Wie Philip Roth Donald Trump voraussah

  23 Mai 2018    Gelesen: 1054
Wie Philip Roth Donald Trump voraussah

Amerika in den Fängen eines Autokraten: In "Verschwörung gegen Amerika" machte Philip Roth den Flieger Charles Lindbergh zum Präsidenten. Eine Analogie auf Trumps USA - entstanden im Jahr 2004.

 

Er skandiert "America first" und vermarktet sich auf geradezu halsbrecherische Weise selbst. Er schürt den nationalen Egoismus und spielt zugleich eine heimische Bevölkerungsgruppe gegen die andere aus. Er setzt sich über alle demokratischen Gepflogenheiten hinweg, um den Staatsapparat mit nassforschen Sprüchen nach seinem Gusto umzubauen.

Der US-Präsident, den Philip Roth in seinem bei Veröffentlichung 2004 eher höflich als begeistert aufgenommenen Roman "Verschwörung gegen Amerika" beschrieb, kommt einem sehr bekannt vor. Wer das Werk heute liest, muss glauben, eine Prophetie auf Donald Trump zu lesen.

Die Ohnmacht unter Intellektuellen nach dem Wahlsieg Trumps 2016 war ja auch deshalb so groß, weil kein noch so kühner Denker oder Literat gewagt hatte, ein solches Szenario vorherzusagen. Amerikas stolze, durch Checks und Balances gesicherte Demokratie in den Fängen eines Autokraten, Egomanen und Rassisten? Unmöglich. Es dauerte ein bisschen, bis man in Roth' Vierzigerjahre-Roman die Parallelen zu der unmittelbaren, disruptiven Gegenwart im neuen Trump-Amerika wahrnahm.

Eben auch deshalb, weil "Verschwörung gegen Amerika" vor einem realem historischen Hintergrund spielt - den der Autor dann aber fiktional regelrecht umstülpt. Im Zentrum steht der US-Flieger Charles Lindbergh, der 1927 für seinen Nonstop-Flug von New York nach Paris zur nationalen Ikone und zum Helden des Boulevard wurde.

Lindbergh ging später mit den Nazis auf Tuchfühlung, vom NS-Bonzen Hermann Göring etwa ließ er sich 1938 das Großkreuz des Deutschen Adlerordens an die Brust knöpfen. Anfang der Vierzigerjahre war Lindbergh dann der prominenteste Sprecher des sogenannten "America First Committee", das sich für eine isolationistische Politik der USA aussprach.

Roth lässt diesen radikalen politischen Außenseiter des Vorkriegs-Amerika in seinem Roman nun die Macht erlangen. Lindbergh setzt bei Roth auf den starken Mann Hitler, paktiert mit Nazi-Deutschland, treibt antisemitische Pogrome an, und statt eine richtige Regierung einzusetzen, leitet er die Amtsgeschäfte lieber von seinem kleinen Flieger aus: Er düst allein von Stadt zu Stadt, um dort jeweils spontan seine Statements abzugeben, gelegentlich gerät er aus dem Radar der Öffentlichkeit. Eine Verlautbarungspolitik, die an Trumps Solo-Flüge auf Twitter erinnern, Absturz jederzeit möglich.

"Kontrafaktische Geschichte" nennt die Wissenschaft solche Was-wäre-gewesen-wenn-Szenarien - doch Roth' 500-Seiten-Spekulation gegen den Verlauf der Geschichte weist frappierende faktische Parallelen zur realen Gegenwart auf.

So übernimmt der Egoman Lindbergh die Macht von Franklin D. Roosevelt, der ähnlich wie der Trump-Vorgänger Barack Obama national auf Aufbruch und Versöhnung gesetzt hatte und international auf eine Politik des Eingreifens und Vermittelns. Roth' US-Präsident Lindbergh agiert angesichts des bevorstehenden Weltenbrands nun eher in Form von Flirts und Neckereien mit den Faschisten in Übersee. Ein bisschen so wie Trump, wenn er mit Autokraten wie Putin und Erdoganumgeht. Egomanen unter sich.

Trotz satirischer Überspitzung ergreift Roth mit dem Roman seine Leserschaft. Denn dem krassen politischen Verschwörungsszenario untergelagert ist ein feinfühliger intimer Familienroman über den Einbruch des Politischen ins Private. Roth erzählt aus der Perspektive eines jüdischen Jungen, der wie er selbst 1933 geboren ist und in der jüdischen Community von Newark aufwächst.

Der Trieb und die Angst waren immer das große Thema von Roth. In "Verschwörung gegen Amerika" instrumentalisierte er die Verstörung und das Ausgesetztsein, die er als jüdisches Kind angesichts der faschistischen Bedrohung empfand, als erzählerische Energie für ein spektakuläres, lustvolles und vor allem bildstarkes Verschwörungsszenario. Wenig verwunderlich ist es deshalb, dass das Buch von "The Wire"-Schöpfer David Simon als TV-Serie vorbereitet wird.

Der Originaltitel von Roths Roman lautet "The Plot Against America". Der Autor hat wohl in keinem anderen Roman innere psychologische Prozesse in einen solch kraftvoll vorantreibenden Plot übersetzt, der die Brüchigkeit der doch als so robust angenommenen amerikanischen Demokratie und Gesellschaft auf den Punkt bringt. Sonderbare, mäßig glaubwürdige Wendung für den Pessimisten Roth: Im Roman übernimmt am Ende dann doch wieder Roosevelt die Regierung, um die totalitäre Bedrohung abzuwenden und die alte Weltordnung wieder herzustellen.

Nun ist Philip Roth im Alter von 85 Jahren gestorben. Wie Donald Trumps Plot gegen Amerika und die Welt ausgeht, ist noch offen.

spiegel


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