Das Konzept der "neuen Seidenstraße" geht auf. Zumindest wenn man es als eine reine Marketingstrategie betrachtet. Der Volksrepublik China ist es allein mit der Ankündigung einer Wiederbelebung 500 Jahre alter Handelsrouten gelungen, für jede Menge Gesprächsstoff zu sorgen. Umfragen zufolge hat sich die weltweite Kenntnis von dem Projekt seit 2014 bereits verdreifacht. Fast jeder fünfte Erdenbürger soll heute schon eine Vorstellung davon haben, was das eigentlich sein soll, diese neue Seidenstraße.
Die Routen von damals, die der Globalisierung einst den Weg ebneten, machen nur einen Bruchteil dessen aus, was sich Peking als Infrastrukturnetz der Zukunft vorstellt. Die One-Belt-one-Road-Initiative (OBOR), wie sie offiziell heißt, ist mehr als die asphaltierte Version eines Wüstenpfades antiker Tage. Sie soll in Europa, in Teilen Afrikas, in Zentral- und Südasien, im Mittleren Osten und in Südostasien Handel und Transport des 21. Jahrhunderts im chinesischen Sinne prägen und verändern. Sie soll Chinas Hinterland wirtschaftlich aufpäppeln, indem es die Regionen mit den Nachbarländern im Westen verknüpft. Sie soll Produktions-Überkapazitäten aus der Volksrepublik in Entwicklungsländer exportieren, um dort sowohl neue Märkte für chinesische Unternehmen zu erschließen als auch technische Standards zu etablieren.
Das Tempo, das China bei der Umsetzung vorlegt, ist immens. Dutzende Länder hat Peking bereits integriert und Abermilliarden Dollar investiert: in Containerhäfen, Terminals, Eisenbahnlinien, Kraftwerke, Straßen, Raffinierien. Schätzungen gehen davon aus, dass sich das finanzielle Volumen aller Vorhaben im Rahmen von OBOR in den kommenden 30 Jahren auf mehrere Billionen Dollar belaufen könnte.
Doch es geht nicht nur um Straßen und neue Seewege, um Logistik und Handel oder eine gesicherte chinesische Energieversorgung für Krisenzeiten. Nicht zuletzt geht es auch um politischen Einfluss, der sich langfristig wirtschaftlich auszahlen soll. Schon längst reicht Chinas langer Arm bis in die Europäische Union. Im vergangenen Jahr verweigerten Ungarn und Griechenland ihre Zustimmungen zu Stellungnahmen der EU zu Menschenrechtsverletzungen in China. Griechenland und Tschechien sollen zudem die europäische Regelung für Investitionskontrollen verwässert haben. Alle drei Staaten profitieren von chinesischen Investitionen oder Krediten. Die Vermutung liegt nah, dass sie den Chinesen gegenüber in diplomatische Vorleistung getreten waren, als sie sich gegen ihre Bündnispartner stellten und dem finanzstarken Gönner aus dem Osten damit in die Karten spielten.
"Langsam wachen viele Länder auf"
"Politische Einflussnahme ist ein Problem. Schnelles chinesisches Geld ist bei dem einen oder anderen Regierungschefs durchaus beliebt und stellt eine Herausforderung für die EU dar", sagt Thomas Eder, der sich beim Berliner Mercator Institut für China-Studien mit dem globalen Handel befasst. Misstrauisch beäugt man in Brüssel deshalb auch das erst wenige Jahre alte Forum 16+1, in dem die Chinesen regelmäßig mit 16 Staaten des früheren Ostblocks zusammentreffen, von denen zwölf gleichzeitig Mitgliedsstaaten der EU sind. Erst im November sagte Chinas Ministerpräsident Li Keqiang dem Block drei Milliarden Dollar für Infrastruktur-Projekte zu. "Die EU muss zeigen, dass ihr Ansatz der Entwicklungszusammenarbeit attraktiver ist und ihre Investitionen nachhaltiger sind", so Eder im Gespräch mit n-tv.de.
In Ansätzen gelingt das bereits durch alternative Finanzierungsmodelle. Teilweise in Europa, aber auch in asiatischen Ländern. Zum Beispiel über die Entwicklungsbank AIIB, die von China vor drei Jahren ins Leben gerufen wurde. Zahlreiche EU-Staaten kauften sich weitsichtig in die Bank ein und bestimmen seitdem ihre Geschicke mit. Wegen ihrer internationalen Struktur sorgt die AIIB für Transparenz bei Ausschreibungen. OBOR-Projekte genießen keine Priorität. Japan geht in Südostasien ebenfalls in die Kreditoffensive und versucht dem Erzrivalen aus China, mit entsprechenden Finanzspritzen Paroli zu bieten und das Gleichgewicht zu wahren.
Das Projekt Seidenstraße befindet sich erst am Anfang, und doch machen sich mögliche Trends bereits bemerkbar. Eine Studie der Freien Universität Brüssel fand heraus, dass der Anteil europäischer Hochtechnologie auf den Märkten jener Länder, die zu den OBOR-Anrainern gezählt werden, von 2008 bis 2014 von 62 auf 30 Prozent gesunken war. Der Anteil chinesischer Technologie stieg derweil von 15 auf 26 Prozent. EU-Unternehmen, auch deutsche, werden aus den Märkten gedrängt. OBOR könnte diese Entwicklung beschleunigen. Erst kürzlich berichtete das "Handelsblatt", dass 27 EU-Botschafter in Peking die Seidenstraßen-Initiative als Verschiebung des Kräfteverhältnisses "zugunsten subventionierter chinesischer Unternehmen" kritisierten. Nur der ungarische Botschafter schloss sich nicht an.
"Langsam wachen viele Länder auf und stellen fest, dass die Chinesen nichts zu verschenken haben. Die fragen sich jetzt, bedeutet One Belt, One Road auch gleichzeitig one way", sagt Jörg Wuttke, der frühere Präsident der EU-Handelskammer, im Gespräch mit n-tv.de. In Polen hatte man vergeblich darauf gehofft, dass künftig tonnenweise polnische Äpfel im Land verzehrt würden, nachdem Chinas Präsident Xi Jinping bei einem Staatsbesuch herzhaft in eine Frucht gebissen hatte. "China benutzt die Vielfalt der 16 Zentral- und Osteuropäischen Staaten dazu, seine eigenen Interessen zu begünstigen", erkannte Rafael Tuszinsky von der Universität Lodz im Fachmagazin "Europolity". Das chinesische Prinzip laute divide et impera, teile und herrsche. Im Juli will die EU in einem Strategiepapier den Umgang mit Chinas Vorgehensweise festlegen. "Den Nehmerländern muss es gelingen, durch den Propaganda-Hype zu schauen und sich dann fragen, was brauchen wir wirklich", sagt Wuttke.
Rückschlag in Myanmar
Zu jedem Preis wollen sich viele Anrainerstaaten offenbar nicht auf die chinesischen Pläne einlassen, nur weil sie große Summen in Aussicht stellen. In Nepal verweigerten die örtlichen Behörden grünes Licht für einen Dammbau, der 2,5 Milliarden US-Dollar verschlingen sollte. Die Regeln für eine faire Ausschreibung seien nicht eingehalten worden, lautete die Begründung. In Myanmar wurde im November der Bau einer Raffinerie für drei Milliarden Dollar abgesagt, weil sich niemand finden ließ, der sich an die Finanzierung wagte.
Selbst wenn Peking Abermilliarden Dollar investieren will, sind es immer noch chinesische Banken, die nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten die nötigen Kredite vergeben. Das tun sie zum Teil mit sehr hohen Zinsen, um die teilweise großen Risiken auszugleichen. Das setzt Nehmerländer zusätzlich unter Druck. In Sri Lanka entschied sich die Regierung kürzlich für den Verkauf eines großen Teiles des neuen Hafens Hambantota an ein chinesisches Staatsunternehmen. Das Land konnte seiner Zahlungsverpflichtung schlicht nicht nachkommen. Jetzt sitzen die Chinesen auf 80 Prozent eines Hafens, der ihnen irgendwann strategische Vorteile bringen soll, wirtschaftlich aber wenig Sinn ergibt.
Quelle: n-tv.de
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