Allzu kleine Brötchen

  14 Mai 2018    Gelesen: 860
Allzu kleine Brötchen

FDP-Chef Christian Lindner sorgt sich um den gesellschaftlichen Frieden beim Backwarenkauf - und stolpert dabei in sumpfigen Alltagsrassismus. Ein unappetitlicher Fehler.

Christian Lindner ist kein Idiot. Im Alleingang hat er seine FDP zurück in den Bundestag befördert, mit einer Kampagne, die vollkommen auf seine Person zugeschnitten war, Schwarz-Weiß, Unterhemd, Dreitagebart, Smartphone. Im Alleingang führt er die Partei seither. Die FDP mag einen Vorstand haben und sogar eine Generalsekretärin, aber tatsächlich ist die FDP Lindner und Linder ist die FDP. Regierungsbeteiligung? Lockerung der Sanktionen gegen Russland? Nicht mit ihm. Da kann ein Kubicki reden, was er will.

Christian Lindner ist ein höchst begabter Politiker. Er steht in den Startlöchern. Wenn diese Große Koalition am Ende ist, in vier, drei, zwei, einem Jahr, dann steht er bereit, seinen Teil der Macht zu übernehmen. Lindner ist kein destruktiver Rechtspopulist, kein besoffener Kleinstbürger, kein Leistungsträger einer sich im kriegsähnlichen Landtagswahlkampf befindlichen Regionalpartei, der wie von Sinnen versucht, der AfD Stimmen abzuringen. Wir reden hier auch nicht von Alexander Dobrindt.

Nein, Christian Lindner ist Gegenwart und Zukunft der Freien Demokraten, der tragenden Kraft des Liberalismus in der Bundesrepublik Deutschland seit 1948. Und das ist der einzige Grund, sich überhaupt mit seinem Geschwätz auseinanderzusetzen.

Denn nichts anderes als Geschwätz ist es, was der Parteivorsitzende Lindner auf dem Parteitag der FDP über den Umgang mit Menschen von sich gegeben hat, deren Haut und Haar nicht so strahlend urdeutsch aussieht wie jene und jenes von Christian Lindner.

Was genau Lindner gesagt hat


Er äußerte Folgendes: "Man kann beim Bäcker in der Schlange nicht unterscheiden, wenn einer mit gebrochenem Deutsch ein Brötchen bestellt, ob das der hochqualifizierte Entwickler künstlicher Intelligenz aus Indien ist, oder eigentlich ein sich bei uns illegal aufhaltender, höchstens geduldeter Ausländer. Damit die Gesellschaft befriedet ist, müssen die anderen, die in der Reihe stehen, damit sie nicht diesen Einen schief anschauen und Angst vor ihm haben, müssen sich alle sicher sein, dass jeder, der sich bei uns aufhält, sich legal bei uns aufhält. Die Menschen müssen sich sicher sein, auch wenn jemand anders aussieht und noch nur gebrochen deutsch spricht, dass es keine Zweifel an seiner Rechtschaffenheit gibt. Das ist die Aufgabe einer fordernden, liberalen, rechtsstaatlichen Einwanderungspolitik."

Wo fangen wir da an? Zunächst: Wenn man sich als maßgeblicher Politiker schon dazu hinreißen lässt, deutsche Identität unter Bezugnahme auf die korrekte Anwendung der Sprache zu beschwören, dann doch bitte möglichst fehlerfrei. Es heißt "in", nicht "mit gebrochenem Deutsch". Geschenkt. Ebenfalls zu kritisieren ist das fragwürdige Menschenbild, welches dazu führt, seine Gegenüber in nützlich (weil als tolle Programmierer der Wirtschaft dienlich) und unnütz (weil einfach nur da) aufzuteilen. Wiederum: geschenkt. Das gehört wohl zum herzensfremden Geschäft eines Marktgläubigen.

Gehen wir also davon aus, dass Christian Lindner eigentlich nichts gegen Menschen anderer Hautfarbe hat. Gehen wir davon aus, dass er im Gegenteil dafür sorgen möchte, dass nützliche Menschen unlindnerscher Hautfarbe nicht unter Diskriminierung zu leiden haben. Was könnte ein Liberaler den Leuten in der ominösen Bäckereischlange dann sinnvollerweise sagen?

Vielleicht, dass sie sicherlich keine Angst haben müssen vor einem, der mit ihnen um Brötchen ansteht, ganz unabhängig davon, ob er seine Brötchen auf Deutsch, Suaheli oder in C+ bestellt. Selbst wenn er "Semmeln" oder "Weckle" verlangen sollte, besteht kein Anlass zur Sorge, könnte er sagen. Er wird ihnen nichts antun, genauso wenig übrigens wie ein zufällig anwesender ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Volkswagen AG oder ein blonder und blauäugiger Krimineller, dessen Familie bereits vor vier, acht oder sechzehn Generationen dem Standort der Bäckerei zugewandert ist. In Bäckereien geschieht selten Schlimmes, die Verbrechen finden anderswo statt.

Ein Liberaler könnte den Durchschnittsbrötchenkäufern auch sagen, dass Hautfarbe und Sprachkenntnisse nichts über die "Rechtschaffenheit" eines Menschen aussagen, und dass auch der Aufenthaltsstatus eines Menschen keine Rückschlüsse darauf zulässt. Er könnte sie darüber aufklären, dass ein Rechtsstaat Aufenthaltstitel aufgrund von Gesetzen zuerkennt, nicht aufgrund der charakterlichen Eignung eines Kandidaten. Und dass es im Übrigen auch nicht Aufgabe des braven Bäckereibesuchers ist, sich um den Aufenthaltsstatus anderer Anwesender zu scheren. Das macht der Staat. Aufgabe des Bäckereischlangenstehers ist es ausschließlich, sich über seinen Bestellwunsch im Klaren zu sein, sobald er an der Reihe ist. Er muss sodann ausreichend Kleingeld parat haben und nach dem Einkauf die Bäckerei geordnet verlassen. Solches Verhalten trägt mehr als alles andere zur Befriedung der Gesellschaft bei.

Lindner im sumpfigen Alltagsrassismus

Wie sollte es auch anders gehen? Sollen sich künftig alle zwar leider Gottes fremdländisch aussehenden, aber legal ansässigen Menschen permanent und für alle sichtbar als rechtskonform ausweisen? Wie sollen sie das tun? Den Pass, die Aufenthaltsgenehmigung in einer Klarsichthülle um den Hals tragen? Oder lieber gleich einen Sichtvermerk ans Revers nähen?

Video zur Kritik am FDP-Chef: Wirbel um Lindner-Äußerung über Migranten

Das ist natürlich Unsinn. Wahrscheinlich wollte Christian Lindner auch nur ausdrücken, dass er - und damit also die FDP - für die konsequente AbschiebungAusreisepflichtiger ist. Kann man ja sein. Dabei ist er aber bedauerlicherweise in einen sumpfigen Alltagsrassismus gestolpert. Das weist er nun in einem nachgeschobenen Erklärvideo mit baumelnder Krawatte von sich. Einen Fehler mag er nicht erkennen, immerhin konzediert er, die Passage frei und ohne Manuskript vorgetragen zu haben. Es sei die Anekdote eines Bekannten gewesen. Mit anderen Worten: Es war Geschwätz.

Christian Lindner hat zuletzt einige starke Reden gegen die AfD gehalten. Jetzt muss er sich von deren Fraktionschefin Weidel anbieten lassen, sich "gerne" in Fragen der Migration mit ihr "abzustimmen". Diese Unappetitlichkeit hat er sich nun eingebrockt, das hätte ihm nicht passieren sollen.

Lindner ist ein scharfzüngiger Demokrat und damit eine Bereicherung für den politischen Diskurs in diesem Land. Möge er sich künftig an ein wohldurchdachtes Manuskript halten. Es ist ja nicht ganz unwichtig, was der FDP-Vorsitzende so erzählt.

spiegel


Tags:


Newsticker