütternd ist der Fall von Sibylle Rauch, die ab Teil Drei mehrfach als dralle Blondine engagiert wurde, später in die Pornobranche wechselte und danach in die Prostitution abrutschte.
Vor diesem Hintergrund wirkt es besonders perfide, dass die Produzenten des Films, Menahem Golan und Yoram Globus, mit der international erfolgreichen Reihe so viel Geld verdienten, dass sie vorübergehend in die Top-Liga Hollywoods aufstiegen, während sie die Crew mit Kleinsthonoraren abspeisten. 750 Dollar habe er für den Dreh des ersten Films erhalten, sagt Noy, auch am Merchandising verdienten die Schauspieler nichts.
Aber nicht nur die Ausbeutung der Mitwirkenden, auch das in der Filmreihe vermittelte Frauenbild böte heute Stoff für die #MeToo-Debatte. Befreit vom nostalgischen Glamour, den Friedler eingangs heraufbeschwört, benennen es die Schauspieler am Ende so, wie es ist: chauvinistisch, herabwürdigend und primitiv.
Der Dokumentarfilm "Eskimo Limon", in mehrjähriger Recherchearbeit entstanden und dementsprechend gar nicht als Beitrag zur aktuellen Debatte konzipiert, beeindruckt als facettenreiche Fleißarbeit. Friedler hat Filmausschnitte, vielfältiges Archivmaterial und ebenso viele Erinnerungsstatements zusammenmontiert und lässt verschiedene Sichtweisen gelten. Sogar mit dem 2014 verstorbenen Menahem Golan hat er noch über "Eis am Stiel" gesprochen.
Eine versöhnliche Note hat er sich für den Schluss aufgehoben: Da rudern Zachi Noy, Yftach Katzur und Anat Atzmon beim Doku-Dreh zusammen in einem Boot, und diesmal muss niemand über Bord gehen. Sie haben den "Eis am Stiel"-Wahnsinn überlebt, reflektiert und sind darüber nicht verbittert. Viel mehr Trost ist aber nicht drin.
Quelle : spiegel.de
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