„Nächstes Jahr in Jerusalem“? – Für einen Eurovision Song Contest in Algier

  22 Mai 2018    Gelesen: 966
„Nächstes Jahr in Jerusalem“? – Für einen Eurovision Song Contest in Algier

„Nächstes Jahr in Jerusalem.“ Darf man das denn sagen? Das ist doch antisemitisch, wie man aus der Debatte um eine Karikatur mit diesem Spruch von Dieter Hanitzsch in der „Süddeutschen Zeitung“ weiß. Nach dem neuen deutschen Reinheitsgebot – „Wer Antisemit ist, bestimmt der Antisemitismus-Beauftragte“ – wurde der Karikaturist auch prompt gefeuert.

Es ging um den nächsten Eurovision Song Contest (ESC). Den hatte in diesem Jahr eine Israelin gewonnen. Und so forderte der Chef des israelischen Gottes-Staates, Benjamin Netanjahu: Die nächste Austragung des ESC solle gefälligst in Jerusalem stattfinden.

Zwar will die Mehrheit der Nationen Jerusalem, eine Stadt, die eigentlich unter internationaler Kontrolle stehen müsste, immer noch nicht als Hauptstadt Israels anerkennen. Aber Donald Trump wünscht es unbedingt. Also sind auch Guatemala und Paraguay dafür. Und der schlaue Netanjahu kann rechnen: Weltweit hatten sich etwa 200 Millionen Zuschauer den diesjährigen ESC angesehen: Fände der nächste in Jerusalem statt, wäre das doch eine prima Reklame für die völkerrechtswidrige Hauptstadt Israels.

„Nächstes Jahr in Jerusalem“: So lautet der traditionelle Wunsch am Schluss des jüdischen Sederabends, dem Vorabend und Auftakt des Pessach-Festes. Millionen Juden haben sich schon zu diesem Fest – in Erinnerung an den Auszug der Kinder Israels aus Ägypten – diesen Wunsch zugerufen.

Antisemitisch? Ja, äh: Die Gesichtszüge Netanjahus, barmen die üblichen Antisemitismus-Wächter, seien in der Karikatur arg jüdisch geraten. Woher weiß einer denn, dass ein anderer jüdisch aussieht? Manchmal liegt der Antisemitismus im Auge des Betrachters. Kann sich noch jemand an Jassir Arafat, den Chef der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO erinnern? Dieser Semit sah tatsächlich wie ein Semit aus! Und karikiert wurde er auch oft und gern.

So geraten in der herrschenden Antisemitismus-Hysterie nicht nur die Maßstäbe für Rassismus durcheinander. Auch die wirklichen Antisemiten, Netanjahu und Trump, die mit ihrer Jerusalem-Hauptstadtentscheidung den Israelis eine neue Welle der Gewalt beschert haben, verschwinden im Nebel der Begriffs- und Sinn-Verwirrung.

„Ani lo buba“ singt die diesjährige Gewinnerin des ESC, Netta Barzilai, „Ich bin keine Puppe“. Und meint es irgendwie gut. Der ESC ist ein echter Höhepunkt der Popkultur. Er wird regelmäßig von der „Europäischen Rundfunkunion“ veranstaltet. Dieser Zusammenschluss von 72 Rundfunkanstalten in 56 Staaten Europas, Nordafrikas und Vorderasiens ist eine Medienmacht.

Er begründete 1953, mit einer internationalen Livesendung der Krönung von Königin Elisabeth II, jene schwer erträglichen Adels-Schmonzetten, die bis heute für die romantische Verkleisterung der Gehirne zuständig sind. „Kate bringt Sohn zur Welt“, staunt die deutsche „Tagesschau“ über eine Geburt im englischen Königshaus noch heute. Was hätte es denn sein sollen? Ein Pudel? Aber diese Frage gilt als fast so unanständig wie die Frage „Nächstes Jahr in Jerusalem?“

Zu den 72 Rundfunkanstalten der „Europäische Rundfunkunion“ gehört auch „Radio Algérienne“, die staatliche Hörfunk-Anstalt Algeriens. Fraglos wäre Algerien ein guter Gastgeber für den nächsten Eurovision Song Contest. Anders als in Israel herrscht dort kein ständiger Bürgerkrieg. Auch besetzt die algerische Armee nicht das Territorium einer anderen Nation. Die Gesichtszüge seines Präsidenten, Abd al-Aziz Bouteflika, sind nicht so ausgeprägt semitisch, dass sie Karikaturisten in Gefahr bringen könnten.

Aber vor allem: Algerien ist ein laizistischer Staat. Anders als im israelischen Gottesstaat, in dem der Sabbat ein heiliger Ruhetag ist, könnte der Contest in Algier problemlos stattfinden. Denn um höhere Zuschauerquoten zu generieren, wollen die ESC-Betreiber ihre Finalshow unbedingt an einem Samstagabend zur besten Fernsehsendezeit starten.

Doch schon dem angeblichen israelischen Staatsgründer Moses soll Gott befohlen haben, einen Mann, der am Sabbat Holz gesammelt hatte, zu steinigen. Auch der Contest muss als Arbeit gelten. Eine Steinigung würden die Sänger, Kameraleute und Techniker des ESC kaum durchhalten.

Es kann nur einen Ausweg geben, wenn der Wettbewerb wieder in Vorderasien stattfinden soll: Einen Standort in Algerien zu wählen.

sputnik.de


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