Die Voraussetzungen waren schwierig, das Einverständnis zuvor getrübt. "Selbst wenn das Verhältnis herzlich bleibt, ist der Reiz aneinander verloren gegangen", schrieb die Pariser Tageszeitung "Le Monde" vor dem deutsch-französischen Gipfeltreffen über das Verhältnis von Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Doch siehe da: Hinterher ist alles anders. Auf einmal überwiegen im öffentlichen Eindruck die Gemeinsamkeiten: "Mitten im Sturm halten sie gemeinsam die Frontstellung", bewunderte eine Kommentatorin im französischen BFM-Fernsehen das deutsch-französische Regierungspaar. Zuvor hatten Merkel und Macron mehrere Stunden in Meseberg bei Berlin konferiert. Selten waren solche Treffen zwischen Präsident und Kanzlerin in den vergangenen Jahren Aufmacher in den französischen 20-Uhr-Nachrichten.
Etwas war passiert, das nicht primär an Präsident und Kanzlerin lag. Denn genau genommen hatten beide nicht viel zu bieten. Macron bekam endlich seinen Haushalt für die Eurozone, den er in unzähligen Ansprachen gefordert hatte. Er selbst versuchte tapfer, das als seinen Erfolg zu verkaufen. "Was hatten wir vorher? Nichts. Morgen werden wir einen Haushalt der Eurozone haben", sagte Macron in Meseberg.
Doch jedem französischen Beobachter war klar, dass die Deutschen nicht wirklich mitgespielt hatten. Schließlich gab es keine Zahlen, wie groß besagter Haushalt im Jahr 2021 sein solle. Mehrere hundert Milliarden Euro hatte Macron verlangt. Wenige Dutzend Milliarden hatte die Kanzlerin ihm zugestanden und dabei blieb es am Dienstag wohl auch. "Macron kann damit sein Gesicht wahren", analysierte Sebastien Maillard, Leiter des pro-europäischen Jacques-Delors-Instituts in Paris. "Aber um bei Europawahlen gut abzuschneiden, braucht er mehr."
Dieses Mehr aber lieferte ihm Merkel am Dienstag auf ganz andere, unerwartete Art. Zum ersten Mal seit vielen Jahren stand sie nicht als die übermächtige Deutsche neben einem schwachen Franzosen. Zum ersten Mal schienen die Rollen wieder gleich verteilt, so wie früher zum Beispiel zwischen Gerhard Schröder und Jacques Chirac. Beiden hatte einst US-Präsident George W. Bush geholfen, gemeinsam Kurs gegen den Irakkrieg zu halten. "Heute schüttet Trump das Öl in den deutsch-französischen Motor", sagte nun Maillard.
Tatsächlich hat inzwischen auch die französische Öffentlichkeit mitbekommen, dass sich US-Präsident Donald Trump die Kanzlerin und ihre Flüchtlingspolitik zur Zielscheibe erkoren hat. Klar war am Dienstag deshalb auch: Macron steht in der Flüchtlingspolitik zu Merkel. In den Abend-Talkshows im französischen Fernsehen ging es deshalb hoch her. Dort ist Merkels Flüchtlingspolitik oft nicht weniger umstritten als auf dem Trump-Sender Fox News in den USA. "Merkel hatte unrecht, 2015 die Grenzen zu öffnen", sagte die französische Star-Moderatorin Ruth Elkrief und fragte: "Aber sind wir deshalb auf der Seite von Trump?" Es war eine rhetorische Frage. Die Antwort der französischen Fernsehrunden lautete dann doch eindeutig: Natürlich nicht.
Im Hintergrund dieser Debatten spielte eine ganz neue deutsch-französische Musik. Ihre Melodie: Wir gegen den Rest der Welt. "Der Motor läuft wieder", sagte Maillard und meinte damit ein sich neu einstellendes Gefühl, dass Deutsche und Franzosen gegen Trump und seine populistischen Verbündeten in Europazusammenhalten müssten. Zu der Stimmung trug am Dienstag auch der italienische Innenminister und Lega-Chef Matteo Salvini bei, der die Zählung von Roma und Sinti in Italien gefordert hatte. Ein Unding nach deren Verfolgung durch die Nazis, auch für die meisten Franzosen. Dabei neigen sie bei europäischen Fragen, etwa in der Wirtschaftspolitik, eigentlich mehr zu Italien als zu Deutschland. Doch mit Leuten wie Salvini geht das plötzlich nicht mehr.
Schon vor ein paar Wochen hatte der Pariser Schriftsteller Pascal Bruckner, einer der meistübersetzten französischen Autoren der Welt, mit Blick auf die deutsch-französischen Beziehungen bemerkt, dass gemeinsame Feinde die besten Freunde machen. Das ist es wohl, was Merkel und Macron aus Sicht vieler Franzosen plötzlich so überraschend einig erscheinen lässt.
spiegel
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