Blütenpracht im Dezember: Wärmeschock irritiert Mensch und Natur

  23 Dezember 2015    Gelesen: 872
Blütenpracht im Dezember: Wärmeschock irritiert Mensch und Natur
Allergiker klagen über Heuschnupfen, Landwirte fürchten Schädlinge: Der warme Dezember lässt die Natur verrückt spielen. So schön die Blütenpracht jetzt ist - im neuen Jahr droht Ungemach.
Eigentlich hatte alles so schön winterlich angefangen: Bereits Ende November gab es den ersten Schnee, ein zumindest für das norddeutsche Plattland früher Zeitpunkt in der kalten Jahreszeit. Doch nun, kurz vor Weihnachten, zeigt sich ein anderes Bild. Am vergangenen Wochenende konnte man bundesweit Jogger in kurzen Hosen sowie hier und da blühende Pflanzen bestaunen - zu munterem Vogelgezwitscher. Die Temperaturen von bis zu 16 Grad am vergangenen Sonntag machten das möglich.

Die Hoffnung auf weiße Weihnachten ist längst dahin, Schnee an den Feiertagen habe sich erledigt, meldet der Deutsche Wetterdienst. So warm wie dieses Jahr war es im Dezember selten. Durch die warme Witterung geraten Mensch und Natur aus dem Rhythmus.

Welche Folgen hat das?

Zumindest für gesunde Menschen wenige: Die warmen Tage selbst könnten kaum ungünstige Auswirkungen haben, sagt Medizin-Meteorologin Angelika Grätz vom Deutschen Wetterdienst (DWD) in Freiburg. Schließlich würden in den letzten Monaten des Jahres viele Menschen in den Süden fliegen, weil sie sich in der Urlaubswärme wohler fühlten.

"Der Körper muss sich anpassen"

Etwas Stress für den Körper könnte höchstens ein ständiger Wechsel zwischen niedrigen und hohen Temperaturen bedeuten. "Der Körper muss sich dann anpassen", so Grätz. Bei Kälte konzentriert sich das Blut im Körperkern, es schützt ihn dann durch Wärme. Ist es sommerlich warm, muss der Organismus das Blut weiter an die Oberfläche bringen. Für ältere Menschen ist das schwieriger. "Ihre Gefäßsysteme sind nicht mehr so flexibel." Auch für chronisch Kranke kann die Temperaturänderung ein Problem sein. Manche fühlten sich in der ungewohnten Wärme schlapper als sonst.

Stärker betroffen sind allerdings Allergiker. Zu erwarten ist, dass Haselpollen oder Erle durch das milde Klima schon im Dezember zu Heuschnupfen-Symptomen führen könnten. Früher begann die Blütezeit dieser Pflanzen erst im Februar, inzwischen klagen jedes Jahr Allergiker über erste Symptome im Dezember.

Kritisch könnte es auch für einige Baumarten werden - besonders für Buchen mit einer eher dünnen Rinde. Experten fürchten, dass die warmen Temperaturen Schädlinge begünstigen, die besser und zahlreicher durch den Winter kommen. "Wenn das so weitergeht, bleiben in Höhenlagen nur die widerstandsfähigeren Bäume übrig", sagte Mathias Niesar, Waldschutzmanager des Landesbetriebs Wald und Holz NRW.
Während die Bäume ihre Abwehrmechanismen im Winter heruntergefahren haben, entwickle sich etwa der Rotpustelpilz ganz ungestört. "Der ist sehr aktiv und aggressiv", sagt der Experte. Die Pilze öffnen bei Temperaturen von über fünf Grad ihre Sporenkörper, und der Regen spüle dann die Sporen an die Rinde. "Dort setzen sich die Pilze in die Luftlöcher, können optimal wachsen und dadurch stirbt das Rindengewebe ab", erklärt Niesar.

Die bis zu zwei Millimeter großen Rotpustelpilze sind allerdings nur die Wegbereiter für weitere Parasiten. "In der abgestorbenen Rinde bilden sich Risse, in denen der Zunderschwamm gute Bedingungen findet", sagt er. Und dieser Pilz zerstört dann das Holz, sodass es instabil wird. "Dann sind die Bäume vom Tod gezeichnet und brechen beim kleinsten Windstoß."

Blattläuse schon im Februar

Auch Bauern sehen die Wärme mit Sorge: Winterweizen und -gerste können sich mit dem Gelbverzwergungsvirus infizieren, befürchten sie. Ohne Kälte drohe im schlimmsten Fall sogar eine Mäuseplage.

Minusgrade im Winter sind für die gepflügten Äcker eigentlich enorm wichtig, denn dann stellt sich eine "Frostgare" ein. "Dabei lockern die Eiskristalle den Boden und schaffen so eine gute Grundlage für dessen Bearbeitung im Frühjahr", erklärt der Sprecher des Bauernverbands Bernd Weber.

Probleme für die Landwirtschaft könne es im kommenden Jahr zudem mit Blattläusen geben. "Wenn es nicht friert, überleben die erwachsenen Tiere des Vorjahres", sagt Gerlinde Nachtigall vom Julius-Kühn-Institut (JKI) in Braunschweig, einem Forschungsinstitut für Kulturpflanzen. Sie vermehren sich dann ungeschlechtlich und gebären lebende Junge. Das könne schon im Februar passieren. Normalerweise produziert eine Fortpflanzungsgeneration im Herbst befruchtete Eier, die den Winter überstehen. Wegen der raschen Entwicklung von Insekten wie Blattläusen oder Mücken innerhalb weniger Tage entscheide letztlich aber erst das Wetter im Frühjahr, ob es besonders große Vorkommen geben werde.

Generell seien heimische Insekten aber sehr gut an kalte Winter angepasst. "Die Tiere befinden sich mit Einbruch des Winters in einem Überwinterungsstadium und können so niedrige Temperaturen über lange Zeit ertragen", sagt sie. Ein warmer Winter bedeutet also nicht zwangsläufig eine besonders hohe Zahl von Schadinsekten im Folgejahr. Im Gegenteil: "Ein milder und feuchter Winter ist für viele Insekten meist fataler als Kälte", so Nachtigall. "Vor allem ein wiederholter Temperaturwechsel kann für die Tiere gefährlich werden, da sie in diesem Stress ihre Kälteanpassung häufig vorschnell aufgeben."
Gefährlich kann es für einige Pflanzen werden, wenn zu Beginn des kommenden Jahres doch noch einmal die Kälte kommt. "Richtig problematisch ist meist ein Frost direkt vor der Blüte", sagte Micha Sonnenfroh, Leiter der Parkpflege im Zoologisch-Botanischen Garten Wilhelma in Stuttgart. Wenn sich die Natur etwa bei Frühblühern schon auf Frühling eingestellt hat, kann Eis und Schnee viel kaputtmachen - denn es entstehen dann Risse in den Pflanzenstrukturen. Schädlinge haben hier später ideale Angriffsflächen. Dennoch sieht der Pflanzenexperte die Temperaturen noch gelassen. Nur wenn das warme Wetter weitere vier oder fünf Wochen anhalte, werde es kritisch für einige Arten.

Immerhin: Neue Rekorde an Heiligabend sind nach den Vorhersagen des Deutschen Wetterdiensts nicht zu erwarten. Am 24. Dezember sei mit Temperaturen zwischen zehn und 14 Grad Celsius zu rechnen, am Oberrhein sogar mit 15 bis 16 Grad, sagte der Meteorologe Helge Tuschy. Die bisherige Höchsttemperatur am Heiligabend wurde laut Wetterdienst im Jahr 2012 in Freiburg mit 18,9 Grad gemessen, der bisher wärmste Dezembertag war der 16. Dezember 1989. Damals zeigte das Thermometer in Müllheim im Markgräfler Land 24,0 Grad an - da kann man die Weihnachtsgans auch mal auf den Gartengrill legen.


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